Weiterbildung ohne Grenzen
Was passiert, wenn Menschen Weiterbildung ohne Grenzen nutzen können? Die Haufe Akademie hat dies im Rahmen eines Experiments getestet. Der Name des Projekts: "Smile" – abgeleitet von "smart mile". Für die Dauer des Projekts wurden zwei Faktoren aus dem System Personalentwicklung ausgeblendet: Zum einen die Kosten, zum anderen die Hoheit des Unternehmens über die Entwicklung ihrer Mitarbeiter.
Schwierige Teilnehmersuche
Schon die Teilnehmersuche gestaltete sich schwieriger als gedacht. Nicht alle Bewerber erhielten die Freigabe von ihrem Arbeitgeber, an dem Projekt teilzunehmen. "Dabei mag auch die Sorge eine Rolle gespielt haben, dass Aufwand und Nutzen für den Betrieb bei einer vom Mitarbeiter frei wählbaren Weiterbildung nicht in einem günstigen Verhältnis sein würden", sagt Torsten Bittlingmaier, Headcoach des Projekts. Diese Befürchtung habe sich jedoch nicht bewahrheitet: "Bei der Seminarauswahl gingen die Teilnehmer insgesamt sehr besonnen vor und bedachten dabei auch den Nutzen für das eigene Unternehmen."
"Die Teilnehmer gingen bei der Seminarauswahl sehr besonnen vor und bedachten dabei auch den Nutzen für das eigene Unternehmen." (Torsten Bittlingmaier, Headcoach des Projekts "Smile")
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Die Qual der Wahl
Für die Teilnehmer des Experiments war die Auswahl der Seminare und Trainings eine große Herausforderung. Wer eine berufliche Weiterbildung bucht, weiß für gewöhnlich meist vorab, in welche Richtung es gehen soll. Die Smile-Lerner konnten hingegen völlig frei agieren - auch hinsichtlich der Kosten. "Bei manchen zeigte sich, wie stark wir erlebte Beschränkungen verinnerlichen – und wie schwer es ist, diese von heute auf morgen abzulegen: Fast alle buchten anfangs nur sehr zögerlich die ersten Kurse", erinnert sich Bittlingmaier.
Das Zeit-Dilemma
Wenn Geld oder inhaltliche Vorgaben keine Rolle spielen, zeigt sich umso deutlicher die limitierende Wirkung des Faktors Zeit. Im experimentellen Setting von Smile wurde offensichtlich, wie viele Erwartungen und Verpflichtungen Menschen heute unter einen Hut bringen müssen. Egal ob jemand in einem festen Arbeitsverhältnis steht oder freiberuflich unterwegs ist – die Zeit reicht eigentlich nie aus.
Man könnte meinen, dass Lerner in Situationen zeitlicher Engpässe E-Learnings und weitere Online-Weiterbildungsangebote bevorzugen. Diese können sie flexibler nutzen und jederzeit in ihren Arbeitsalltag integrieren. Doch paradoxerweise offenbarte sich im Smile-Projekt eine andere Tendenz: "Wer im Alltag wenig Zeit und Freiraum für Weiterbildung hat, schätzt Präsenzangebote als Ruheinsel für die eigene Entwicklung", analysiert Headcoach Bittlingmaier.
Growth Mindset: Glaube an Entwicklung versetzt Berge
Die Projektverantwortlichen beobachteten, dass gerade diejenigen Teilnehmer die größten Weiterbildungsschritte machten, die von Vorgesetzten in ihrer Entwicklung bestärkt wurden. "Im Englischen gibt es den treffenden Begriff ‚Growth Mindset‘: Gemeint ist der Glaube an das Potenzial und die Stärken – von sich selbst, aber insbesondere der anderen", sagt Bittlingmaier. Die Smile-Teilnehmer betonten, wie sehr ihnen allein die Teilnahme an dem Projekt einen persönlichen Entwicklungsschub verabreichte: Dies lag nach Meinung der Haufe-Beobachter weniger an der Möglichkeit, nach Herzenslust Seminare buchen zu können und einen Coach zur Seite zu haben, sondern an der schlichten Tatsache, dass jemand sie ausgewählt hatte, bei diesem Projekt dabei zu sein. "Ein Arbeitskollege, ein Freund, ein direkter Vorgesetzter hatte etwas in ihnen entdeckt, was Chancen für eine neue berufliche Zukunft eröffnet."
Coaching braucht Vertrauen und Nähe
Bis auf eine Ausnahme nahmen alle Projektteilnehmer den persönlichen Coach in Anspruch. Die meisten erlebten den Coachingprozess als den größten Pluspunkt des Projekts. Der Coachingerfolg hängt laut den Projektverantwortlichen sehr von der Haltung des Coachees dem Coaching gegenüber ab: "Die Teilnehmer, die sich wirklich öffnen konnten, kamen am besten an ihre Potenziale heran", so der Headcoach.
Entscheidend war für viele Teilnehmer zudem die direkte Interaktion untereinander bei gemeinsamen Veranstaltungen. Der Erfahrung von Gemeinschaft schrieben letztlich sowohl die Teilnehmer als auch ihre Coaches eine wesentliche Bedeutung für den Projekterfolg zu. "Viele Beteiligte waren fasziniert, was es bewirken kann, wenn Menschen sich als Teil einer Community erleben, die trotz vielfältigstem Hintergrund ähnliche Werte und Vorstellungen verbindet", resümiert Torsten Bittlingmaier.
Turbulent ist das neue Normal
Das Projekt Smile veranschaulicht zudem, wie massiv private Entwicklungen die berufliche beeinflussen. Geburt von Kindern, Aufnahme eines Pflegekindes oder schwere Krankheit – die Lebenslinien der Teilnehmer nahmen in den zwei Jahren des Projektes viele Wendungen. "Zunehmend wechseln sich heute Phasen von hohem beruflichem Engagement mit familiär motivierten Auszeiten und beruflicher Neuorientierung ab", so Bittlingmaier. Die Konsequenz für Personalentwicklung: Es gilt, berufliche Weiterbildung noch individueller und flexibler an verschiedene Lebensentwürfe anzupassen.
"Die alte Idee, Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen, indem man sie nötigt, sich die Ziele des Unternehmens zu eigen zu machen und die persönlichen Ansprüche in deren Dienst zu stellen, hat ausgedient", (Mario Kestler, Geschäftsführer der @HaufeAkademie)
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Während für den Wiedereinstieg klassische Bildungsmaßnahmen und Lösungen für familiäre Situationen gefragt sind, dürften Mitarbeiter mit neuen Aufgaben in einer sich wandelnden Arbeitswelt im Coaching ein passendes Begleitinstrument finden. "Die alte Idee, Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen, indem man sie nötigt, sich die Ziele des Unternehmens zu eigen zu machen und die persönlichen Ansprüche in deren Dienst zu stellen, hat ausgedient", resümiert Mario Kestler, Geschäftsführer der Haufe Akademie.
Umwege erhöhen die Ortskenntnis
Allerdings erfordert dies ein Umdenken von Personalentwicklern und Führungskräften: weg von der auf eine bestimmte Stelle oder Position ausgerichteten Anpassungsqualifizierung hin zu einer potenzial- und stärkenorientierten Förderung. Personalentwickler müssten dafür gemeinsam mit den Mitarbeitern die Ziele festlegen. Dies könnte nach Meinung der Projektverantwortlichen zu einer höheren Stimmigkeit von persönlichen Leitlinien und beruflichem Kontext führen. Zumindest im Projekt Smile führte es zu einer größeren Verbundenheit, wenn Arbeitgeber Mitarbeiter von ihrer "Weiterbildungsunmündigkeit" befreiten. "Der persönliche Erfolg der Projektbeteiligten lag nicht im Erreichen eines konkreten Ziels, sondern in dem zurückgelegten Weg und den dabei gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen", findet Mario Kestler.
"Der persönliche Erfolg liegt nicht im Erreichen eines konkreten Ziels, sondern in dem zurückgelegten Weg und den dabei gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen." Mario Kestler, @HaufeAkademie)
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Die in Unternehmen zumeist noch übliche Praxis von jährlichen Mitarbeitergesprächen und Zielvereinbarungen erwies sich im Projekt Smile als unbrauchbar. Innerhalb eines Jahres ereigneten sich zu viele ungeplante Veränderungen. Die Projektteilnehmer reagierten sehr flexibel, wenn die Ziele nicht mehr passten. Sie mussten sie neu justieren oder gänzlich verwerfen und neue ansetzen. "Einfach nur eisern an einmal gesetzten Zielen festzuhalten, schlicht der Zielerreichung wegen, ergibt keinen Sinn. Inwiefern wir das Ziel erreichen, trifft nur eine Aussage darüber, ob man auf Kurs geblieben ist", erläutert Torsten Bittlingmaier. Das bisher übliche "lineare" Vorgehen mit "Planung – Umsetzung – Kontrolle" werde deshalb besser zu einem "Planung – Umsetzung – Neuorientierung" bei permanenter Kontrolle, ob die gesetzten Ziele weiterhin erreichbar oder überhaupt noch sinnvoll seien.
Sinnstiftung konkret erleben
Die Projektinitiatoren hatten es noch einmal klassisch mit Quartalsreporting versucht: Alle drei Monate fragten sie die Teilnehmer: Was habt Ihr Euch vorgenommen und was ist aus Euren bisherigen Zielen geworden? Sie mussten einsehen: Derart stringente Ziele gehen an der Realität vorbei. Die Teilnehmer kamen nicht von A nach B, sondern landeten bei C. Hatten sie damit ihr Ziel verfehlt? "Ziele taugen in der persönlichen Entwicklung nicht mehr als Referenzgröße." Der neue Maßstab für Weiterbildung sei stattdessen, ob Menschen im System Familie und Beruf gefestigter sind als vorher und eine gute Balance finden.
Letztlich erkennen Unternehmen den Erfolg ihrer Weiterbildungsinitiativen auch am Thema Fluktuation: Wenn jemand länger im Unternehmen bleibt und sich dort entwickelt, ist das Shared Why – die Schnittmenge von persönlichem und organisationalem Sinn – höchstwahrscheinlich gelungen. So waren am Ende des Projektes trotz der Freiheit zur Neuorientierung alle schon anfangs fest angestellten Teilnehmer noch bei ihren Unternehmen – zumeist in neuer, weiterführender Funktion.
Dies ist ein Auszug aus einem Artikel in Personalmagazin Ausgabe 7/2019. Mehr über das Projekt erfahren Sie außerdem im Buch „S.mile. Mit Sinn und Selbststeuerung zur neuen Lernkultur“, herausgegeben von Mario Kestler und Jutta Rump, das im Juli 2019 bei Haufe erschienen ist. www.shop.haufe.de
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