Blutspendedienst muss betriebliche Mitbestimmung zulassen
Es verstößt nicht gegen die Verfassung, wenn das oberste deutsche Arbeitsgericht einen Blutspende-Dienst nicht als karitativen Tendenzbetrieb anerkennt. Zwar ist die Organisation als gemeinnützig registriert und genießt daher steuerrechtliche Vorzüge. Arbeitsrechtlich kann sich die Gesellschaft jedoch nicht auf eine Sonderstellung als Tendenzbetrieb berufen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits 2012. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun eine Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss des BAG bereits im Vorfeld abgelehnt und noch nicht einmal zur Entscheidung angenommen. Der BAG-Beschluss ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Mitbestimmung: Wann ein Tendenzbetrieb vorliegt
In der Entscheidung des BAG ging es darum, einen Wirtschaftsausschuss im Unternehmen zu bilden. Für Tendenzbetriebe finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zum Wirtschaftsausschuss jedoch keine Anwendung. Auf den Tendenzschutz können sich jedoch nur die Arbeitgeber berufen, die die Voraussetzungen des § 118 BetrVG erfüllen, also Unternehmen oder Betriebe, die:
- unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder
- Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet,
dienen. Für diese ist das BetrVG nicht anzuwenden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht.
Das BAG hatte nun in seiner Entscheidung den Begriff "karitativ" eng ausgelegt. Ein Unternehmen diene nur dann unmittelbar karitativen Bestimmungen, wenn der Tendenzzweck in dem Unternehmen selbst verwirklicht wird, entschieden die Erfurter Richter. Der Dienst der Organisation müsse danach den leidenden Menschen direkt zugutekommen. Dies trage dem Umstand Rechnung, dass das Prinzip der Nächstenliebe Maßstab jedes – unternehmerischen – Handelns sein könnte, ohne dass es sich unmittelbar bei den Hilfsbedürftigen selbst verwirklicht.
BVerfG: Kein Tendenzbetrieb, keine weltanschauliche Dimension
Diese enge Auslegung des BAG verstoße nicht gegen die Verfassung, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. So könne sich der Blutspendedienst nicht auf Artikel 4 Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes berufen. Zwar werde das Unternehmen von einer übergreifend karitativ-humanitären Bestimmung geleitet. Eine religiöse oder weltanschauliche Dimension ist jedoch kein bestimmendes Element der Tätigkeit. Hinreichend substantiierte Anhaltspunkte dafür wurden weder vorgetragen noch seien sie anderweitig ersichtlich, begründeten die Verfassungsrichter ihre Entscheidung.
Das BAG-Urteil beruhe auch nicht auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen. Vielmehr, argumentierten die Verfassungsrichter, folge das BAG anerkannten Grundsätzen. § 118 BetrVG normiere eine Ausnahme von der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten einer betrieblichen Mitbestimmung. Das BAG geht davon aus, dass diese Ausnahme zur Mitbestimmung nur dann greife, wenn bei einer karitativen Tätigkeit der Dienst an leidenden Menschen direkt erbracht wird. Diese enge Auslegung verstoße nicht gegen das Willkürverbot.
Wirtschaftsausschuss für Unternehmen zumutbar
Nicht zuletzt schränke das BAG-Urteil auch nicht die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) in unzumutbarer Weise ein. Letztlich fehlten dem Verfassungsgericht auch Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit des Blutspendediensts durch die Bildung eines Wirtschaftsausschusses in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde.
Insofern bestätigte das BVerfG das Ergebnis des BAG: Zwar ist der Blutspendedienst steuerrechtlich als gemeinnützig anerkannt und den internationalen Grundsätzen der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung verpflichtet. Das gesammelte menschliche Blut wird von der Gesellschaft medizinisch getestet, aufbereitet und anschließend entgeltlich an Krankenhäuser oder Ärzte abgegeben. Sie ist jedoch kein Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, sodass im Ergebnis ein Wirtschaftsausschuss (§§ 106 ff. BetrVG) gebildet werden muss.
Hinweis: BVerfG, Beschluss vom 30. April 2015, Az. 1 BvR 2274/12
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