Auf einem Coachingmarkt mit mehr als 20 Berufsverbänden, 400 verschiedenen Coachingausbildungen und tausenden von Einzelkämpfern dürfte es heute nicht leicht sein, als neuer Anbieter Fuß zu fassen. Die Qualität der eingesetzten Methoden spielt dabei überhaupt keine Rolle, denn auch mit vollkommen wirkungslosen Mitteln lässt sich mitunter gutes Geld verdienen. Entscheidend ist letztlich das richtige Marketing, mit dem sich die Illusion einer großen Wirkung erzielen lässt.
Neurowissenschaft als Hingucker
Neben klassischen Argumenten – zufriedene Kunden, jahrelange Erfahrung, Verweis auf Autoritäten etc. – werden immer wieder gerne die Neurowissenschaften ins Feld geführt. Die Strategie besteht darin, die eigene Methode als neurowissenschaftlich fundiert darzustellen. Damit zielt man auf ein Kundensegment, das sich noch nicht völlig von der Aufklärung verabschiedet hat und Wissenschaft prinzipiell ernst nimmt – zumindest, solange die Forschung Ergebnisse liefert, die zur eigenen Weltanschauung passen.
Das Schöne an der Neuroforschung ist, dass sie einerseits als Naturwissenschaft ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießt, andererseits aber kaum eine Kundin oder ein Kunde tief genug in die Materie eingedrungen ist, um Fakten und Mythen voneinander trennen zu können.
Die Neuroforschung dient dabei nicht etwa als Erklärung für die gut belegte Wirksamkeit einer Methode, sie ersetzt vielmehr den Beleg der Wirksamkeit. Gelingt es rein assoziativ eine wackelige Verbindung zwischen Konzepten der Neuroforschung und einer Coaching-Methode herzustellen, so erscheint die Methode wirksam, weil sie dem Anschein nach auf hochwissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Hier einige Kostproben.
Kuriose Versprechen, wenig Evidenz
In einem Buchbeitrag erläutert eine Vertreterin des Neurolinguistischen Programmierens, dass durch den Einsatz von NLP-Techniken im Nervensystem neue Verbindungen zwischen Zellen geschaffen werden. Verschwiegen wird dabei, dass letztlich jeder Lernprozess physiologisch mit der Ausbildung synaptischer Verbindungen einhergeht. Selbstverständlich wird durch den Hinweis weder belegt, dass NLP zu Lernerfahrungen führt, noch, dass es hier überhaupt etwas Sinnvolles zu lernen gäbe. Mit demselben Argument ließe sich auch ein Schamanen-Coaching verkaufen.
Dieselbe Autorin erläutert an anderer Stelle, dass sich Klienten zwangsläufig in ihrem Denken und Handeln an ihren NLP-Coach angleichen müssen (Prozess des Leadings), weil der Coach sich dabei der Funktion von Spiegelneuronen bedient. Die Forschung zu Spiegelneuronen stützt diese gewagte These in keiner Weise. Im Kern zeigt die Forschung, dass bei der Beobachtung eines motorischen Verhaltens im Gehirn des Betrachters dieselben Hirnareale aktiviert werden, die auch für die Ausführung des Verhaltens verantwortlich sind. Würden Spiegelneurone tatsächlich zu einem "Klonen" des Gegenübers frühen, ließe sich ebenso gut erwarten, dass nach der Ausstrahlung des sonntäglichen Tatortes die Anzahl der Morde sprunghaft ansteigt. Auch wäre nicht zu erklären, warum der Coach nicht zum Abbild seiner Klienten wird. Trägt er selbst etwa keine Spiegelneuronen in sich?
Geisterbahn statt Pferde-Coaching
Eine andere Coaching-Anbieterin, bei der die Klienten u.a. Bilder anschauen und auf sich wirken lassen, erläutert, dass dabei Hormone ausgeschüttet werden. Das mag ja sein, aber warum empfiehlt sie ihren Klienten dann nicht einfach einen Spaziergang oder einen Besuch im Restaurant? Werden dabei keine Hormone ausgeschüttet?
Ganz ähnlich erklären manche Pferde-Coaches die vermeintliche Wirkung von Führungskräftetrainings mit Pferden. Hier soll die Ausschüttung von Dopamin und Oxytocin eine heilsame Wirkung entfalten. Dasselbe ließe sich auch durch einen Besuch in der Geisterbahn erreichen.
Ein Energie-Coach weiß zu berichten, dass sein Ansatz überaus hilfreich sei, weil er beide Hirnhälften aktiviert, damit das Herz (rechte Hirnhälfte) von der Zensur des Intellekts (linke Hirnhälfte) befreit werden kann. Nun mag es für den Coach durchaus lukrativ sein, den Intellekt seiner Klienteninnen und Klienten zu schwächen, leider stimmt an seiner Argumentation aber überhaupt nichts. Menschen agieren immer mit beiden Hirnhälften. Die Zuordnung von Gefühlen und Verstand zu unterschiedlichen Hirnhälften ist schlicht falsch. Falsche Erklärungen scheinen aber immer noch beliebter zu sein als gar keine.
Fahrradfahren über Kopfsteinpflaster ersetzt wirkungslose Heilmethode
Coaches, die vor allem mit Managerbespaßung ihr Geld verdienen, stellen gern eine assoziative Verbindung zum Limbischen System her – eine stammesgeschichtlich alte Region des Gehirns, die für Emotionen und ihre Verbindungen zum Gedächtnis verantwortlich ist. Sie wollen damit belegen, dass emotionale Informationen besonders gut im Gedächtnis verankert werden. Wie gut dies gelingt und ob die von ihnen vermittelten Inhalte es denn überhaupt wert sind, im Gedächtnis ihrer Kunden verankert zu werden, wird dabei leider nicht thematisiert.
Ein Coach, der durch das Abklopfen des Körpers tiefverwurzelte Wahrnehmungsmuster seiner Klientinnen und Klienten auflösen möchte, erklärt die vermeintlich wundersame Wirkung seiner Methode über das Lockern neuronaler Verbindungen. Sollte er mit seiner arg mechanistischen Sichtweise auf das Nervensystem auch nur halbwegs recht haben, so könnten die Klienten sich den Weg zum Coach eigentlich auch sparen und lieber einmal pro Woche kostenlos mit dem Fahrrad über eine Kopfsteinpflasterstraße fahren. Dumm nur, dass dabei wahrscheinlich auch alle anderen Gedächtnisinhalte gelöscht werden würden. Aber keine Sorge, da hilft dann bestimmt ein Besuch beim Reinkarnations-Coach.
Der Kolumnist Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.
Schauen Sie auch einmal in den Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden, warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.
Schön geschrieben und sehr gut analysiert.