"Candidate Centricity": Bewerber in den Mittelpunkt stellen


Candidate Centricity: Bewerber in den Mittelpunkt stellen

Weniger über den Fachkräftemangel jammern, mehr an der "Candidate Centricity" arbeiten. So laute der Rat unseres Kolumnisten Henner Knabenreich. Er sieht noch immer fatale Fehler auf (Karriere-) Seiten der Unternehmen und ruft  zu mehr Marketing-Denke analog der "Customer First"-Philosophie auf.

Deutschland jammert über den Fachkräftemangel. "Für 56 Prozent der Unternehmen ist der 'Fachkräftemangel' das größte Geschäftsrisiko", zu diesem Schluss kommt beispielsweise eine Studie des DIHK. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks steckt Millionen in eine Kampagne, die im Nichts verpufft und konstatiert, dass "der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel unser Wachstum im Handwerk hemmt."

Berater konstatieren einen gravierenden Fachkräftemangel

Auch im EY Mittelstandsbarometer ist zu lesen: "Gut jeder zweite Mittelständler beklagt, dass er Aufträge nicht annehmen kann, weil ihm geeignete Fachkräfte fehlen. Insgesamt dürfte sich der Schaden durch derartige entgangene Umsätze auf jährlich gut 49 Milliarden Euro belaufen."

Logisch, dass das, was gerne als "Fachkräftemangel" kolportiert wird, auch "zu entgangenen Wachstumschancen und geringerer Produktivität" führt, so die klugen Berater von Deloitte.

Unternehmen verfahren im Personalmarketing weiter nach Schema F

Und die Unternehmen? Die fahren weiterhin ihren Stiefel. Und so liest man da etwa auf den Karriereseiten der Republik "Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir ausschließlich Online-Bewerbungen über unser Online-Bewerbungsformular berücksichtigen können. Bewerbungen per E-Mail oder per Post können nicht verarbeitet und in unseren Bewerbungsprozess aufgenommen werden". Auf Deutsch, sorry, wir kriegen tonnenweise Bewerbungen und haben echt Wichtigeres zu tun, als deine Bewerbung einzuscannen. Oder: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir etwaige mit der Wahrnehmung dieses Vorstellungsgesprächs verbundene Kosten nicht übernehmen können." Übersetzt: Wir würden dich ja gerne einstellen, aber wir haben nicht mal das Geld, dir die Fahrkarte zum Vorstellungsgespräch zu bezahlen, du Sozialschmarotzer! Es verwundert nicht, dass die Reaktion vieler potenzieller Bewerber, die klaren Verstandes und sich ihres Marktwertes bewusst sind, in etwa so ausfällt: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich auf eine Bewerbung verzichte!

Der Arbeitsmarkt und das, was da draußen passiert (nennen wir es ruhig VUCA) zwingen die offenbar so verzweifelt suchenden Recruiter die Bewerber in den Mittelpunkt ihrer Ansprache zu stellen. Während es schon seit Jahren heißt "der Kunde ist König", wird der Bewerber in vielen Unternehmen weiterhin als lästiger Bittsteller empfunden. Klar, so ein Bewerber nimmt ganz schön viele Ressourcen in Anspruch.

"Candidate Centricity" und "Candidate First"-Philosophie: Bisher nicht ausreichend umgesetzt

Offenbar haben viele Arbeitgeber immer noch nicht verstanden, dass es gilt, diese vermeintlichen Bittsteller als das zu verstehen und zu behandeln, wie es gerne proklamiert wird. Nämlich als "wichtigstes Gut des Unternehmens" - und als Kunden. Stattdessen werden die, die es dann tatsächlich irgendwie zum Bewerbungsformular geschafft haben, vor den Kopf gestoßen und mit umständlichen Bewerbungsprozessen auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Und obwohl wir mittlerweile in vielen Bereichen einen Bewerbermarkt haben und es unglaubliche Parallelen zwischen Produkt- und Personalmarketing gibt, ist der kundenzentrierte Ansatz im Recruiting noch lange nicht angekommen. Denn diese "Candidate First"-Philosophie (abgeleitet von Amazon-Chef Jeff Bezos "Customer First"-Philosophie), dieses "die Anforderungen der Bewerber verstehen" ist es, was die Candidate Centricity ausmacht.

Glauben Sie allen Ernstes, Amazon wäre so erfolgreich, wenn das Unternehmen seine Kunden von Anfang an mit Füßen getreten hätte? Was glauben Sie, wie erfolgreich Sie im Recruiting sein könnten, wenn Sie Ihren Kandidaten so manches Leid ersparen würden (zum Beispiel in Form von Anmeldemasken und miserabler E-Recruiting-Software oder austauschbaren, uninspirierenden Inhalten auf Karriere-Websites) und sie anstatt mit Füßen zu treten auf Händen tragen?

"Customer Centricity" auf die Bewerberansprache übertragen

Letztlich ist dieser bewerberzentrierte Ansatz der Erfolgsfaktor der Unternehmen, die sich vom Wettbewerb unterscheiden, der nicht so agiert. Überträgt man den Ansatz der "Customer Centricity" auf die Bewerberansprache, so könnte man "Candidate Centricity" wie folgt beschreiben: "Candidate Centricity" ist eine durchgängige und integrative Unternehmensstrategie, die auf den Bewerber und seine individuellen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Unternehmensstrategie heißt, dass dieser Ansatz langfristig und nachhaltig gelebt wird – und nicht nur, wenn gerade Not am Mann ist. Genau diese negativen Erfahrungen im gesamten Bewerbungsprozess sind es, die mitunter dafür sorgen, dass Unternehmen massive Verluste davontragen, die weit über „nur“ den Verlust eines oder mehrerer Kandidaten hinausgehen, sondern Unternehmen Millionen (!) kosten.


"Candidate Centricity" ist eine durchgängige und integrative Unternehmensstrategie, die auf den Bewerber und seine individuellen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Unternehmensstrategie heißt, dass dieser Ansatz langfristig und nachhaltig gelebt wird.


Unser Kolumnist Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH. Er berät Unternehmen bei der Optimierung ihres Arbeitgeberauftritts. Zudem ist er Initiator von  www.personalblogger.net und betreibt den Blog  personalmarketing2null.de.

Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Personalmarketing