Personalauswahl wird in vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht als wichtige Investition in die Zukunft, sondern eher als lästiger Verwaltungsakt betrachtet. Es muss vor allem schnell gehen und darf nicht viel Geld kosten. Auf systematische Analysen der Anforderungen des Arbeitsplatzes verzichtet man daher oft völlig. Im besten Fall denkt man sich eine Liste von Kompetenzen aus, die so allgemein sind, dass sie letztlich auf nahezu alle Arbeitsplätze dieser Welt zutreffen. Die Bewerbungsmappen werden fast im Minutentakt nach primär formalen Kriterien gesichtet. Den Höhepunkt stellt ein unstrukturiertes Gespräch dar, bei dem letzten Endes der Bewerber obsiegt, der dem Interviewer das beste Bauchgefühl verschafft.
Freunde dieser Art der Personalauswahl glauben fest daran, dass sie gute "Menschenkenner" sind. Der Zukunft sehen sie gelassen entgegen, denn wenn bedingt durch den demografischen Wandel die Anzahl der Bewerber sinkt, bereitet deren Auswahl immer weniger Arbeit.
Leider ist dies ein Trugschluss.
Zusammenspiel von Grundquote und Validität ist entscheidend
Die Qualität einer Auswahlentscheidung hängt unter anderem von zwei Faktoren ab:
von dem Anteil der geeigneten Personen in der Gruppe der Bewerber (= Grundquote) sowie
von der Prognosekraft der Auswahlmethoden (= Validität).
Verdeutlichen wir uns das Zusammenspiel beider Faktoren einmal an einem einfachen Beispiel: Ein Supermarkt ist auf der Suche nach Aushilfen, die in den Stoßzeiten das fest angestellte Personal unterstützen sollen. Da es sich um eine Universitätsstadt handelt, bewerben sich ausschließlich Studierende. Wir unterstellen einmal, dass nahezu 95 Prozent dieser Bewerber die Aufgabe sehr gut erledigen können. Würde man nun rein nach dem Zufall auswählen, so hätte man mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine sehr gute Entscheidung getroffen. In diesem Fall ist die Validität des Auswahlverfahrens fast ohne Bedeutung. Gleiches gilt für die absolute Anzahl der Bewerber. Auch zehn Bewerber wären völlig ausreichend gewesen.
Ganz anders sieht es aus, wenn man die Position der Marktleitung besetzen will. Die Stelle ist anspruchsvoller und gleichzeitig das Bewerberfeld viel heterogener. Jetzt sind vielleicht nur noch 20 Prozent der Bewerber gut geeignet. Will man nun eine richtige Entscheidung treffen, muss die Validität des Verfahrens sehr hoch ausfallen.
Die Auswahlmethoden von vor 20 Jahren helfen künftig nicht mehr weiter
Der demografische Wandel führt nicht nur dazu, dass die absolute Anzahl der Bewerber abnimmt, sondern – was viel schlimmer ist – auch dazu, dass der prozentuale Anteil der Geeigneten sinkt. In dem Maße aber, in dem die Grundquote zurückgeht, wird die Validität des Auswahlverfahrens bedeutsamer. Wer in Zeiten, in denen der Anteil qualifizierter Bewerber zurückgeht, dieselben Auswahlverfahren einsetzt wie vor zehn oder 20 Jahren, wird zwangsläufig in Zukunft immer mehr Fehlentscheidungen treffen.
Gezieltes Personalmarketing und professionellere Auswahlverfahren
Sucht ein Unternehmen auch weiterhin qualifizierte Mitarbeiter, so muss es daher aktiv in das Geschehen eingreifen. Dies geschieht vor allen durch zwei Maßnahmen:
Erste Maßnahem: Gezieltes Personalmarketing
Die ausgeschriebenen Stellen müssen für qualifizierte Bewerber attraktiv werden. Die absolute Anzahl der Bewerber ist dabei weitgehend unwichtig. Wer nur versucht, die absolute Zahl der Bewerber zu erhöhen, schadet sich selbst manchmal sogar, nämlich genau dann, wenn er scharenweise schlecht qualifizierte Personen zu einer Bewerbung animiert und dadurch die Grundquote senkt.
- Zweite Maßnahme: Professionelle Personalauswahl
Auch das beste Personalmarketing wird die Folgen des demografischen Wandels nicht vollständig kompensieren können. Um die zunehmend schlechtere Grundquote auszugleichen, muss man professionellere Verfahren einsetzen und dies bedeutet in der Regel auch, dass man mehr in die Qualität des Verfahrens bzw. in die diagnostische Qualifikation der Entscheidungsträger investieren muss. Höhere Validitäten erzielt man z. B. durch eine systematische Analyse der Anforderungen des Arbeitsplatzes, ein stark strukturiertes Interview, das spezifisch auf die jeweilige Stelle zugeschnitten ist, sowie den Einsatz von validen Leistungstests.
Viele Auswahlverfahren, die heute noch gängige Praxis sind, besitzen eine Aussagekraft, die kaum besser ist als der Zufall. Dass man in der Vergangenheit mit derart schlechten Methoden dennoch gute Erfahrungen sammeln konnte, lag unter anderem daran, dass der Anteil gut qualifizierter Bewerber oftmals so hoch lag, dass selbst völlig absurde Auswahlverfahren wenig Schaden anrichten konnten.
Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.