Die sechs Gefahren der digitalen Arbeitswelt
Neue Technologien und Innovationen verändern die Arbeitswelt mit großer Geschwindigkeit. Dies kann für Mitarbeiter und Organisationen positive Konsequenzen haben, etwa eine bessere Integration von Privat- und Arbeitsleben, Innovationskraft und Arbeitgeberattraktivität, demokratischere Strukturen mit Führung auf Augenhöhe sowie Flexibilität. Allerdings werden in Forschung und Praxis auch zunehmend Risiken der Digitalisierung diskutiert, die eine erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsinitiativen in Unternehmen erschweren. Das anwendungsorientierte BMBF-Verbundprojekt „Digitrain 4.0“ an der Universität der Bundeswehr München und der Hochschule Reutlingen nimmt deshalb gemeinsam mit zahlreichen Praxispartnern neben den sich bietenden Chancen auch potenzielle Risiken der Digitalisierung in der Arbeitswelt in den Blick. Nur so lassen sich praxisnahe Instrumente entwickeln, mit denen Unternehmen die Chancen und Risiken der digitalen Transformation gleichzeitig bearbeiten können. Die nachfolgend in Thesenform präsentierten Gefahren digitaler Arbeit basieren auf Ergebnissen einer Onlinebefragung von knapp über 200 Mitarbeitern und Führungskräften. Die daraus abgeleiteten Thesen sollen die Praxis für die Risiken der Digitalisierung sensibilisieren sowie HR-Managern und Führungskräften als Orientierungshilfe für mögliche Handlungsansätze dienen.
Gefahr 1: Arbeitsverdichtung erzeugt zunehmenden Arbeitsdruck
Die Onlinebefragung liefert Hinweise darauf, dass die Arbeitsbelastung durch die Digitalisierung der Arbeitswelt zugenommen hat. So geben immerhin 37 Prozent aller Befragten an, dass durch den Einsatz digitaler Technologien der Arbeitsdruck gestiegen ist. Wie die Ergebnisse zeigen, ist dies häufig darauf zurückzuführen, dass Mitarbeiter zu viele unterschiedliche Tätigkeiten gleichzeitig ausüben müssen, ohne dass dafür mehr Zeit zur Verfügung steht. Für knapp ein Fünftel der Befragten geht die hieraus resultierende gesteigerte Arbeitsbelastung damit einher, viele Überstunden leisten zu müssen.
Gefahr 2: Permanente Information sorgt für Informationsüberflutung und reduziert Aufmerksamkeit
Jenseits der bloßen Arbeitsverdichtung hängt die höhere Arbeitsbelastung in der digitalen Arbeitswelt damit zusammen, dass sich Beschäftigte bei ihrer Tätigkeit häufig mit einer Vielzahl, mitunter widersprüchlicher, Informationen auseinandersetzen müssen. So stimmen knapp zwei Drittel der Befragten zu, dass die zu verarbeitende Informationsmenge durch die Digitalisierung der Arbeitswelt zugenommen hat. Aus dieser Fülle an Informationen diejenigen auszuwählen, die für die eigene Tätigkeit relevant sind, stellt nicht nur eine kognitive Herausforderung – in manchen Fällen gar Überforderung – dar, sondern bindet auch zeitliche Ressourcen. Dieser Aspekt gewinnt dadurch weiter an Gewicht, dass immerhin 43 Prozent der Befragten angeben, bei ihrer täglichen Arbeit häufig durch die Menge an Informationen, die sie erhalten, abgelenkt zu werden.
Gefahr 3: Entgrenzung lässt Work-Life-Konflikt entstehen
Die räumliche und zeitliche Flexibilisierung der Arbeitswelt stellt einen weiteren potenziellen Risikofaktor dar. Dieses auch unter der Bezeichnung „Entgrenzung von Arbeit“ diskutierte Phänomen wird durch die zunehmende Verbreitung digitaler Technologien immer weiter forciert. Zwar können dank flexibler Arbeitsformen, wie Homeoffice und mobiler Arbeit, heute immer mehr Beschäftigte ihren Arbeitsort und ihre Arbeitszeit frei wählen und sind so unter anderem besser in der Lage, Privatleben und Beruf miteinander zu vereinen. Auf der anderen Seite kann sich die zeitliche und räumliche Flexibilität jedoch auch negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken. Die zunehmende Auflösung der traditionellen Grenze zwischen privater und beruflicher Sphäre kann dazu führen, dass sich Beschäftigte auch in ihrer Freizeit verstärkt mit Arbeitsthemen auseinandersetzen und ständig erreichbar sein müssen. Zudem besteht die Gefahr, dass Ruhezeiten nicht eingehalten werden, was dazu führen kann, dass sich Beschäftigte nicht ausreichend erholen können. Hier zeigen unsere Ergebnisse signifikante Unterschiede zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. So geben mit 60 Prozent mehr als die Hälfte der Führungskräfte an, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben durch die Digitalisierung verschwimmt. Bei den Mitarbeitern entspricht dieser Anteil knapp 43 Prozent. Ausgehend von den oben genannten Folgen der Entgrenzung von Arbeit offenbart sich hier ein größeres Belastungsrisiko bei Führungskräften. Betrachtet man zusätzlich die Arbeitszeit, die zu Hause in den Abendstunden oder am Wochenende geleistet wird, verstärkt sich dieser Eindruck: knapp 39 Prozent der Führungskräfte arbeiten häufig abends oder am Wochenende. Dies trifft auf knapp ein Viertel der Mitarbeiter zu.
Die Entgrenzung zwischen Beruf und Privatleben schreitet weiter voran. Führungskräfte müssen die damit verbundene Belastungsrisiken erkennen, so @DigiTraIn_40
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Gefahr 4: Führung wird komplexer und Verantwortung muss abgegeben werden
Darüber hinaus stellt die digitale Arbeitswelt den Führungskräften nicht nur die Aufgabe, adäquat auf sich wandelnde Rahmenbedingungen und die potenziellen Risiken in der digitalen Arbeitswelt zu reagieren. Sondern, als sogenannte „Digital Leaders“ wird von ihnen erwartet, dass sie eine Vorreiterrolle in der digitalen Arbeitswelt einnehmen, räumlich verteilte Mitarbeiter über digitale Kanäle virtuell führen und fehlende Kompetenzen und Qualifikationen, insbesondere auch im Umgang mit den eingesetzten technischen Informationssystemen im Unternehmen, identifizieren. Um diesen Anforderungen zu begegnen, müssen Führungskräfte im Zuge der Digitalisierung immer häufiger Verantwortung abgeben. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass sich knapp ein Drittel der befragten Führungskräfte durch den Einsatz digitaler Technologien veranlasst sieht, mehr Aufgaben zu delegieren und Verantwortung an Mitarbeiter zu übertragen.
Gefahr 5: In der digitalen Arbeitswelt sind Kompetenzen permanent veraltet
Diese Delegation von Führungsaufgaben steigert einerseits das Empowerment der betroffenen Mitarbeiter, andererseits stellt der Macht- und Autonomiegewinn neue Anforderungen an Beschäftigte hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisation. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass der zunehmende Einsatz digitaler Technologien bei einem Drittel der Befragten dafür sorgt, dass sich diese in Bezug auf die täglichen Arbeitsabläufe stärker selbst organisieren müssen. Diesbezüglich geben 17 Prozent an, dass die Planung und Koordination der Arbeitsabläufe unter den Vorzeichen der Digitalisierung schwieriger geworden ist. Über die Aneignung neuer Kompetenzen hinaus erzeugt die Beschleunigung des Wandels in der digitalen Arbeitswelt den Druck, bestehende Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ein Drittel aller Befragten ist durch den Einsatz digitaler Technologien in seinem direkten Arbeitsumfeld ständigen Veränderungen ausgesetzt. Um mit diesen Veränderungen Schritt halten zu können, müssen sich Beschäftigte immer wieder in neue Themengebiete einarbeiten und sich mit neuen Technologien und Arbeitsweisen vertraut machen. In unserem Sample sieht sich jeder vierte Befragte gezwungen, seine Fähigkeiten ständig zu verbessern, um den Anforderungen der täglichen Arbeit gewachsen zu sein. Die Zunahme von Mensch-Maschine-Interaktionen und der Bedeutungsgewinn digitaler Projekt- und Teamarbeit verlangt von den Beschäftigten eine souveräne Beherrschung unterschiedlicher IKT, wie zum Beispiel Videokonferenztools, Groupware, Kollaborationssoftware und Cloudsysteme. Unsere Ergebnisse offenbaren jedoch, dass beinahe ein Viertel der Beschäftigten nicht weiß, welche Funktionen und Möglichkeiten digitale Technologien für die tägliche Arbeit bieten. Knapp 16 Prozent erleben den Umgang mit digitalen Technologien sogar oft als frustrierend.
Gefahr 6: Mobiles Arbeiten verschlechtert sozialen und fachlichen Austausch
Zusätzlich zu den bereits beschriebenen Gefahren räumlicher Entgrenzung von Arbeit weisen unsere Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich der soziale und fachliche Austausch mit Kollegen verschlechtern kann. Die Tatsache, dass man mobil arbeitenden Kollegen persönlich seltener oder überhaupt nicht mehr begegnet, wie beispielsweise im Büro oder der Kantine, kann zu einer Reduzierung der gegenseitigen sozialen Unterstützung führen, die ihrerseits einen wichtigen stresshemmenden Faktor darstellt. Hinsichtlich der Qualität des sozialen Austauschs sehen ein Fünftel aller Befragten Beeinträchtigungen durch den Einsatz digitaler Technologien, der sich auch in einem geringeren Wissensaustausch zwischen den Beschäftigten niederschlägt. Zudem fühlen sich knapp 16 Prozent durch den verringerten persönlichen Kontakt zu Arbeitskollegen weniger in das Unternehmen und ihr Team integriert. Beinahe ein Viertel der Befragten, die in Unternehmen arbeiten, in denen mobiles Arbeiten beziehungsweise Homeoffice bereits etabliert ist, haben zudem die Erfahrung gemacht, dass fachliche Probleme mit mobil arbeitenden Kollegen schwerer zu lösen sind. Rund 20 Prozent monieren in diesem Zusammenhang zudem Probleme mit der Verfügbarkeit mobil arbeitender Kollegen.
Die Forschung von @DigiTraIn_40 weist darauf hin, dass sich der soziale und fachliche Austausch mit Kollegen aufgrund räumlicher Entgrenzung von Arbeit verschlechtern kann.
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Die Autoren Andreas Jager, Ricarda Rauch und Prof. Dr. Stephan Kaiser forschen an der Universität der Bundeswehr München, Dr. Daniel Thiemann an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen.
Der ungekürzte Artikel mit Handlungsempfehlungen zu den jeweiligen Gefahren ist im Personalmagazin 01/2019 erschienen und kann auch in der Personalmagazin-App gelesen werden.
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