Welche Vorteile hat eine 60-Sekunden-Bewerbung?
Haufe Online-Redaktion: Aus welchen Gründen haben Sie bei Henkel ein neues Bewerbungsverfahren eingeführt, das nur noch 60 Sekunden dauert?
Valeria Gladsztein: Im Rahmen der unternehmensweiten Digital-Strategie treiben wir natürlich auch die Digitalisierung der HR-Prozesse kontinuierlich voran. Hierbei geht es in erster Linie darum, die User Experience zu verbessern – nicht nur die Candidate Experience, sondern auch die Manager Experience von HR und den Hiring Managern. Da wir im Recruiting bislang Stand-Alone-Lösungen einsetzten, entschieden wir uns dazu, auf die Cloud-Plattform von Cornerstone On-Demand zu wechseln, die wir auch für das Lern- und Performance-Management nutzen. So können wir den gesamten Mitarbeiterlebenszyklus abdecken. Durch die neue Software, die seit Mitte Februar im Einsatz ist, wird die Nutzererfahrung erheblich verbessert und die Offline-Arbeit auf ein Minimum beschränkt.
Früher dauerte die Bewerbung fast eine halbe Stunde
Haufe Online-Redaktion: Wie war es vorher um die Candidate Experience bestellt? Wie lange hat eine Bewerbung gedauert, bevor Sie die neue Bewerbungsplattform einführten?
Gladsztein: Früher dauerte eine Bewerbung 20 bis 30 Minuten. Die Bewerber mussten zunächst einen Account anlegen, ein Passwort vergeben und sich dieses merken. Sie mussten nicht nur einen Lebenslauf hochladen, sondern auch sehr viele Felder ausfüllen, sodass die Bewerbung bei Henkel durchaus komplex war. Das hat dazu geführt, dass 30 bis 40 Prozent der Kandidaten den Bewerbungsprozess nicht abgeschlossen haben. Damit lagen wir zwar im Branchendurchschnitt, aber das entsprach nicht unseren Ansprüchen. Denn wir möchten keinen Bewerber im Prozess verlieren. Das wollten wir ändern und haben deshalb in eine neue Lösung investiert. Ein wichtiger Faktor hierbei war die User Experience.
40 bis 80 Prozent mehr Bewerber
Haufe Online-Redaktion: Können Sie weitere Zahlen nennen: Wie haben sich seitdem die Bewerberzahlen verändert? Und wie haben sich die Abbruchquoten während der Bewerbung entwickelt?
Gladsztein: Trotz der Corona-Pandemie stellen wir weiter ein und unser Recruitment-Team ist sehr aktiv. Im Durchschnitt haben wir etwa 860 offene Positionen weltweit. In den vergangenen drei Monaten wurden rund 1.000 neue Mitarbeiter eingestellt. Durch den neuen Prozess ist die Anzahl der Bewerbungen deutlich angestiegen – zu Beginn um rund 40 Prozent, zwischenzeitlich sogar um 80 Prozent. Das ist ein großer Sprung. Und auch die Abbruchquote ist stark gesunken und deutlich niedriger als zuvor.
Haufe Online-Redaktion: Sind die Informationen, die Sie in der 60-Sekunden-Bewerbung abrufen können, ausreichend, um eine gute Vorauswahl zu treffen?
Gladsztein: Absolut. Wir haben die neue Technologie eingeführt, um Informationen zielgerichteter einzuholen und um den Prozess so einfach und intuitiv wie möglich für die Bewerber zu machen. Trotzdem hat sich der grundlegende Recruitmentprozess nicht verändert. Stellensuchende können sich heute von jedem Gerät aus bewerben, ob mit dem Smartphone oder dem Desktop-PC, und sie können das 24 Stunden am Tag tun. Sie können sich mit ihrem Lebenslauf bewerben oder zu ihrem Linkedin-Account verlinken. Nicht mehr benötigt wird ein Anschreiben, denn wir schauen auf den beruflichen Werdegang, die konkreten Erfahrungen und die Qualifikationen der Kandidaten, die wir ihrem Lebenslauf entnehmen können. Das haben wir früher schon so gemacht. Nach einer Vorauswahl der geeigneten CVs führen unsere Recruiter einen sogenannten Screening Call durch, bei dem sie Informationen aus dem Lebenslauf oder dem Linkedin-Profil gegenchecken. Im nächsten Schritt findet dann ein Jobinterview statt. In den vergangenen Monaten haben wir aufgrund von Covid-19 alle Interviews virtuell durchgeführt.
Haufe Online-Redaktion: Wie sieht die Situation heute aus? Werden Vorstellungsgespräche auch wieder persönlich durchgeführt?
Gladsztein: Unsere Jobinterviews finden hauptsächlich virtuell via Microsoft Teams statt. Aber die Kontaktbeschränkungen durch Covid-19 sind je nach Land oder Region ganz unterschiedlich. In Ländern mit geringer Fallzahl führen wir auch Face-to-Face-Interviews, wenn die gesetzlichen Bestimmungen es ermöglichen und sich die Kandidaten und unsere Mitarbeiter damit wohlfühlen. Natürlich finden die Interviews unter strenger Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregelungen statt, die wir bei Henkel haben.
Der neue Onboarding-Prozess kam zur richtigen Zeit
Haufe Online-Redaktion: Findet Ihr Onboarding dann auch vornehmlich virtuell statt?
Gladsztein: Ja, wir haben Anfang des Jahres einen neuen Onboarding-Prozess gestartet, der über insgesamt sechs Monate geht. Das war aus heutiger Sicht genau der richtige Zeitpunkt. Der Prozess umfasst viele virtuelle Elemente, was gerade in den vergangenen Monaten sehr hilfreich war. Auch die in diesem Prozess geplanten Face-to-Face-Veranstaltungen können wir nun gut virtuell durchführen. Neue Mitarbeiter können von Anfang an von Zuhause aus arbeiten. Sie bekommen ihren Laptop und ihre Arbeitsmaterialien zugeschickt und erhalten alle benötigten Informationen über die Onboarding-Plattform. In virtuellen Meetings werden die Kollegen vorgestellt und die Zusammengehörigkeit gefördert. Das funktioniert sehr gut, auch wenn der persönliche Austausch natürlich gerade für neue Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig ist. Aber Sicherheit geht vor.
Haufe Online-Redaktion: Welche Stellen haben Sie vornehmlich zu besetzen?
Gladsztein: Das sind alle Arten von Jobs – von Berufen in der Fertigung bis zu Marketing- und Sales-Positionen und HR-Funktionen. Auch Ingenieure, Finanz- oder Digitalisierungsexperten werden benötigt. Henkel ist so groß, dass wir keine speziellen Schwerpunkte auf einer Jobfamilie haben.
CV-Matching und Video-Interviews sollen das Recruiting weiter optimieren
Haufe Online-Redaktion: Welche Pläne haben Sie zur weiteren Digitalisierung ihrer Recrutiment- und HR-Prozesse?
Gladsztein: Da haben wir einiges in der Pipeline, denn wir wollen uns immer weiterentwickeln und verbessern. Digitale Technologien entwickeln sich ja auch rasant weiter. Um beim Beispiel zu bleiben: Wir haben 40 Prozent mehr Bewerbungen als früher. Diese gilt es zu managen. Deshalb ist eines unserer Vorhaben, ein KI-basiertes CV-Matching einzuführen, das auf Basis der benötigten Kenntnisse und Erfahrungen eine Shortlist mit potenziellen Kandidaten erstellt, die das Job-Profil erfüllen können. Damit können sich die Recruiter besser auf die Qualität des Prozesses fokussieren und die gewonnene Zeit für den eigentlichen Kontakt mit den Kandidaten und den Hiring Manager nutzen. Auf diese Weise wollen wir die Recruitment-Erfahrung nicht nur für die Bewerber, sondern auch für die Recruiter verbessern.
Haufe Online-Redaktion: Soll es weitere Verbesserungen der Nutzerfreundlichkeit für Recruiter geben?
Gladsztein: Ein weiteres Tool, das dazu beitragen kann, sind Video-Interviews, die wir bei bestimmten Berufsgruppen einsetzen wollen. Die Kandidaten bekommen drei bis fünf Fragen zugesandt, die sie in einem kurzen Video beantworten. Auch das dient dazu, unseren Recruitern den Selektionsprozess zu erleichtern. Wichtig ist, dass auch diejenigen, die kein Video einreichen wollen, nicht vom Bewerbungsprozess ausgeschlossen werden. Aktuell führen wir dazu in der IMEA-Region ein Pilotprojekt durch. Wenn dies erfolgreich ist, werden wir die Video-Interviews im gesamten Unternehmen einsetzen. Aber ich möchte nochmals betonen: Das sind keine Stand-alone-Lösungen, sondern alles ist in die Cornerstone-Plattform integriert, um sicherzugehen, dass die Prozesse durchgängig sind und reibungslos ablaufen. Der Leitgedanke, der hinter all diesen Aktivitäten steht, ist die Nutzerfreundlichkeit zu optimieren – sowohl für Kandidaten und Bewerber, als auch für Recruiter, Hiring Manager und HR-Manager.
Zur Person: Valeria Gladsztein ist Global Head Recruitment, Employer Branding and Learning bei Henkel. Die Argentinierin ist seit 2006 für das Unternehmen tätig und hatte unter anderem HR-Führungspositionen in Mexiko, Kolumbien und Brasilien inne. Ihre nächste Station wird sie und ihre Familie nach Mexiko führen.
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