Frontbericht zur Änderung in der Pflegeversicherung


Frontbericht zur Änderung in der Pflegeversicherung

Familien mit zwei oder mehr Kindern sollen in der Pflegeversicherung um 0,25 Beitragssatzpunkten entlastet werden - so sieht es das vom Bundestag verabschiedete Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz vor. Doch wie soll der Arbeitgeber von der Anzahl der Kinder erfahren? "Effizient und bürgerfreundlich", sagt der Gesetzgeber, "realitätsfern und aufwändig" meint unsere Kolumnistin Christiane Droste-Klempp.

Die Fakten zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) sind nun bekannt: Der Kinderlosenzuschlag wird um 0,25 Beitragssatzpunkte auf 0,6 Beitragssatzpunkte angehoben und Mitglieder mit mehreren Kindern werden ab dem zweiten bis zum fünften Kind mit einem Abschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten für jedes Kind (bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jeweiligen Kindes) entlastet. Sicherlich fragen Sie sich weiterhin, wie der Arbeitgeber Anzahl und Alter der Kinder erfahren soll? Nun, dies ist seit 24. Mai 2023 kein Problem mehr, denn da haben wir über die Beschlussempfehlung des Bundestages folgendes erfahren:

"Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen und ein möglichst effizientes, schnelles und bürgerfreundliches Verwaltungshandeln zu gewährleisten, wird bis zum 31. März 2025 ein digitales Verfahren zur Erhebung und zum Nachweis der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder entwickelt."

So sieht die "bürgerfreundliche" Ausgestaltung in der Realität aus

Bürgerfreundlich soll es also ausgestaltet werden. Dieses so harmlos daherkommende Wörtchen "bürgerfreundlich" bekommt für Arbeitgeber eine völlig neue Bedeutung: Denn diese sind seit einigen Wochen intensiv damit beschäftigt, zahlreiche Musteranschreiben für ihre Mitarbeitenden anzufertigen, um Anzahl und Alter der Kinder abzufragen - dies selbstverständlich unter Berücksichtigung von § 26 des Datenschutzgesetzes der einfach ausgedrückt besagt, dass Daten nur abgefragt werden dürfen, wenn diese auch tatsächlich benötigt werden. Wer also aktuell nicht in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlt, der darf auch nicht gefragt werden.

Eine Freundin von mir ist Personalleiterin bei einem Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitenden. Sie sagte zu mir: "Christiane, was erzählst du mir da. Wie soll ich das denn bis zum 1. Juli 2023 umsetzen?". Seit Jahren schon hallt mir der Satz "Wie soll ich das bloß umsetzen?" in den Ohren: beim Infektionsschutzgesetz, bei der Kurzarbeit, der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - und nun auch beim PUEG.

Wie kann es sein, dass zunehmend Gesetze verabschiedet werden, denen jeglicher Praxisbezug fehlt?! Dass Arbeitgeber das PUEG zeitnah umzusetzen haben und der Gesetzgeber sich selbst lange Zeiträume bis zum 31. März 2025 verschafft?!

Verspätete Nachweise, verspätete Probleme?

"Moment!", ruft mir jemand der mit dem PUEG vertraut ist, zu. Der Arbeitgeber muss doch das Verfahren überhaupt nicht pünktlich bis zum 1. Juli 2023 umsetzen, denn im Gesetz ist ja zu lesen, dass "Nachweise für Kinder, die im Zeitraum vom 1. Juli 2023 bis zum 30. Juni 2025 geboren werden, ab Beginn des Monats der Geburt wirken" – also rückwirkend. Na dann ist es doch kein Problem – sagt der, der keine Ahnung von der Praxis hat. Denn jeder, der sich auskennt, weiß, dass verspätete Nachweise andere Probleme mit sich bringen wie zum Beispiel:

  • die steuerliche Betrachtungsweise
  • Lohnersatzleistungen (Krankengeld, Zuschuss zum Mutterschaftsgeld, …)
  • Berechnung der Midijobs.

Neben diesen Korrekturen können verspätete Nachweise auch dazu führen, dass die begünstigten Mitglieder gegebenenfalls erst später von den Abschlägen profitieren. Wie schön, dass der Gesetzgeber auch in diesem Fall eine scheinbar einfache Lösung gefunden hat: "Um finanzielle Nachteile für sie zu vermeiden, ist der Erstattungsbetrag vollständig zu verzinsen."

Womit erkennbar ist, dass dem Gesetzgeber der § 27 des vierten Sozialgesetzbuches wohl nicht bekannt oder eben gleichgültig ist. Denn nach der derzeitigen Rechtslage ist eine Aufrechnung zu Unrecht gezahlter Beiträge durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin eine Verzinsung nach § 27 Abs. 1 SGB IV geltend macht. Insofern ist eine getrennte Aufrechnung / Beitragserstattung beim Arbeitgeber und Verzinsung durch die Krankenkasse ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer ist an die Krankenkasse zu verweisen bzw. der ohnehin vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam auszufüllende Erstattungsantrag ist direkt bei der Krankenkasse zu stellen.

Wo bleibt die Fachkompetenz im Gesetzgebungsverfahren?

Pest oder Cholera - der Arbeitgeber hat die Wahl. Die Abrechnungen im Fall von verspäteten Nachweisen (und die meisten werden verspätet eintreffen) korrigieren, wodurch die Zinsen für die Arbeitnehmenden flöten gehen, oder die Abrechnung nicht korrigieren und den Erstattungsantrag bei der Krankenkasse stellen, weshalb dann andere Bestandteile der Entgeltabrechnung wie Steuer, Lohnersatzleistungen usw. falsch sind.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich für dieses "bürgerfreundliche" Gesetz bedanken und sehe mich ratlos mit der Frage konfrontiert: Gibt es denn keine Experten mehr, die das Gesetzgebungsverfahren mit Fachkompetenz und Praxisnähe begleiten könnten? Wenn sich diese Handhabung fortsetzt, müssen wir akzeptieren, dass der Unternehmenserfolg gemindert wird - denn Gesetze wie dieses binden enorme Ressourcen, die dringend an anderen Stellen benötigt werden. Bezogen auf die Vielzahl von neuen Gesetzen und Verfahren, die in den letzten Jahren von den Personalabteilungen umgesetzt und begleitet werden mussten, sind tausende von Arbeitsstunden angefallen, die nicht genutzt werden konnten für wirklich wichtige Themen wie Optimierungsprozesse, Digitalisierung, Personalentwicklung und und und.

Demzufolge habe ich die begründete Sorge, dass es nicht beim ersten Frontbericht zur Pflegeversicherung bleiben wird. Denn einfach geht anders!


Christiane Droste-Klempp arbeitet im eigenen Unternehmen als Trainerin, Beraterin und Projektleiterin für sämtliche Themen des Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts und berät seit vielen Jahren Unternehmen bei der Auswahl und Umsetzung strategischer Personalmodelle.