Wann haben wir endlich Entgeltgleichheit?


Zehn Fragen an die Zukunft: Entgeltgleichheit

Der Weg zur Entgeltgleichheit ist lang und steinig. Eine kurze Zusammenfassung der Ursachen und eine Einschätzung von Michael Kramarsch, Managing Partner bei der HKP Group. Als Investor und Business Angel engagiert er sich für HR Tech Startups und ist Mitglied im Ethikbeirat HR Tech. 

Wann haben wir endlich Entgeltgleichheit? Beim Thema Entgeltgleichheit sprechen wir über eine Selbstverständlichkeit, ein Symptom und über Jobwertigkeiten.

Erstens, die Selbstverständlichkeit: Das ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen (auch) am Wirtschaftsleben. Sie ist aus dem Grundgesetz ableitbar und benötigt keine wissenschaftlichen Studien zu einer besseren Performance von Unternehmen mit höherem Frauenanteil im Management. Zu dieser Gleichberechtigung gehört auch eine faire, diskriminierungsfreie Vergütung. Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache: Laut Statistischem Bundesamt verdienten Frauen in Deutschland im Jahr 2020 im Schnitt noch immer 18 Prozent weniger als Männer. Das klingt erschreckend und ist es auch. Denn selbst unter Berücksichtigung von Teilzeitarbeit und Karriereunterbrechungen aufgrund von Familienpflichten bleibt ein unerklärter Unterschied von rund sechs Prozent, die so genannte bereinigte Entgeltlücke.

Entgeltgleichheit erfordert tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen

Zweitens, das Symptom: Die Gründe für die anhaltende Entgeltungleichheit sind vielschichtig. Ein wesentlicher Faktor ist gestern wie heute die Berufswahl: Frauen sind oft in schlechter bezahlten Branchen überrepräsentiert. Neben diesem auch gesellschaftlichen Dilemma bestehen nach wie vor historisch entwickelte Stereotype, die Frauen in Teilzeitjobs oder weniger ambitionierte Karrierewege drängen. Man denke nur an Begriffe wie Rabenmutter oder Familienmanagerin. Dazu kommt ein deutlich zu niedriger Anteil an Frauen in besser bis bestens bezahlten Führungspositionen. Bewusste oder systembedingte Entgeltdiskriminierungen sind spätestens seit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen nur mehr in Ausnahmefällen vorzufinden. Damit ist der Hebel für Entgeltgleichheit nicht so sehr die gleiche Bezahlung, sondern das Fördern von gleichberechtigter Teilhabe an unterschiedlichen Berufsbildern. Hier sind die Unternehmen gefordert, es verbleibt aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. 

Drittens, Jobwertigkeiten: Die Analyse von Entgeltgleichheit im Unternehmen ist nur möglich, wenn die Jobs zueinander in einem Wertigkeitsgefüge stehen. Hier springt ein altes HR-Tool wieder runderneuert aus der Kiste: die Stellenbewertung. Die Stellenbewertung hat Zukunft, wenngleich nahezu alle Bewertungssysteme mit einer aufbauorganisatorisch geprägten Stellenhierarchie arbeiten: mehr Mitarbeitende, mehr Budget, mehr Wert. Auf die Herausforderungen der Stellenbewertung in dynamischen, projektbezogenen Organisationen sei hier nur verwiesen.

Equal Pay für den Unternehmenserfolg

Bis wann werden wir also Entgeltgleichheit erleben? Mein Gefühl sagt mir, dass es schon längst so weit sein sollte. Als Humanist, Gründer und Managing Partner eines Unternehmens, das bis in die höchsten Entscheidungsebenen mehr als die Hälfte Frauen beschäftigt, sehe ich kein Argument für eine geschlechterspezifische Unterscheidung von Vergütungen für gleiche Tätigkeiten. Als Realist und Berater mit vielfältigsten Einblicken in die Komplexität von wirtschaftlichen Organisationen komme ich jedoch zu einer eher nüchternen Einschätzung. 

Aber ich sehe das breite Bemühen von Unternehmen, jegliche Diskriminierung – ob nun in Vergütungsfragen, Karriereaspekten oder sonstigen Themen – zu erkennen und nachhaltig zu eliminieren. Dies ist vor allem von der Einsicht getrieben, anders nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein, sei es aufgrund einer diskreditierten Arbeitgebermarke oder entsprechender Kritik seitens institutioneller Investoren.

Entgeltgleichheit ist ein langfristiges Ziel, das tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen erfordert. Es ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ein wirtschaftlicher Imperativ. Geschlechtervielfalt und gleiche Bezahlung führt zu höherer Produktivität und nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit. Dass wir als Gesellschaft nicht schon längst am Ende dieses Weges sind, ist beschämend. Es braucht zielstrebiges und entschlossenes Handeln – jetzt! 
 

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 9/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.

Schlagworte zum Thema:  Entgelt, Vergütung, Equal Pay, Digitalisierung