Wenn der Mitarbeiter vorzeitig geht

In der aktuellen Lage auf dem Arbeitnehmermarkt können sich gute Fachkräfte leicht einen neuen Arbeitgeber aussuchen. Verlockende Angebote können zum schnellen Wechsel verleiten. Doch was ist, wenn lange Kündigungsfristen vorhanden sind? Der Arbeitsrechtler Dr. Marc Spielberger gibt Auskunft.

Haufe Online-Redaktion: Ein Mitarbeiter erhält ein verlockendes Angebot für eine neue Stelle und sagt dort zu, ohne die Kündigungsfrist zu beachten: Kann der "verlassene" Arbeitgeber den Mitarbeiter zwingen, bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist beim alten Arbeitsplatz zu arbeiten?

Dr. Marc Spielberger: Der bisherige Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer auf Erbringung der Arbeitsleistung bis zum Ablauf der geltenden Kündigungsfrist verklagen. Ein entsprechendes Leistungsurteil ist allerdings nach § 888 Abs. 3 ZPO nicht vollstreckbar. Das ist die Krux. Faktisch kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer also nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zwingen. Auch eine Klage auf Feststellung des Bestehens des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bringt im Ergebnis wenig.

 

Haufe Online Redaktion: Dann kann der Arbeitnehmer faktisch also einfach so gehen, wann er will?

Dr. Marc Spielberger: Nein. Stehen der neue und der bisherige Arbeitgeber in Wettbewerb zueinander, verstößt der Arbeitnehmer, wenn er während der noch laufenden Kündigungsfrist bereits für den neuen Arbeitgeber tätig wird, gegen sein vertragliches Wettbewerbsverbot. Der bisherige Arbeitgeber kann im Wege der einstweiligen Verfügung dem Arbeitnehmer untersagen, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist beim neuen Arbeitgeber zu arbeiten.

 

Haufe Online Redaktion: Sofern der Arbeitnehmer dennoch das Unternehmen ohne Einhaltung der Kündigungsfrist verlässt, welche finanziellen Forderungen kann der bisherige Arbeitgeber gegenüber dem vertragsbrüchigen Arbeitnehmer geltend machen?

Dr. Marc Spielberger: Sofern, was eher selten der Fall ist, die Parteien eine wirksame Vertragsstrafe für diesen Fall des Vertragsbruchs vereinbart haben, kann der Arbeitgeber diese vom Arbeitnehmer verlangen, regelmäßig ein Bruttomonatsgehalt. Daneben kann sich der Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig machen. Mögliche Schadensposten können der Ersatz des entgangenen Gewinns, die Kosten für eine Ersatzkraft, Kosten für Mehrarbeit der übrigen Arbeitnehmer (Überstundenzuschläge), Kosten für die Beschaffung einer neuen Arbeitskraft oder Strafen, die der Arbeitgeber wegen nicht rechtzeitiger Erbringung der Leistung an seine Vertragspartner zahlen musste sein. Denkbar sind außerdem Entschädigungsansprüche nach § 61 Abs. 2 ArbGG. Verklagt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Erbringung der Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, kann er bereits in diesem Verfahren beantragen, den Arbeitnehmer für den Fall, dass die geschuldete Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer nach freiem Ermessen des Gerichts festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. 

 

Haufe Online Redaktion: Wie realistisch ist die erfolgreiche Durchsetzung eventueller finanzieller Forderungen des alten Arbeitgebers?

Dr. Marc Spielberger: Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe ihm infolge der vorzeitigen Einstellung der Arbeit Schäden entstanden sind und dass diese Schäden gerade auf dem Arbeitsausfall beruhen. In der Praxis ist es oft schwierig, die Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers und dem entstandenen Schaden und die konkrete Schadenshöhe darzulegen und zu beweisen. Dasselbe gilt für den Anspruch über § 61 Abs. 2 ArbGG, da auch hier für Schäden dargelegt werden müssen. Daher ist der Schadensersatzanspruch häufig ein eher stumpfes Schwert.

 

Das Interview führte: Renate Fischer, Ass. jur. (Haufe-Lexware)

Autor: Dr. Marc Spielberger, Partner der Kanzlei BEITEN BURKHARDT in München, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht


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