Als junger Manager durfte ich an einem Entwicklungsprogramm teilnehmen, bei dem unter anderem eine Projektarbeit zu aktuellen Leadership-Themen zu erbringen war. In einer kleinen Runde von fünf Kollegen haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, ob und wie "Employee Value", also eine wertschätzende Haltung gegenüber den Menschen im Unternehmen, Auswirkungen auf den Shareholder Value hat.
In unserer Diskussion ging es dann schnell um die Vorbildfunktion der Führungskraft. Für uns stellten wir fest, dass wir eines Tages nicht so sein wollten, wie viele der Top-Manager, die wir im Unternehmen erlebten. Wir empfanden einige von denen da oben schlicht als Arschlöcher und fragten uns, ob sie das wohl auch schon in jüngeren Jahren und den entsprechenden mittleren Management-Funktionen waren.
Führungsverhalten frühzeitig mittels Selbstreflexion hinterfragen
"Wie wird man zum Arschloch?" war dann auch schnell das Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben. Ich muss an dieser Stelle Feigheit eingestehen. In unserer abschließenden Projektpräsentation vor dem Vorstand tauchte das Wort "Arschloch" nicht auf, und auch unsere Grundvermutung haben wir für uns behalten. Unser Bericht war mehr ein Appell dafür, frühzeitiger mittels Selbstreflexion das eigene Führungsverhalten kritisch zu hinterfragen.
Wir haben uns seinerzeit in unserer Gruppe vorgenommen, uns im Auge zu behalten und uns auf beginnende "Arschloch"-Faktoren aufmerksam zu machen. Und wir stellten in den Folgejahren fest, dass es ein schleichender, aber stetiger Prozess war, der uns wie ein unbemerkter Sog negative Eigenschaften bescherte, die meist die anderen der Gruppe eher wahrnahmen, als der Betroffene selbst.
Heute, angekommen auf unterschiedlichen Top-Management-Funktionen, erkennen wir Züge an uns, die die Theorie belegen. Vielleicht hat uns aber die gegenseitige Achtsamkeit und die daraus entstehende Reflexion vor noch Schlimmerem bewahrt.
Sparring wird schwieriger, Kontakt zur Basis nimmt ab
Diese vermeintliche Anekdote aus meinem Führungsleben habe ich in die "Arschloch-Theorie" gegossen: Auf dem Weg nach oben verändern sich Menschen, zumeist zum Negativen. Plakativer: Mann wird auf dem Weg nach oben zum Arschloch. Für Frauen fehlt es mir an der nötigen Empirie; ich vermute jedoch, dass diese Wesensveränderung deutlich weniger ausgeprägt ist.
Die Gründe für die Veränderungen ins Negative sind vielfältig; es lassen sich jedoch einige gemeinsame Wesensmerkmale benennen:
- Ironie, die viele Manager als Schutzschild entwickelt haben, wird auf dem Weg nach oben zu Sarkasmus, in vielen Fällen zu Zynismus.
- Lernen wird weniger, auch wenn viele Top-Manager lebenslanges Lernen predigen, ist es für sie selbst häufig eine Floskel, sie werden lern- und beratungsresistent.
- Sparring in Form von kollegialem Umgang wird schwieriger, Führungskräfte werden einsamer, Ersatz in Form von Coaching ist in Deutschland (noch) nicht ausreichend hoffähig.
- Der Kontakt zur Basis nimmt ab, die Zahl der Ja-Sager nimmt zu, die Selbstreflexion bleibt auf der Strecke.
- Die Fremdbestimmung steigt sprunghaft an, Zeit wird zum kritischen Faktor, der Ausgleich in Form von Familie, Sport, Hobbys bleibt auf der Strecke.
- Anmaßung und Maßlosigkeit sind Begleitumstände, die sich häufig zusätzlich auf dem Weg nach oben einstellen, zumindest in den singulären Top-Funktionen der ganz großen Konzerne.
Wie Sie die Negativentwicklung vermeiden
Es ist schwer einen "One size fits all"-Ratschlag zu geben, wie man sich der Arschloch-Entwicklung entzieht. Aber es gibt doch ein paar Erfahrungswerte, die ich gerne weiter gebe:
- Machen Sie einen Schnelltest: Vergleichen Sie Ihre Geburtstagsfeier vor zehn Jahren mit der heute. Wie hat sich die Gästegruppe verändert? Haben Sie weniger ganz enge Freunde? Sind mehr "Die muss ich ja einladen"-Gäste darunter? Hatten Sie Spaß beim Fest?
- Oder widmen Sie sich einer ausführlicheren Bestandsaufnahme: Welche Eigenschaften, die Sie früher an sich mochten, sind verloren gegangen? Welche guten und schlechten Eigenschaften sind neu hinzugekommen?
- Vor allem fragen Sie sich bitte: Wer spiegelt mir ehrlich mein Verhalten wider? Wie oft habe ich Kontakt zur Basis? Und welche Qualität hat dieser Kontakt: Geht die Kritik nur in eine Richtung oder geht sie in beide Richtungen?
- Suchen Sie sich einen ehrlichen Feedback-Partner: einen ehemaligen Kollegen, die beste Freundin oder investieren Sie in einen Coach. Lebens- und Ehepartner sind für diese Rolle übrigens nicht geeignet.
- Arbeiten Sie an Ihren blinden Flecken, nachdem Ihnen jemand diese gezeigt hat. Freuen Sie sich an mehr Transparenz und Authentizität, die Sie damit ausstrahlen. Nehmen Sie sich eine Auszeit (das können auch schon zehn Minuten am Tag sein), in der Sie nur Dinge machen, die Ihnen ein gutes Gefühl geben.
Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass die meisten der gängigen Personalentwicklungskonzepte nicht geeignet sind, frühzeitig gegen die Arschloch-Entwicklung anzuarbeiten. Zwar ist durchaus zu beobachten, dass in einigen Führungsnachwuchsprogrammen das Thema aufgegriffen und damit transparent wird. Nachhaltige Trainings, Feedback-Partnerschaften et cetera sind jedoch kaum zu finden.
Und Coaching wird in der frühen Führungsphase – auch aus Kostengründen- zu selten angeboten und im Top-Management ist dann häufig die beschriebene Beratungsresistenz zu ausgeprägt.
Die Führungskräfteentwicklung ist also gut damit beraten, sich neue, innovative Wege zu überlegen, um Manager auf ihrem Weg durch die Karriereklippen entsprechend zu begleiten und zu unterstützen.
Kolumnist Oliver Maassen
Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management.