VW-Skandal: Warum Führungs- und Unternehmenskultur HR-Aufgabe sind


VW-Skandal: Führungs- und Unternehmenskultur sind HR-Aufgabe

Die Abgasmanipulation bei VW hat die Öffentlichkeit erschüttert. Ob die Personalentwicklung den Skandal hätte verhindern können, indem sie frühzeitig eine bessere Führungs- und Unternehmenskultur gefördert hätte? Dieser Frage geht unser Kolumnist Oliver Maassen diesmal nach.

Wie schnell es gehen kann, dass aus einem Vorzeigebetrieb ein schwarzes Schaf wird, zeigt eine erste Bilanz kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals bei VW: Milliarden an Vermögenswerten innerhalb von wenigen Tagen vernichtet, eine ganze Branche in Mitleidenschaft gezogen und den Innovationsstandort Deutschland massiv beschädigt. Ganz zu schweigen vom Reputationsverlust für Volkswagen; die Employer-Branding-Verantwortlichen dort haben mein aufrichtiges Mitgefühl.

Wir wissen noch nicht, ob und wie sehr Ex-VW-Chef Martin Winterkorn selbst in die Betrügereien verwickelt war. Aber offenbar gab es Führungskräfte in seinem Bereich, die davon wussten oder sie zumindest nicht verhindert haben. Die kommenden Wochen und Monate werden nun zeigen, ob der VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh Gehör findet, wenn er zu Recht einen grundlegenden Kulturwandel einfordert.

Auftrag zum Kulturwandel: ein Aufruf an HR

Der Auftrag zum Kulturwandel ist ein Aufruf an HR. Auch bei der Frage von Schuld und Verantwortung kann sich die HR-Funktion nicht einfach wegducken. Es müssen ja gar nicht Betrügereien im Ausmaß von VW sein, auch das tägliche Übersehen, Übergehen und Überschreiten von Spielregeln, Grenzen und Gesetzen häuft sich in unseren Unternehmen.

Und überall dort, wo sich die Führungsmannschaft nicht klar gegen solche Tendenzen stellt, wahrscheinlich sogar Teil des Systems ist, werden Manipulation und Korruption Tür und Tor geöffnet. Und wer, wenn nicht die Experten der HR-Funktion, ist gefordert, wenn es darum geht die Kreisläufe der Unmoral und Kriminalität zu durchbrechen?

Beratungsresistente Top-Manager stellen sich über Regeln

Ich habe in einer früheren Kolumne über die Arschloch-Theorie geschrieben, der Beobachtung, dass Führungskräfte auf dem Weg nach ganz oben nicht nur einsam werden und beratungsresistent, sondern sich auch häufig selbst über die Regeln stellen.

Dieses Phänomen haben wir schon bei einigen Unternehmensführern gesehen. Passiert ist bisher aber wenig bis nichts. Es wird sich daher zeigen, ob der Abgasskandal von VW zu einem Umdenken führt und Unternehmen Mechanismen entwickeln wollen und können, um despotischen und pathologisch narzisstischen Menschen den Weg in die Top-Etagen zu verbauen, bevor es zu spät ist.

Netzwerke und Seilschaften entscheiden über Karrieren

Hier ist neben der Personalauswahl die Personalentwicklung besonders gefragt. Bei der Einstellung eines Managers ist es einfach, über die Abprüfung seiner ethischen und moralischen Einstellungen, also in Summe seiner Persönlichkeitskompetenzen, diejenigen rauszufiltern, die nicht über die nötige moralische Stabilität verfügen – eine Aufgabe übrigens, bei der ich auch die Personalberater noch stärker als bisher in der Pflicht sehe.

Bei Managern, die schon über Jahre im Unternehmen sind, wird das Thema ungleich komplexer. Denn hier geben oft die Netzwerke oder Seilschaften den Ausschlag für den Aufstieg – mit fatalen Folgen, wenn an der Spitze ein charakterlich ungeeigneter Führer steht. In dieser Konstellation hat die Personalentwicklung so gut wie keine Chance eine Verbesserung der Situation zu erreichen, denn der Fisch stinkt bekanntlich zuerst am Kopf. Es klingt hart, aber in diesen Konstellationen stehen selbst die besten HR-Manager meist auf verlorenem Posten.

Anders sieht es aus, wenn die Unternehmensleitung einen sauberen Besetzungs- und Entwicklungsprozess ausdrücklich unterstützt. In diesem Fall kann die Personalentwicklung über einen transparenten Besetzungsprozess, die entsprechenden eignungsdiagnostischen Instrumente und vor allem über moderne Führungskräfteentwicklung auf dem Weg nach oben einen wesentlichen Beitrag für die Führungshygiene des Unternehmens leisten.

Ethik und Moral als Teil der Führungskräfteentwicklung

Ich habe in einem Führungstraining den Lackmus-Test gemacht und den Managern fünf Fälle gegeben, die alle in Bezug auf Werte, Moral und Ethik eindeutigen Handlungsbedarf aufzeigten. Nur die Hälfte der Manager erkannte jeweils, dass hier etwas zum Himmel stank, die andere Hälfte sah persönlich keinen Anlass zu reagieren.

Die Entwicklung der Kompetenzen, die für ethisches und moralisches Handeln wichtig sind, muss zurück in die Curricula von Management und Leadership. Einfach nur Compliance-Unterweisungen per Online-Test abzusichern reicht ganz sicher nicht aus.

Whistleblowing als Folge einer Misstrauenskultur

Noch an einer anderen Stelle ist der Fall VW für die Personalentwicklung interessant: Nach Medienberichten hat ein Techniker schon früh auf den illegalen Einbau jener Schadstoffregulierungssoftware hingewiesen. Sein Ruf verhallte ungehört, manche sagen, er hätte mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gehen sollen.

Bis vor kurzem habe ich über das systematische Anschwärzen, das wir neudeutsch "Whistleblowing" nennen, noch sehr negativ gedacht. Ich hielt es für moralisch fragwürdig, wenn sich Menschen an Medien oder Öffentlichkeit wenden, statt firmenintern für Aufklärung zu sorgen.

Mittlerweile hat sich mein Bild nach ausführlicher Beschäftigung mit dem Thema geändert und ich sehe Whistleblowing als logische Fortsetzung einer Kulturentwicklung, in der Personalabteilungen als Teil des Problems gesehen werden, Betriebsräte nicht mehr das Vertrauen früherer Belegschaften haben und Ombudsmänner oder –frauen nicht stark genug gegen unethisches Verhalten im  Management agieren können.

Personalentwicklung sollte Mut und Zivilcourage fördern

Wo das unmoralische System so stark geworden ist, kann Whistleblowing zum einzig möglichen Befreiungsschlag werden. Mut und Zivilcourage sind die Eigenschaften, die der Whistleblower braucht. Deshalb müssen auch diese Kompetenzen von der Personalentwicklung in den Unternehmen wieder stärker in den Blick genommen werden, denn auch dies könnte die Unternehmens- und Führungskultur auf Sicht nachhaltig verändern.

Wenn der tiefe Fall von VW also überhaupt ein Gutes hat, dann die Chance zur Erneuerung, nicht nur für den Automobilkonzern, sondern zur Erneuerung der Moral und der Kultur im Management. Die Personalentwicklung kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten und sollte ihre Instrumente auf dieses Feld stärker ausrichten.

Kolumnist Oliver Maassen

Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der  Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management. Er ist zudem Gründungsvorstand der Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft (ZAAG).