Wird ausländischen Arbeitgebern das Kurzarbeitergeld zu Unrecht vorenthalten?
Bislang versagen die Agenturen für Arbeit den ausländischen Arbeitgebern für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer das Kurzarbeitergeld (KuG), mit der Begründung, dass es dafür fester örtlicher betrieblicher Strukturen in Deutschland bedürfe. So lautet ein Auszug aus den aktuellen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit in Rn. 97.2: "Deshalb haben auch Home-Office-Mitarbeiter ausländischer Firmen, die in Deutschland keinen Betrieb unterhalten, keinen Anspruch auf KuG, selbst wenn diese nach deutschem Recht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind." Gute Argumente sprechen dafür, dass das Erfordernis fester betrieblicher Strukturen grund- und unionsrechtswidrig ist und die in Deutschland entrichteten Sozialversicherungsbeiträge zum Bezug von KuG berechtigen.
Erste Gerichtsentscheidungen geben den Agenturen Recht
Die ersten Sozialgerichte haben im einstweiligen Rechtsschutz die Auffassung der Agenturen für Arbeit bestätigt und versucht, rechtliche Bedenken gegen die Versagung von KuG auszuräumen. Der Ausgang der Hauptsacheverfahren ist noch offen. Ausländische Arbeitgeber mit Arbeitsausfällen in Deutschland sollten sich überlegen, ob sie sich durch eine Anzeige des Arbeitsausfalles und ein rechtliches Vorgehen gegen Versagungsentscheidungen die Option auf KuG sichern, um davon zu profitieren, sollte die Auffassung der Agenturen für Arbeit durch höchstrichterliche Rechtsprechung für rechtswidrig erklärt werden.
Betrieb oder Betriebsabteilung nach § 97 SGB III mit Sitz in Deutschland
Für die Gewährung von KuG wird ein Betrieb oder eine Betriebsabteilung im Sinne von § 97 SGB III vorausgesetzt. Der Betrieb wird dabei übereinstimmend definiert als organisatorische Einheit, innerhalb derer der Betriebsinhaber mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt. Entscheidend für den Betrieb ist demnach das Vorhandensein einer eigenen institutionellen Leitung in personellen wie sozialen Angelegenheiten (für Einstellungen, Kündigungen etc.). Der Betrieb oder die Betriebsabteilung muss, um antragsberechtigt für KuG zu sein, seinen Sitz in Deutschland haben.
Gefestigte betriebliche Strukturen oder Inlandsbezug notwendig
Die ersten zu dieser Thematik ergangenen Gerichtsentscheidungen folgen grundsätzlich dem oben genannten Betriebsbegriff und erkennen an, dass es Zweck des KuG ist, Arbeitsplätze im deutschen Inland zu stabilisieren. Das LSG Bayern verlangt dafür gefestigte betriebliche Strukturen, so etwa ein mit entsprechenden sachlichen und personellen Ressourcen ausgestattetes Büro. Es genügte dem LSG Bayern nicht, dass die antragstellende Zeitarbeitsfirma mit 350 sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern aus der Flugbranche in Deutschland ein Büro unterhält, von dem aus regelmäßig Verwaltungsmitarbeiter tätig werden. Das SG Schleswig verlangt eine Betriebsstätte oder einen Inlandsbezug in Deutschland und versagte daher das KuG für drei Beschäftigte einer dänischen Aktiengesellschaft, die in Deutschland in Reisetätigkeit oder im Homeoffice tätig sind (SG Schleswig Beschluss vom 15.05.2020 - S 30 AL 7/20).
Laut BSG ist der wirtschaftspolitische Zweck entscheidend
In beiden Gerichtsverfahren äußerten die Antragsteller rechtliche Bedenken gegen die Versagung des KuG, die von weiteren Praktikern geteilt werden: So hat das BSG bereits entschieden, dass für Leistungen wie das KuG der wirtschaftspolitische Zweck entscheidend ist, nämlich die Verstetigung von Arbeit im Inland und damit der inländische Arbeitsausfall. Finanziert wird das KuG ausschließlich durch Beiträge zur Arbeitslosen- und damit Sozialversicherung. Weshalb also als Anspruchsvoraussetzung zudem eine bestimmte Form von (steuerlich relevantem) Betrieb beziehungsweise Betriebsabteilung in Deutschland verlangt wird, ist schwerlich nachzuvollziehen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG das im SGB geltende Territorialitätsprinzip eine Leistung ins Ausland nicht verbietet und sich der räumliche Leistungsbereich allein aus dem materiellen Leistungsrecht ergibt.
Grundrechte und Unionsrecht sprechen für andere Auslegung
Es ist daher denkbar, dass das BSG in Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung die Voraussetzungen für den KuG-Bezug für inländische Arbeitnehmer ausländischer Arbeitgeber abweichend bewerten wird. Dafür spricht auch das EU-Recht: Die einschlägige EU-Verordnung regelt in Übereinstimmung mit dem EuGH, dass die Leistungen von dem zuständigen Träger desjenigen Mitgliedstaates zu erbringen sind, auf dessen Staatsgebiet die Tätigkeit ausgeübt wird.
Weiterhin könnte die bisherige Auslegung gegen die unionsrechtlich geschützte Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie Dienstleistungsfreiheit verstoßen, da ausländische Arbeitgeber und die bei ihnen angestellten im Inland tätigen Arbeitnehmer gegenüber im Inland ansässigen Arbeitgebern diskriminiert werden. Denkbar ist auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Denn der Gesetzgeber ist nicht frei darin, ohne gewichtige sachliche Gründe die Voraussetzungen für die Beitragspflicht und die Bezugsberechtigung zu differenzieren. Dafür spricht, dass der Anspruch auf KuG ebenso wie der Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Arbeitnehmer persönlich zusteht und es daher nicht einleuchtet, dass ein Arbeitnehmer erst seinen Arbeitsplatz verlieren muss, um in den Genuss von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu kommen – dies erscheint mit dem Sinn und Zweck des KuG nicht vereinbar.
Zu den Autorinnen: Greta Groffy und Carolin Linusson-Brandt sind Rechtsanwältinnen in der Kanzlei Esche Schümann Commichau in Hamburg.
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