Manche Unternehmen orientieren sich bei der Besetzung von Spitzenpositionen an der Politik: Je höher die Position, desto weniger wichtig erscheint die Fachkompetenz der Betroffenen. Wer gestern noch das Familienministerium geleitet hat, steht heute dem Verteidigungsministerium vor. Wer heute als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium arbeitet, wechselt morgen in den Aufsichtsrat einer Flughafengesellschaft.
Neben dem fürsorglichen Ansinnen, dass treue Netzwerkmitglieder gut versorgt in den Vorruhestand gehen, steckt hinter dieser Praxis wohl nicht selten auch die Idee, dass es gar nicht wichtig sei, auch nur rudimentäre Fachkompetenz zu besitzen. Managementkompetenzen erscheinen vielen Menschen nicht nur als notwendig, sondern auch als hinreichend für den Erfolg in beliebigen Führungspositionen.
Der Dunning-Kruger-Effekt in der Personalauswahl
Gegen diese Interpretation spricht aus Sicht der Psychologie der Dunning-Kruger-Effekt. Er besagt, dass Menschen in einem bestimmten Kompetenzbereich grundlegende Fachkenntnisse besitzen müssen, um die Komplexität der Materie zu verstehen und die Grenzen ihrer eigenen Expertise halbwegs zutreffend einschätzen zu können. Je weniger Ahnung ein Entscheidungsträger von einer Materie hat, desto stärker überschätzt er seine Kompetenzen und desto selbstbewusster trifft er Fehlentscheidungen.
Eine aktuelle Studie verdeutlicht den Dunning-Kruger-Effekt am Beispiel der Personalauswahl. Die Entscheidung über die Gestaltung eines Auswahlverfahrens wird häufig von Menschen getroffen, die über kein diagnostisches Wissen verfügen. Ihre fehlerhaften Einschätzungen zur Aussagekraft bestimmter Auswahlmethoden haben weitreichende Konsequenzen. So ist beispielsweise seit langer Zeit bekannt, dass Intelligenztests ein sehr sinnvolles Instrument bei der Besetzung von Managementpositionen darstellen, sie aber dennoch nur sehr selten in Deutschland zu diesem Zweck eingesetzt werden. Ähnlich verhält es sich mit hochstrukturierten Einstellungsinterviews, die um ein Vielfaches besser in der Lage sind, berufliche Leistung zu prognostizieren als Interviews mit einem geringem Strukturierungsgrad. Dennoch dominieren in Deutschland nach wie vor geringstrukturierte Verfahren den Alltag der Personalauswahl.
Von Selbstüberschätzung und Selbstkritik
In der Studie wurden Praktiker zunächst gebeten, die Prognosegüte verschiedener Auswahlmethoden einzuschätzen – also anzugeben, zu wie viel Prozent sich die berufliche Leistung im Durchschnitt zum Beispiel mit einem Intelligenztest vorhersagen lässt. Später wurden im Zuge der Auswertung diese Schätzungen mit der Realität verglichen, sodass ihre Qualität berechnet werden konnte. Zusätzlich mussten die Probanden selbst einschätzen, wie qualitativ hochwertig ihre Angaben zur Prognosegüte der verschiedenen Auswahlmethoden waren. Im Ergebnis zeigten sich zwei zentrale Befunde:
- Je schlechter die reale Qualität der eigenen Schätzung ausfiel, desto mehr überschätzen die Betroffenen ihre eigene Kompetenzen in der Einschätzung der verschiedenen Auswahlmethoden.
- Diejenigen, die die qualitativ besten Schätzungen abgaben, waren hingegen betont selbstkritisch. Sie unterschätzten sogar die Qualität ihres Fachwissens.
Dies hat weitreichende Konsequenzen. Wenn Manager nur noch über Metakompetenzen verfügen, ohne auch nur grundlegende Fachkompetenz in ihrem Entscheidungsbereich aufzuweisen, haben sie auch keinen Blick mehr für die reale Komplexität der Probleme. In der Folge fällt es ihnen besonders leicht, sich selbst zu überschätzen. Die Konsequenzen sind Fehlentscheidungen, wobei die Verantwortlichen selbst nicht mal mehr auf die Idee kommen, dass ihnen Fehler unterlaufen. Und dabei fühlen sie sich auch noch äußerst gut. Je geringer die Fachkompetenz, desto größer ist der Selbstbetrug und desto besser fühlt man sich bei den eigenen (Fehl-)Entscheidungen.
Fachkompetenz trägt zu besserer Einschätzung bei
Wer sich vor dem Dunning-Kruger-Effekt schützen will, muss sich entweder fachliches Grundlagenwissen in seinem Verantwortungsbereich aneignen oder Fachfragen komplett an Mitarbeitende delegieren, die Ahnung von der Materie haben. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, wenn Personaler sich als reine Dienstleister verstehen und beispielsweise der Fachvorgesetzte aus dem Presswerk entscheidet, welche diagnostischen Methoden bei der Auswahl seiner Mitarbeitenden zum Einsatz kommen.
Eine ganz andere Lösung für das Problem wäre, schon bei der Besetzung einflussreicher Stellen auf eine hinreichende Fachkompetenz zu achten. Aber das wäre dann wohl doch eine zu weitgehende Forderung.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
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