Mit den Augen eines unbedarften Laien betrachtet, mutet es schon ein wenige skurril an, was da seit den 90er-Jahren unter dem Label "Outdoor-Training" von deutschen Personalabteilungen finanziert wird. Da müssen Trainees wahlweise Bäume, Kletterwände oder reale Berge emporsteigen, während ihre erfolgsverwöhnten Manager – kaum dem feinen Zwirn entschlüpft – zum mehrtägigen Überlebenskampf in der Wildnis ausgesetzt werden. So manches Team wird auf eine harte Probe gestellt, wenn es darum geht, zehn schwitzende Menschen auf einer Grundfläche von einem Quadratmeter unterzubringen oder einen übergewichtigen Kollegen aufzufangen, wenn dieser sich rücklings von einer Leiter in ihre Arme fallen lässt. Vergleichsweise gut getroffen hat man es als Mitarbeiter noch, wenn man zur Wildwasserfahrt nach Kanada verschifft wird oder beim Bogenschießen zu sich selbst finden darf und nicht gleich mit einem Gummiseil an den Füßen von der nächsten Talbrücke springen muss. Die Vielfalt der Übungen ist enorm, allein die Fantasie scheint hier Grenzen zu setzen.
Die Versprechen der Trainingsanbieter sind umfassend
Glaubt man den Versprechungen der zahllosen Anbieter, so sind Outdoor-Trainings eine Art Wunderwaffe. Nahezu jede Kompetenz, die heute im Berufsleben gefordert ist, ließe sich demnach durch ein beliebiges Outdoor-Training entwickeln: Eigeninitiative, Kreativität, Kooperationsfähigkeit, Problemlösefähigkeit, Selbststeuerungsfähigkeit, Lernfähigkeit, Lernmotivation, Kritikfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Führungskompetenz, Leistungsmotivation, Stressmanagement, Projektmanagement, Handlungskompetenz und natürlich Teamfähigkeit. Merkwürdig, dass bislang kein Anbieter auf die Idee gekommen ist, den Kunden auch gleich noch Reichtum, Schönheit und ewige Jugend zu versprechen.
Diverse Gründe sprechen gegen den versprochenen Nutzen im Training
Sollte man als potentieller Kunde hier nicht stutzig werden? – Man sollte! Die Einwände sind fast so vielfältig wie die diversen Spielarten des Outdoor-Trainings:
- Das Vorgehen ist völlig beliebig. Es gibt kein Reglement, aus dem hervorginge, welche Variante eines Outdoor-Trainings wie durchzuführen ist, damit eine bestimmte Kompetenz positiv zu beeinflussen wäre.
- Viele Trainings tragen die Bezeichnung "Outdoor" zu Unrecht, da sie in geschlossenen Räumen abgehalten werden.
- Viele Outdoor-Veranstaltungen tragen den Begriff "Training" zu Unrecht, da es lediglich um das gemeinsame Erleben einer außergewöhnlichen Situation geht.
- Es gibt keine Qualitätssicherung in Bezug auf die Trainer. Jeder, der es will, lässt sich morgen entsprechende Visitenkarten drucken und mutiert dadurch zum Outdoor-Trainer. So leicht kann man bislang nur als Coach Karriere machen.
- Die Anbieter verkaufen ihre Produkte mit Argumenten, die ohne jeden Aussagewert sind: zufriedene Teilnehmer, namhafte Firmenkunden, jahrelange Erfahrung et cetera. Trainingsteilnehmer können nachweislich auch dann mit einer Personalentwicklungsmaßnahme zufrieden sein, wenn sie nichts gelernt haben. Firmen, die zum Beispiel tolle Autos bauen, müssen nicht zwangsläufig auch qualitativ hochwertige Personalentwicklungsmaßnahmen einkaufen. Jeder Mensch sammelt über die Jahre hinweg immer mehr Erfahrung. Dadurch wird eine unwirksame Methode aber leider nicht wirksam. Graphologen und Astrologen können hier als abschreckendes Beispiel dienen.
- Viele Methoden lassen sich sehr leicht als Übergriff des Arbeitgebers erleben. Man denke zum Beispiel an Übungen, die den Teilnehmern Angst bereiten, unsportliche Mitarbeiter vor der Gruppe bloßstellen oder einen Körperkontakt zu Kollegen notwendig machen, den nicht unbedingt jeder haben will.
- Studien zeigen, dass der Transfer von Lerninhalten aus Trainingsmaßnahmen in den beruflichen Alltag umso leichter gelingt, je ähnlicher die Trainingssituation der beruflichen Realität ist. Outdoor-Trainings führen dieses Prinzip ad absurdum, indem sie Trainingssituationen schaffen, die extrem weit von der Lebenswirklichkeit entfernt sind.
- Die Verknüpfung zwischen Training und Alltag erfolgt rein assoziativ und beleidigt die Intelligenz vieler Teilnehmer. Sich zum Beispiel in die Arme der Trainingsteilnehmer fallen zu lassen oder ihnen im Berufsalltag zu vertrauen, sind zwei völlig verschiedene Dinge.
- Im günstigsten Falle verändert man kurzzeitig die Einstellungen. Die Forschung zeigt aber leider, dass Einstellungen nur geringfügig mit Verhalten korrelieren. Es nützt den Mitarbeitern wenig, wenn sie in Zukunft zwar koordinierter zusammenarbeiten wollen, im Training hierfür aber keine alltagstauglichen Skills ausbilden konnten.
- Sofern empirische Studien vorliegen, sind diese methodisch meist so schlecht, dass sie bestenfalls in der Hochschulausbildung zum Amüsement der Studierenden dienen können: keine Kontrollgruppe, kein Vorher-Nachher-Vergleich, Einsatz von Fragebögen, deren Qualität unbekannt ist, keine Verhaltensbeobachtung am Arbeitsplatz, selektive Darstellung der Befunde et cetera. Zudem werden Untersuchungen als Beleg herangezogen, die aufgrund ihrer exotischen Stichproben nur bedingt auf einzelne Manager zu übertragen sind – gemeint sind Studien mit delinquenten Jugendlichen.
Als Incentive gut, zur Kompetenzentwicklung mehr als mangelhaft
Sollte man Outdoor-Trainings im HR-Management einsetzen? Ja, wenn man sie als reines Incentive versteht und die Mitarbeiter freiwillig über ihre Teilnahme entscheiden können. Nein, wenn man gezielt bestimmte Kompetenzen entwickeln möchte. Vielleicht, wenn eine Gruppe von Mitarbeitern einander näher kennenlernen soll. Allerdings ließe sich Letzteres wohl auch weitaus kostengünstiger mit einem Kegelwochenende im Sauerland erreichen.
Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.