Was haben Verena Bahlsen (Gesellschafterin und Mitglied der Geschäftsführung des gleichnamigen Traditionsunternehmens Bahlsen), Elon Musk (Investor, Innovator, Medienstar und unter anderem CEO von Twitter, Inc.), Christine Lambrecht (Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland) und Jacinda Ardern (Premierministerin Neuseelands) gemeinsam? Sie alle haben kürzlich ihren Rücktritt von einflussreichen Führungspositionen bekanntgegeben und zum Teil schon vollzogen. Und von allen lässt sich lernen. Sehen wir uns also kurz die Besonderheiten dieser Beispiele an.
Rücktritt des Typs "Selbstoffenbarung"
Der Rücktritt der jungen Unternehmensnachfolgerin und "Chief of Mission" beim Kekshaus Bahlsen hat Wellen geschlagen. Denn Verena Bahlsen, 30 Jahre, hat einen eindringlichen Abschieds-Post im Karrierenetzwerk Linkedin geschrieben, der vielfach geliked und kommentiert wurde. In ihm bekennt sich die Managerin zu Fehlern und einer Überforderung im Amt. Der Abgang von Verena Bahlsen soll hier als "Typus Selbstoffenbarung" bezeichnet werden.
Rücktritt des Typs "Selbstinszenierung"
Kommen wir zum Medienstar und umstrittenen Tech-Heroen Elon Musk. Der Twitter-CEO hat seinen Rücktritt inszeniert wie jeden weiteren Schritt in seiner Unternehmerkarriere. Nach heftiger Kritik an seiner Unternehmensführung, abspringenden Werbekunden und fallenden Börsenkursen ließ Musk Twitter-Nutzer darüber abstimmen, ob er als CEO zurücktreten solle. Die Rückmeldungen waren eindeutig: 57,5 Prozent Ja-Stimmen. Ich möchte diesen Abgang als "Typus Selbstinszenierung" bezeichnen.
Rücktritt des Typs "Flucht"
Viel Aufsehen erregt hat auch der Abgang von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Im Kreuzfeuer politischer und medialer Kritik sowie angesichts von wachsendem Unmut innerhalb der Bundeswehr hat sie sich vor einem entscheidenden Treffen der Verteidigungsminister der Ukraine-Unterstützergruppe überstürzt und nur mit einer kurzen Presserklärung aus dem Amt verabschiedet. Ich nenne diesen Abgang "Typus Flucht".
Rücktritt des Typs "Übergang"
Am aktuellsten und ebenfalls weltweit ausgiebig kommentiert ist die Demission von Jacinda Ardern. Die beliebte Premierministerin Neuseelands erklärte kürzlich, für eine zweite Amtszeit nicht mehr kandidieren zu wollen. Ihr "Tank sei leer", man müsse als Staatschefin wissen, wann es Zeit ist zu gehen. Ich nenne das den "Typus Übergang" – und entscheide mich bewusst dafür, ihn nicht als ein weiteres Beispiel des "Typus Selbstoffenbarung" zu klassifizieren. Warum, das erkläre ich gleich.
Zwei Dimensionen gelingender Rücktritte
Zuerst gilt es, Grundsätzliches festzuhalten. Beim Rücktritt aus einer Führungsposition – sei es in der Politik, in Unternehmen oder sonstigen Institutionen – gilt es immer, zwei Dimensionen zu berücksichtigen: die Wirkung in der Sache, die der Rücktritt hat (ein Land, ein Unternehmen, eine Abteilung stehen ohne Führung da), und die Wirkung, die der Rücktritt auf die betroffenen Menschen hat (den Leader wie die Follower, um es in der Sprache einschlägiger Führungstheorien zu sagen). Leider fokussieren Kommentatoren wie Berater häufig nur auf eine der beiden Dimensionen.
Mit Blick auf die Wirkung in der Sache gilt es, als Führungspersönlichkeit möglichst
- Angefangenes zu Ende zu bringen (die Zeitenwende in der Verteidigungspolitik ist eingeleitet, Twitter ist auf Sanierungskurs, etc.) oder so aufzustellen, dass andere gut anschließen können,
- oder, wenn dies nicht möglich ist (weil man selbst zum Rücktritt gedrängt wurde, weil man aus welchen Gründen auch immer dazu nicht in der Lage ist), wenigstens den Schaden für die Aufgabe, die man zu verantworten hatte, zu begrenzen.
Urteilen Sie selbst, wie die vier hier genannten Personen dabei abschneiden.
Und die Wirkung auf die Menschen, die geführt wurden? Hier gilt: niemand will verraten, hinters Licht geführt oder im Stich gelassen werden. All das muss die Art des Rücktritts ausschließen.
Drei Kriterien zur Beurteilung gelingender Rücktritte
Ein Rücktritt aus einem Führungsamt kann daher als geglückt angesehen werden, wenn
a) die Gründe für den Rücktritt plausibel erscheinen
b) der Übergang zu einer neuen Führungslösung gelingt
c) der Rücktritt mehr Nutzen als Schaden stiftet und niemand hintergangen wird.
Insofern hat auch der "Typus Selbstoffenbarung" bei Verena Bahlsen das Potenzial, als gelingender Rücktritt zu gelten. Denn er liefert Gründe, hat die Folgen für die Betroffenen im Blick und wendet in der Sache Schaden ab. Der "Typus Flucht" dagegen erfüllt all das nicht. Elon Musk und sein "Modell Selbstinszenierung" wiederum veranschaulichen mustergültig, wie sehr die fehlende Einsicht in der Sache ("ich, Elon Musk, führe die Geschäfte schlecht") sowie die Fixierung auf die Inszenierung der eigenen Person einer Führungsrolle und dem Abschied von derselben schaden.
Was Führungskräfte vor dem Rücktritt bedenken sollten
Wer als Führungskraft den Rücktritt plant, sollte daher folgende Fragen für sich beantworten:
- Wann ist der Zeitpunkt zum Rücktritt gekommen, an dem ich die mir überantwortete Aufgabe abschließen oder für eine Übergabe ausreichend aufbereiten kann? (Musk hat sich zu Recht ausbedungen, erst dann zurückzutreten, wenn er einen Nachfolger gefunden hat, der "dumm genug ist, den Job zu übernehmen", so seine Worte)
- Wie bleibe ich souverän in meinem Handeln und verhindere, dass andere mich beim Abgang vor sich hertreiben?
- Wie kann ich in diesem Prozess wichtige Beziehungen wahren, denn das Leben geht weiter und "man sieht sich immer zweimal"?
Mit Blick darauf schneidet für mich der Rücktritt von Jacinda Ardern am besten ab: Er erfolgt gegen Ende der Amtsperiode (und nicht nach knapp einem Jahr, wie bei Verena Bahlsen). Für die Nachfolgelösung in den eigenen Reihen scheint der Weg gebahnt (Innenminister Chris Hipkins). Ardern hat gute Gründe für den Rücktritt ("Tank leer") und zeigt Verantwortungsgefühl gegenüber der Sache ("man muss im Amt alles geben, solange man es kann"). Sie wird (im Gegensatz zu Musk) nicht von anderen vor sich hergetrieben. Sie kann eine solide Bilanz ziehen (Covid, Christchurch, Umwelt), gesteht ihre Grenzen und Verletzlichkeit ein, ohne sich damit zu inszenieren. Gar nicht so schlecht, wie ich meine.
Randolf Jessl ist Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.