Leistung steigern - per Pille?


Kolumne Talent Management: Medikamentöse Leistungssteigerung

Auch damit müssen sich Talent Manager auseinandersetzen: Doping bei der Arbeit. Wie Kolumnist Martin Claßen aufzeigt, sind Pillen für die Leistungssteigerung heute keine Seltenheit mehr. Die Führungskräfte müssen in die Pflicht genommen werden.

Heute gibt es vielfältige Bemühungen, die Leistungskraft von Talenten zu steigern oder zumindest zu erhalten: Indem man sich bewusst mit Stress auseinandersetzt, rechtzeitig Burnout vermeidet und Vitalität anstrebt. Denn in den vergangenen Dekaden hat ein massives Umdenken stattgefunden, weg vom dickbäuchigen, Zigarre rauchenden und dem Alkohol zugeneigten Rollenmodell der Wirtschaftswunderzeit. Die Fress-, Qualm- und Saufkultur ist in den Betrieben nicht mehr en vogue, von gelegentlichen Ballermann-Ausflügen abgesehen.

Mancherorts ist sogar eine Abkehr von Workaholics zur vielbeschworenen Work-Life-Balance festzustellen. Inzwischen haben nämlich viele Talente den Zeitmanagement-Klassiker Stephen Covey oder ähnliche Tretmühlen-Hinterfrager gelesen ("How many people on their deathbed wish they´d spent more time at the office?")

Doping bei der Arbeit ist nicht selten

Natürlich gibt es nach wie vor eine Schattenseite: Geschätzte zwei Millionen Deutsche nehmen sogenannte Neuro-Enhancer, Pillen fürs Gehirn, wie Amphetamine und Psychopharmaka, sagt uns eine DAK-Studie aus dem Krisenjahr 2009. Das ist einer/eine von vierzig. Die Quote bei Führungskräften und Talenten wird vermutlich deutlich darüber liegen. Die AOK ermittelte im vergangenen Herbst bei elf Prozent der "übermäßig leistungsorientierten Beschäftigten" einen Medikamentenmissbrauch, das wäre einer von neun.

Das ist wie im Sport: Wenn bereits viele Breitensportler dopen, ist die Wahrscheinlichkeit bei Extremleistern wie Lance Armstrong, Bjarne Riis und unserem Jan Ullrich noch deutlich höher. Das ist wie bei stressigen Berufsgruppen, etwa Ärzten - die sich Methylphenidat, Modafinil & Co. sogar selbst verschreiben können.

Mitarbeiter in die Eigenverantwortung nehmen

Letztlich bleibt jeder selbst für sich und sein Wohlbefinden verantwortlich. Wer denn sonst? Wobei die systemischen Folgewirkungen aus individuellen Stresssymptomen und persönlichen Gesundheitsproblemen von der Organisation nicht ignoriert werden können. Konsequenzen jeder Sucht sind, neben dem individuellen Leid, betriebliche Auswirkungen wie Fehlzeiten, Fehlverhalten, Fehlentscheidungen. Aus diesem guten Grund – der sich betriebswirtschaftlich sogar mehr als deutlich rechnet, sagt die Weltgesundheitsorganisation – haben viele Unternehmen ihr Gesundheitsmanagement samt Therapie und Prävention verstärkt.

Schwierige Rolle der Führungskraft

Einmal mehr steht die direkte Führungskraft an der entscheidenden Stelle, da sie den Missbrauch bei ihren Mitarbeitern am ehesten bemerkt. Wobei dies eine äußerst heikle Rolle ist. Ich selbst war viele Jahre Führungskraft, habe ab und an ein Suchtverhalten vermutet mit den mir beigebrachten Diagnosemöglichkeiten. Aber eine Ansprache des vermutlich Süchtigen, die war mir dann doch meist zu heikel. Falls ich es dann doch angesprochen hatte, traf ich bis auf einen Fall auf eine Mauer des Verleugnens.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.