Gewerkschaft haftet für rechtswidrigen Lotsen-Streik
Bittere Schlappe für die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF): Das Bundesarbeitsgericht (BAG) warf der Gewerkschaft vor, bei einem Arbeitskampf der Vorfeldlotsen in Frankfurt im Jahr 2012 mit einzelnen Forderungen gegen die Friedenspflicht verstoßen zu haben. Sie werteten den gesamten Arbeitskampf damit als rechtswidrig, sodass die Lotsengewerkschaft Schadenersatz an den Flughafenbetreiber Fraport bezahlen muss.
Arbeitskampf: Nur Teil der Tarifverträge gekündigt
Im konkreten Fall ging es um einen mehrtägiger Streik, zu dem die Gewerkschaft der Flugsicherung die sogenannten Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen während eines Tarifkonflikts im Februar 2012 aufgerufen hatte. Streikbedingt sollen damals 1668 Flüge ausgefallen sein, etwa 70 bis 80 Prozent des Flugverkehrs lief nach Angaben des Flughafenbetreibers trotz des Arbeitskampfs.
Dabei bestand zwischen GdF und Fraport ein Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Vorfeldkontrolle und Verkehrszentrale, dessen Bestimmungen für die Laufzeit des Tarifvertrags abschließend sein sollten. Die Regelungen in § 5 bis § 8 des Tarifvertrags waren erstmalig zum 31. Dezember 2017 kündbar, die übrigen bereits zum 31. Dezember 2011.
Friedenspflicht missachtet, Streik rechtswidrig
Nach Teilkündigung des Tarifvertrags – mit Ausnahme von § 5 bis § 8 – durch die GdF zum 31. Dezember 2011 verhandelten diese und Fraport über einen neuen Tarifvertrag. Im vereinbarten Schlichtungsverfahren empfahl der Schlichter eine Lösung, die jedoch auch Ergänzungen zu dem noch ungekündigten Teil des Tarifvertrags enthielt. Die Empfehlung des Schlichters – inklusive der noch der Friedenspflicht unterfallenden Bereiche – war jedoch letztlich das Ziel des Streiks.
Daher hielten die obersten deutschen Arbeitsrichter den von der GdF getragenen Streik – als einheitliche und unteilbar zu beurteilende Handlung – für rechtswidrig. Er diente der Durchsetzung der Schlichterempfehlung und damit auch der Modifizierung von ungekündigten Bestimmungen des Tarifvertrags, stellte das BAG fest. Bezüglich dieser Regelungen galt jedoch noch die tarifvertraglich vereinbarte erweiterte Friedenspflicht. Diese verwehrte es der GdF, Änderungen mit Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen.
Schadenersatz: Höheres Risiko bei Gewerkschaften
Den Einwand der Gewerkschaft, sie hätte denselben Streik auch ohne die der Friedenspflicht unterliegenden Forderungen geführt, sei unbeachtlich, entschied das BAG. Auf eine Diskussion der GdF-Anwälte, dass es sich nur um Nebenforderungen zum Gesundheitsschutz handelte, ließ sich die Vorsitzende des Senats, Ingrid Schmidt, nicht ein. "Wer bewertet das Gewicht von Forderungen", fragte sie. Damit fällte der Senat eine grundsätzliche Entscheidung, mit der er die Bedeutung der Friedenspflicht bei Streiks höher bewertete als die Vorinstanzen.
Nach Einschätzung von Arbeitsrechtlern kann die Entscheidung der Bundesrichter Auswirkungen auch auf Arbeitskämpfe anderer Gewerkschaften haben, die während der Tarifrunden jährlich für Hunderttausende Arbeitnehmer geführt werden. Zwar besteht der Anspruch auf Schadenersatz nur bei einem rechtswidrigen Streik. Dennoch: Das Streikrisiko der Gewerkschaften steige, weil nach dem Urteil die Verletzung der Friedenspflicht schon bei einer einzigen Streikforderungen den gesamten Arbeitskampf unrechtmäßig machen kann.
Friedenspflicht: BAG-Urteil schockiert Gewerkschaften
Dies beklagte auch der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Luftverkehr, Nicoley Baublies, und kritisierte das BAG-Urteil. Nach der Entscheidung der Bundesrichter reiche bei einem Arbeitskampf "ein fauler Apfel im Korb", um Streiks für rechtswidrig zu erklären und Schadenersatz zu fordern, sagte Baublies der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Die Entscheidung komme nach der Rechtsprechung der Vorinstanzen überraschend. "Das Urteil schockiert uns."
Es sei zu befürchten, dass Spartengewerkschaften durch hohe Schadenersatzforderungen in Existenzgefahr gerieten. Baublies rechnet damit, dass die Berufsgewerkschaften nach dem Urteil «zusammenrücken werden». Die seit etwa einem Jahr bestehende IG Luftverkehr bündelt nach seinen Angaben die Gewerkschaften in diesem Bereich. Dazu gehörten neben der GdF, Ufo oder die Vereinigung Cockpit.
Schadenersatz: Genaue Höhe muss LAG ermitteln
Im Gegensatz zu den beiden Vorinstanzen in Hessen gab das BAG also der Schadenersatzklage von Fraport als direkt vom Streik betroffenen Unternehmen statt. Für Fraport geht es nach Angaben eines Unternehmenssprechers um einen Schaden von rund 5,2 Millionen Euro.
Die genaue Höhe muss nun das Hessische Landesarbeitsgericht festlegen. GdF-Chef Matthias Maas sieht trotz der drohenden Zahlungen die Existenz der kleinen Gewerkschaft nicht gefährdet. "Es wird die Gewerkschaft der Flugsicherung weiter geben", sagte er.
Haftung bei Drittbetroffenen: Airlines gehen leer aus
Neben diesem Urteil konnte die GdF zumindest einen Teilerfolg für sich verbuchen – auch wenn dieser aufgrund einer früheren BAG-Entscheidung absehbar war: Auch die Airlines Lufthansa und Air Berlin wollten Ihren durch den rechtswidrigen Streik entstandenen Schaden von der Gewerkschaft ersetzt haben. Sie gingen als sogenannte Drittbetroffene vor dem BAG jedoch leer aus. Ihre Schadenersatzklage, bei der Lufthansa waren es knapp 3,9 Millionen Euro, bei Air Berlin 131 000 Euro, hatte keinen Erfolg, da sie nicht unmittelbar vom Streik betroffen waren.
Bereits 2015 hatte das Bundesarbeitsgericht - damals am Beispiel eines GdF-Streiks am Flughafen Stuttgart - entschieden, dass Gewerkschaften für die Folgekosten bei nicht direkt bestreikten Unternehmen nicht haften müssen.
Hinweis: BAG, Urteil vom 26. Juli 2016, Az. 1 AZR 160/14; Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Dezember 2013, Az. 9 Sa 592/13
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