Tarifbindung: Führt Metall-Tarifverhandlung zur Tarifflucht

Tarifbindung oder Tarifflucht? In den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie fordert die IG Metall mehr Lohn und ein neues Teilzeitmodell. Daher liebäugeln einige Unternehmen mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband. Was dabei zu beachten ist, erläutert Rechtsanwalt Bernd Pirpamer.

Haufe Online-Redaktion: Die neue Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie hat gerade begonnen. Warum sorgt gerade diese Runde für verstärkte Diskussionen über das Thema Tarifflucht?

Bernd Pirpamer: Nahezu in jeder Tarifrunde stehen einzelne Unternehmen vor der Frage, ob Sie den tarifschließenden Arbeitgeberverband vor dem Tarifabschluss verlassen wollen oder nicht. Ob ein Verbandsaustritt dann tatsächlich erfolgt, hängt von den unterschiedlichsten Faktoren ab, die stets unternehmensspezifisch sind. An hohe Entgeltforderungen haben sich die Unternehmen mittlerweile gewöhnt. Sie verlassen sich zurecht auf das Verhandlungsgeschick ihres Verbands. Zu großen Bedenken führen allerdings Strukturforderungen abseits des Entgelts: Aktuell fordert die IG Metall den Anspruch auf Teilzeit verbunden mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit und der Pflicht des Arbeitgebers, diese Arbeitszeitreduzierung zu bezuschussen.

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In diesem Ausmaß ist diese Forderung Neuland. Zahlreiche Unternehmen dürften ratlos sein, wie man diese Wünsche beispielsweise mit einem Vollkontischichtmodell oder anderen eingespielten Arbeitszeitsystemen in Einklang bringen kann. Der Arbeitsmarkt stellt eine zusätzliche Hürde dar. Denn die Unternehmen suchen bekanntlich händeringend nach dem richtig qualifizierten Personal und finden es kaum. Die bestehende Belegschaft und deren Kapazitäten sind deshalb unverzichtbar. Die umfangreiche Forderung nach dem Teilzeitmodell greift also elementar in die Arbeitszeitmodelle der Unternehmen ein. Dies ist nach meiner Einschätzung ein entscheidender Auslöser für das aktuell steigende Beratungsfeld zum Verbandsaustritt.

Tarifbindung: Vorsorglich mit Verbandsaustritt beschäftigen

Haufe Online-Redaktion: Rechnen Sie mit der Zunahme von Verbandsaustritten?  

Pirpamer: Das lässt sich augenblicklich noch nicht sagen und wird vorrangig von den Verbänden zu beurteilen sein, da diese das Stimmungsbild in der Mitgliedschaft einschätzen können. Allerdings nehmen die Anfragen für eine Beratung zum Verbandsaustritt bei uns aktuell zu. Nach unserer Beobachtung verfolgen die Unternehmen in dieser Tarifrunde sehr genau, welche Verhandlungsergebnisse sich entwickeln und entscheiden dann rechtzeitig, welchen Weg sie einschlagen wollen.

Besonders zu begrüßen ist die von den Verbänden gestellte Gegenforderung nach einer Arbeitszeitflexibilisierung nach oben. Dies verdeutlicht den eigentlichen Bedarf der heutigen Unternehmen in Deutschland. Daher dürften einige Unternehmen derzeit eher beobachten, abwarten und sich vorsorglich mit dem Thema "Verbandsaustritt" auseinandersetzen.

Tarifflucht: Schnellschüsse vermeiden

Haufe Online-Redaktion: Was ist bei einem Verbandsaustritt zu beachten?

Pirpamer: Unverzichtbar ist eine sachliche Analyse und gute Vorbereitung. Ein Verbandsaustritt, also die Beendigung der tarifgebundenen Mitgliedschaft, muss mit Augenmaß vorbereitet und durchgeführt werden. Hauruck-Aktionen führen in der Regel zu unerwarteten Eskalationen und Negativeffekten, die oft vermeidbar sind. Jedes Unternehmen muss die einschlägigen Gerichtsentscheidungen beachten. Nach dem BAG muss die zuständige Gewerkschaft in gewissen Fällen von dem Austritt informiert sein, damit der Austritt die Bindung an den neuen Tarifabschluss verhindern kann.

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Der Verbandsaustritt hat ohnehin verschiedene Gesichter: Neben der Grundform des Austritts, also der Kündigung der Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband, gibt es weitere Beispiele wie etwa die Ausgliederung in eine tariffreie Gesellschaft oder das Herauswachsen aus einer Tarifbranche. Neben zahlreichen rechtlichen Aspekten sind die richtige Kommunikation und eine glaubwürdige Strategie für den Verbandsaustritt ausschlaggebend. Selbst wenn Unternehmen in der Regel die sogenannten OT-Mitgliedschaften in den Verbänden beibehalten, darf die Wirkung einer Beendigung der tarifgebundenen Mitgliedschaft keinesfalls unterschätzt werden. Daher ist die verbundene Beratung zwischen Recht, Strategie und Kommunikation der Schlüssel zu einer gut überlegte Entscheidung für oder gegen einen Verbandsaustritt.


Bernd Pirpamer ist Rechtsanwalt und Partner bei Eversheds Sutherland LLP in München.

Das Interview führte Michael Miller.


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Schlagworte zum Thema:  Tarifverhandlung, Tarifvertrag