Gehört Ihr Unternehmen eigentlich auch zu den Arbeitgebern, bei denen eine Bewerbung per Post nicht möglich ist? Schicken Sie gar die Bewerbungsunterlagen mit dem Vermerk zurück, er möge sich bitteschön online bewerben, wenn ein Bewerber die Frechheit besitzt, sich per Post zu bewerben? Schließlich haben Sie dafür ja das fortschrittliche E-Recruiting-System angeschafft.
Drei von vier Azubis möchten sich per Post bewerben
Dann sollten Sie vielleicht wissen, dass gemäß der Studie Azubi Recruiting-Trends 2015 die Papierbewerbung nach wie vor bei Schülern die bevorzugte Bewerbungsform darstellt: 71 Prozent der insgesamt 1.428 Befragten favorisieren die Bewerbung mittels der guten alten Schneckenpost.
Nun könnten Sie argumentieren: "Hey, das sind Azubis, mir geht’s um gestandene Fachkräfte." Doch selbst in dieser Zielgruppe geben gemäß der Studie Bewerbungspraxis 2015, die das Jobportal Monster und die Uni Bamberg unter rund 7.000 Bewerbern durchgeführt haben, immerhin neun Prozent der Befragten der Bewerbungsmappe den Vorzug. Gleichauf liegt übrigens die Bewerbung per Online-Formular. Die Bewerbung per E-Mail ist demnach mit 72 Prozent die bevorzugte Bewerbungsform.
Wer seinen Marktwert kennt, bewirbt sich nicht zweimal
Meines Erachtens handeln Unternehmen, die eine Bewerbung per Post strikt untersagen, grob fahrlässig. Ein Kandidat entscheidet sich aus gutem Grund für eine Bewerbungsform. Wenn er meint, sich per Bewerbungsmappe besser präsentieren zu können oder Vorbehalte gegenüber Online-Bewerbungen hat oder auch keine schnelle Internetverbindung hat – auch das soll’s geben –, wird er sich so bewerben.
Solche Kandidaten investieren viel Zeit und Nerven (und Geld) in ihre Bewerbung und sind vielleicht die lang gesuchten Experten für die ausgeschriebene Position. Und Sie brüskieren solche Kandidaten, indem Sie die Unterlagen zurückschicken mit der Aufforderung sich gefälligst online zu bewerben? Bewerber, die sich ihres Marktwertes bewusst sind, werden einen Teufel tun. Im Gegenteil: Sie werden sich garantiert nicht mehr bei Ihnen bewerben.
Bedenken Sie stets, dass der nächste Arbeitgeber stets nur einen Mausklick entfernt ist – auch bei Kandidaten, die sich per Post bewerben.
Tipp: Vorteile von Online-Bewerbungen kommunizieren
Und kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass die Sichtung und Erfassung von Bewerbungsmappen zu aufwendig sei. Der Anteil an Postbewerbungen fällt erfahrungsgemäß eher gering aus, das Erfassen dieser Bewerbungen ist also das kleinere Übel.
Und Sie können das Ganze durchaus steuern, indem sie etwa entsprechende Hinweise auf das bevorzugte Bewerbungsverfahren (das kann auch durchaus positionsbezogen sein) auf der Karriere-Website geben. Kommunizieren Sie auch, warum Sie Online-Bewerbungen präferieren und welche Vorteile der Bewerber davon hat: etwa Kosten- und, wenn Sie Ihren Recruitingprozess im Griff haben, auch Zeitvorteile. Im Fall, dass Sie auf Online-Bewerbungsverfahren setzen, bieten Sie nutzerfreundliche Systeme oder E-Mail an.
Phobie vor Postbewerbungen führt zu Abschottung
Vielleicht ist diese Phobie vor Postbewerbungen bei manchen Recruitern auch der Grund, warum sich in vielen Stellenanzeigen erst gar keine Postanschrift befindet. Wenig bewerberorientiert ist auch solch ein Gebaren. Können Sie sich noch an Ihre letzte Bewerbung erinnern? Dann wissen Sie sicher auch, wie der Aufbau eines vernünftigen Anschreibens ausschaut. Unter anderem steht dort auch eine Empfängeradresse. Idealerweise sogar mit konkretem Ansprechpartner.
Wie aber soll der Bewerber an diese Adresse, geschweige denn an den Ansprechpartner gelangen? Die Anschrift muss er sich im Zweifelsfall aus dem Impressum suchen. Beim Ansprechpartner wird es dann schon schwieriger. Gerne wird dieser ja weder in der Stellenanzeige noch auf der Karriere-Website kommuniziert. Klar, man möchte ja nicht von lästigen Bewerberbittstellern im Tagesgeschäft gestört werden. Aber genau solche Angaben wünschen sich Bewerber von Arbeitgebern. Sie stellen einen sehr wichtigen Aspekt hinsichtlich positiver Candidate Experience dar.
Und noch mehr: Diese Angaben signalisieren Offenheit und Wertschätzung. Das Unternehmen agiert nicht als der anonyme Arbeitgeber, sondern als der, der sich über eine Kontaktaufnahme und Bewerbung freut.
Also, zeigen Sie, wer Sie sind – gerne auch mit Bild, das gibt zusätzliche Sympathiepunkte. Und erlauben Sie ruhig die Postbewerbung – der Bewerber wird’s Ihnen danken!
Blogger und Berater Henner Knabenreich
Henner Knabenreich ist Geschäftsführer der Knabenreich Consult GmbH. Er berät Unternehmen bei der Optimierung ihres Arbeitgeberauftritts. Zudem ist er Initiator von www.personalblogger.net und betreibt selbst den Blog personalmarketing2null.de.
Wenn ich dann sehe, wie lange die Bearbeitung dieser Onlinefragebögen pro Bewerbung zum Teil dauert, ist es nicht verwunderlich, dass der Papierbewerbung der Vorzug gegeben wird.
Die kann man im Copy-Shop weitgehend fertig zusammenstellen. Da kann man allerdings auch seine Zeugnisse und sonstigen Unterlagen scannen und auf Stick speichern lassen. Das ist also kein Argument gegen die Online-Bewerbung.
Aber auch als Personaler bin ich nicht glücklich über Mail-Bewerbungen, bei denen jedes nur erdenkliche Zeugnis gescannt mitgeschickt wird. Da bringt man für den Postversand schon aus Kostengründen mehr Hirnschmalz auf, das wichtige vom unwichtigen vorab zu trennen.
Und - ich gebe es zu - ich gehöre zu den Menschen, die wesentlich schneller Texte auf Papier als auf dem Flatscreen-Monitor zu erfassen.
Und zum Thema Azubis: Die lernen auch noch heute in der Schule den Aufbau einer Bewerbung in "altmodischer" Papierform - da wagt man sich als Neuling dann gar nicht an was anderes. Auch Menschen, die keinen Computer-Job haben, tun sich mit elektronischen Bewerbungen oft schwer, ist halt doch was anderes, als ein Computerspiel zu spielen oder auf Amazon zu bestellen. Bilder hochladen, Zeugnisse einscannen - da braucht es mehr als nur einen Laptop, nicht jeder ist aber privat voll "equipt" und nicht jeder möchte seine Bewerbungen im aktuellen Betrieb hochladen :). Also bitte, liebe Recruter, die Ihr immer jammert, dass sich niemand bewirbt: Nehmt die Bewerbungen, wie Sie kommen, auch mit Papier lassen sie gute Leute finden!
Wichtig ist es also neben den Vorteilen für Bewerber (Kosten, Zeitvorteile ...) ganz klar zu kommunizieren, dass es auf den Inhalt der Bewerbung ankommt und nicht auf die Form. Und plötzlich finden die Bewerber Online-Verfahren deutlich cooler.
Axel Haitzer, Quergeist