Im Wortlaut - und der wird uns hier beschäftigen - heißt es in § 28b Abs. 7 InfSchG: "Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Die Beschäftigten haben dieses Angebot anzunehmen, soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen."
Was meint der Gesetzgeber mit "Wohnung"?
Was heißt das nun aber genau? Was genau heißt "in deren Wohnung"? Wo genau muss der Arbeitnehmer seine Arbeit erbringen? Nicht ganz so einfach. Denn eine wirkliche Legaldefinition, die taugen würde, sehe ich nicht. Aber Anhaltspunkte – nur leider sehr unterschiedliche:
Vielleicht hilft § 20 Bundesmeldegesetz weiter: "Wohnung im Sinne dieses Gesetzes ist jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird" (aber Achtung: "Wohnwagen und Wohnschiffe sind nur dann als Wohnungen anzusehen, wenn sie nicht oder nur gelegentlich fortbewegt werden").
Ein Kommentar zu § 244 StGB, der sich mit der Strafbarkeit eines Wohnungseinbruchdiebstahls auseinandersetzt, meint "Wohnung ist ein umschlossener und überdachter Raum, der einem Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dient, ohne dass jedoch angesichts des Gesetzeszwecks zwingend Schlafräume vorhanden sein müssten."
Ziemlich alleine gelassen wird dabei der Bundesfinanzhof, der in einem Urteil Wohnung definiert als "die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist" – von gleich mehreren Räumen sprechen die anderen Fundstellen nicht, und es fällt mir auch schwer, der "Einraumwohnung", dem (einräumigen) immer mehr in Mode kommenden "Tiny-House" oder in überfüllten Städten dem (einräumigen) Hausboot die Wohnungseigenschaft abzusprechen. Insbesondere, wenn man unsere Verfassung nicht vergisst, zu der das Bundesverfassungsgericht zu Artikel 13 GG definiert: "Eine Wohnung ist jeder Raum, welcher dem Einzelnen zur Wahrung/Entfaltung seiner Privatsphäre zu dienen bestimmt ist und der der Zugänglichkeit/Einsicht der Öffentlichkeit entzogen ist."
Ich denke, dass die Frage der Wohnung als solcher damit geklärt ist: Es handelt sich um einen Raum, welcher der Einsicht beziehungsweise dem Zugang durch die Öffentlichkeit entzogen ist. Haus, Zelt, Wohnwagen: alles denkbar - ja, sogar ein Hotelzimmer (Udo Lindenberg wohnt (!) ja schließlich auch in einem noblen Hamburger Hotel).
Wie ist das mit dem Possessivpronomen in § 28b Abs. 7 InfSchG?
In "deren" Wohnung: Was ist nun damit wieder gemeint? Nun, es könnte das Eigentumsrecht gemeint sein (§ 903 BGB). Dies indes scheint mir ausgeschlossen, denn nur etwa 42,1 Prozent beträgt laut Statistischem Bundesamt die Wohneigentümerquote. Dass die anderen rund 58 Prozent nicht in "ihrer" Wohnung sollen arbeiten können, wird wohl nach der ratio legis, also dem Sinn des Gesetzes, ausgeschlossen werden können.
Bleibt also das Besitzrecht, § 854 BGB: "Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben." Lassen wir mal die paar Feinheiten über Rechtmäßigkeit des Besitzerwerbs außer Acht (interessant wird es ohnehin erst bei der Ersitzung, § 937 BGB: "Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat, erwirbt das Eigentum"), dann ist klar: Besitz reicht aus, Eigentum kann, aber muss nicht sein.
Von der Schlichtheit des Gesetzes
Es ist also ganz einfach: Es muss sich um einen Raum handeln, der sich der Einsicht beziehungsweise dem Zugang durch die Öffentlichkeit entzieht und dieser muss zumindest in Besitz des Arbeitnehmers sein (vermutlich, aber vielleicht nicht zwingend: in rechtmäßigem Besitz. Das wiederum wirft eine weitere Frage auf: Ich habe zu einer Zeit studiert, in der die "Hausbesetzerszene" begonnen hat … wäre das noch deren Wohnung? Aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten). Vermutlich ist auch kein Alleinbesitz erforderlich (den gibt es bei keiner Familie … wer Kinder hat, weiß wovon ich spreche).
Also: Die Wohnung des Freundes, der mich eingeladen hat, mein Wohnwagen, vielleicht gar mein Segelboot (Achtung: nur mit Kajüte), ein Hotelzimmer – alles geeignet im Sinne des § 28b Abs. 7 InfSchG.
Ja, und selbst die Hotellerie kann davon profitieren, denn nach § 28 Abs. 1 Nr. 10 InfSchG ist nur "die Zurverfügungstellung von Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken" untersagt. Zu Tourismus findet sich definitiv keine Legaldefinition. Und: Wohnzwecke, insbesondere wenn hier Bürotätigkeiten verrichtet werden sollen, sollten vom Begriff "Tourismus" ja nicht erfasst sein. Zumindest, wenn es zwar eine Bettensteuer oder Kurtaxe in der Stadt der neu gewählten Wohnung gibt, weil dann ist (wegen des Doppelbesteuerungsverbots) eine "Tourismusabgabe" unstatthaft. Und wo keine Tourismusabgabe, da auch kein Tourismus. Joker!
Unlösbare Probleme?
Also: "Joindre l'utile à l'agréable." Schlagen wir unser Zelt – äh, pardon, unsere Wohnung – an einem attraktiven Ort ohne Touristikabgabe auf und schon können wir dort arbeiten.
Vielleicht ist das alles hier nicht ganz ernst gemeint, sondern mit einem verschmitzten Lächeln zu lesen. Aber das Ergebnis bleibt: Der Praktiker steht also mitunter vor Problemen, die nur auf den allerersten Blick unlösbar erscheinen. Das war vor Corona so, das ist während Corona so, und es wird aller Voraussicht auch nach Corona so bleiben. Ein wenig mehr Sprachgenauigkeit in Gesetzestexten und -vorhaben wäre von Nutzen. Aber das kennen wir ja schon – von der "Osterruhe"!
Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.