Virtuelle Weiterbildung: Wie effektiv ist sie und worauf kommt es an?
Durch die coronabedingten Beschränkungen unmittelbarer Interaktion sind neben digitalen Arbeitsformen wie Homeoffice auch digitale Bildungsformate als Lernen auf Distanz in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt. Diese Diskussion konzentriert sich aktuell allerdings vor allem auf den Lernort Schule und mit geringerer Priorität den Lernort Hochschule, während die Herausforderungen der betrieblichen Weiterbildung auf Distanz nur am Rande diskutiert werden. In der IAB-Befragung "Betriebe in der Covid-19-Krise" (Bellmann et al., 2020) gaben indes sechs von zehn Unternehmen an, bereits begonnene oder geplante Weiterbildungen aufgrund der Pandemie abgesagt zu haben, wobei die Kontaktbeschränkungen die Hauptbegründung darstellten. Allerdings haben auch zwei Drittel der Betriebe E-Learning-Angebote eingesetzt, wobei davon 35 Prozent während der Pandemie E-Learning erstmals eingesetzt und 44 Prozent das schon vorhandene Angebot ausgebaut haben. Die aktuelle Situation könnte somit entweder notwendige Weiterbildungsmaßnahmen hemmen oder aber als Katalysator für digitale Formate in der Zukunft dienen. Entscheidend hierfür ist die wissenschaftliche Evidenz zur Effektivität digitaler Formate, um die es im Folgenden geht.
E-Learning als langfristiger Trend
Gerade in Unternehmen ist das Thema "E-Learning" nämlich schon ein längerfristiger und gleichermaßen facettenreicher Trend: Auswertungen des IAB-Betriebspanels im Jahr 2016 ergaben, dass knapp 40 Prozent der deutschen Betriebe zunehmend digitale Medien oder E-Learning für ihre Fort- und Weiterbildung nutzen (Janssen et al., 2018, S. 6). Entsprechend liegt das Wachstum des E-Learning-Markts bezüglich Umsatz und Beschäftigtenzahl seit 2007 kontinuierlich über der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate (mmb Institut, 2020). Dieser Trend scheint durch die aktuelle Pandemiesituation verstärkt zu werden, denn Online-Formate sind derzeit vielerorts die einzige Option der Weiterbildung. Nichtsdestotrotz ist zu vermuten, dass sich nach der Krise die Frage nach Präsenz oder Online wieder als Entscheidungsproblem stellt: Sollen meine Talente weiterhin an onlinebasierten MBA-Kursen teilnehmen oder schicken wir sie wieder an einen führenden internationalen Campus? Dabei gilt es, nicht nur die aktuellen Erfahrungen in ein "New Normal" zu überführen, sondern Differenzierungsformen wie bspw. Web-based Training, Learning-Management-Systeme, Virtual-Reality oder Massive Open Online Courses (MOOCs) zu berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigen wir uns zunächst mit der generellen Effektivität virtueller Weiterbildungsangebote. Anschließend differenzieren wir innerhalb der virtuellen Angebote bezüglich der zeitlichen Flexibilität und gehen dabei nochmals spezifischer auf die (virtuelle) Verfügbarkeit bzw. Präsenz von Dozierenden ein, denn auch in virtuellen Formaten kann die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden mehr oder weniger intensiv ausgestaltet sein. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf rein virtuelle Formate und blenden digitale Tools in Präsenzveranstaltungen (zum Beispiel digitale Tafeln) aus. Virtuelle Formate versprechen sowohl zeit- als auch ortsunabhängiges Lernen, wobei diese beiden Dimensionen auch getrennt voneinander betrachtet werden können (vgl. Abb. 1).
Effektivität virtueller gegenüber präsenzorientierten Bildungsformaten
In einer frühen Metaanalyse vergleichen Traci Sitzmann und Kollegen (2006) präsenzorientierte Bildungsformate mit webbasierten Angeboten bezüglich ihrer Auswirkungen auf Lernerfolg und Zufriedenheit der Teilnehmenden. Einbezogen wurden Studien, die zwischen 1996 und 2006 veröffentlicht wurden. Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen dementsprechend die technischen Rahmenbedingungen zu dieser Zeit berücksichtigt werden. Die Autoren untersuchen neben Präsenzveranstaltungen und reinen webbasierten Formaten auch jene Mischform, in der webbasierte Formate als Ergänzung zur Präsenzlehre verwendet werden, also das sog. Blended Learning. Zudem differenzieren sie nach der Art der Bildungsinhalte zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen. Deklaratives Wissen umfasst dabei das Verständnis von Sachverhalten in Form von Fakten, Konzepten oder Theorien. Prozedurales Wissen hingegen bezieht sich auf Verfahrensweisen, um bestimmte Aufgaben und Probleme zu lösen, wobei es auch die Fähigkeit umfasst, deklaratives Wissen umzusetzen und anzuwenden. Die Ergebnisse sind in Abbildung 2 zusammengefasst. Insgesamt zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen Präsenzformaten und virtuellen Formaten. Werden webbasierte Formate im Sinne von Blended Learning ergänzend zu Präsenzformaten eingesetzt, ergeben sich bei beiden Wissensarten positive Effekte im Vergleich zu reinen Präsenzformaten, ein Befund, der auch durch die neuere Metaanalyse von Barbara Means und Kollegen (2013) unterstützt wird.
Personalentwicklungsmaßnahmen zielen primär auf den Aufbau von Handlungskompetenz: Die Teilnehmenden sollen Aufgaben im Unternehmen nach der Weiterbildung besser erledigen, als sie dies vor der Maßnahme getan haben. Allerdings liegen bislang nur wenige Studien vor, welche die Transferwirkung virtueller Weiterbildungsmaßnahmen auf die Handlungskompetenz messen, da solche Messungen methodisch anspruchsvoll und aufwendig sind. Als Näherungsmaß wird daher zumeist die Zufriedenheit der Teilnehmenden oder deren Lernerfolg als Evaluationskriterium herangezogen, auf die wir im Folgenden eingehen werden. Vergleicht man virtuelle Weiterbildung mit Präsenzformaten, so weichen die Ergebnisse zur Teilnehmendenzufriedenheit von denen zum Lernerfolg ab (vgl. Abb. 2): Virtuelle Formate unterscheiden sich bezüglich der Teilnehmendenzufriedenheit nicht von Präsenzformaten und auch Blended-Learning-Formate führen im Vergleich zu Präsenzformaten nicht zu einer höheren Zufriedenheit, sondern eher das Gegenteil ist der Fall, wie sich am negativen Vorzeichen zeigt.
Die Befunde zum Lernerfolg sprechen somit nicht gegen den Einsatz webbasierter Formate. Allerdings fallen die Ergebnisse bezüglich Lernerfolg und Zufriedenheit auseinander, sodass bei der Evaluation webbasierter Lernformate nicht ausschließlich auf Zufriedenheitsbefragungen zurückgegriffen werden sollte.
Zusammenfassend ergeben sich somit keine generellen Nachteile webbasierter Formate gegenüber Präsenzformaten und Blended-Learning-Formate führen im Vergleich zu Präsenzformaten zu höherem Lernerfolg. Allerdings muss bei diesen Ergebnissen immer berücksichtigt werden, dass Lernerfolg und nicht die tatsächliche Handlungskompetenz gemessen wird. Wie Weiterbildungsmaßnahmen in anderen Bereichen, so etwa der finanziellen Bildung (Aprea, im Druck) zeigen, stellt sich der Transfer des Gelernten in den alltäglichen Handlungsvollzug auch bei nachweislichen Lernerfolgen nicht ohne Weiteres ein.
Synchrone und asynchrone Formate
Zeitlich flexibles Lernen erfordert asynchrone Angebote, das heißt, Lerninhalte werden vorab produziert und durch die Lernenden individuell abgerufen. Alternativ dazu ist eine zeitgleiche, also synchrone Zusammenkunft in virtuellen Räumen, zum Beispiel in Form von Webinaren oder Videokonferenzen, möglich, wobei jedoch die zeitliche Flexibilität verloren geht. Welche Formate sind förderlich für den Lernerfolg? Andreas Gegenfurtner und Christian Ebner vergleichen in zwei Metaanalysen (Ebner/Gegenfurtner, 2019; Gegenfurtner/Ebner, 2019) synchrone und asynchrone Formate miteinander sowie mit klassischen Face-to-Face-Veranstaltungen. Sie beziehen dabei sowohl Studien aus dem Hochschulkontext als auch solche aus der Weiterbildung ein. Außerdem unterscheiden auch diese Autoren zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen. Dabei berücksichtigen sie ausschließlich kontrollierte Experimente. Übergreifend finden die Autoren lediglich geringfügige Unterschiede (d=0,15) im Lernerfolg zwischen Webinaren und den alternativen Formaten (online asynchrone Formate und Präsenzformate). Es zeigen sich zudem keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Zielgruppe (Studierende versus betriebliche Weiterbildung) oder der Art des zu erwerbenden Wissens (deklarativ versus prozedural). Auch hier ist zu berücksichtigen, dass Lernerfolg und nicht Handlungskompetenz gemessen wird.
Präsenz von Dozierenden in virtuellen Formaten
Auch virtuelle Weiterbildungsangebote unterscheiden sich darin, ob, in welcher Form und in welchem Umfang diese eine Interaktion mit Dozierenden ermöglichen. Welche Auswirkung hat das Ausmaß dieser Präsenz von Lehrenden auf Zufriedenheit und Lernerfolg? Dieser Frage gehen Secil Caskurlu und Kollegen (2020) in einer aktuellen Metaanalyse nach. Dabei unterscheiden die Autoren nicht einfach binär, ob eine Lehrkraft virtuell erreichbar ist, sondern differenzieren nach dem Ausmaß der Präsenz. Zur Messung werden spezifische Skalen (teaching presence scale) in Fragebögen eingesetzt, in denen bspw. danach unterschieden wird, in welchem Umfang die Lehrenden zur Partizipation ermutigen oder Fragen integrieren, die den Lernprozess unterstützen. Es handelt sich somit um eine subjektive Einschätzung der Lernenden, die nicht identisch ist mit der tatsächlichen, unmittelbaren Verfügbarkeit von Dozierenden. Auf der Basis von 30 Einzelstudien mit Studierenden finden die Autoren (Caskurlu et al., 2020, S. 7) einen mittelgroßen Einfluss der Verfügbarkeit von Dozierenden auf die Zufriedenheit (unkorrigierte Korrelation r=0,59) und den subjektiv wahrgenommen Lernerfolg (r=0,61). Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der subjektive nicht mit dem objektiven Lernerfolg zusammenfallen muss, da Menschen häufig dazu tendieren, ihren Lernerfolg systematisch zu unter- oder überschätzen, was dementsprechend zu verzerrten Ergebnissen führen kann. Zudem wird wieder Lernerfolg und nicht Handlungskompetenz gemessen. Die weitergehende Moderatorenanalyse zeigt, dass der positive Effekt in frühen Phasen des Studiums größer ist als in späten und ebenfalls bei zeitlich länger angelegten Kursen größer als bei kurzen. Diese Ergebnisse passen zu Befunden aus älteren Metaanalysen, die einen positiven Effekt der Interaktion zwischen den Beteiligten auf den Lernerfolg identifizieren, wobei nicht nur die Lehrenden-Lernenden-Interaktion positiv wirkt, sondern auch die Interaktion zwischen den Lernenden, zum Beispiel in Form von Chatgruppen oder Lernräumen zum gegenseitigen Austausch (Bernard et al., 2009).
Fazit und Handlungsempfehlungen
- Virtuelle Weiterbildungsangebote sind gemessen am Lernerfolg nicht zwangsläufig besser oder schlechter als klassische präsenzorientierte Maßnahmen.
- Blended Learning im Sinne der Verknüpfung von virtuellen und Präsenzformaten zeigen die besten Ergebnisse bezogen auf den Lernerfolg.
- Die vorliegenden Untersuchungen messen allerdings Lernerfolg und Teilnehmendenzufriedenheit. Ob daraus tatsächlich Handlungskompetenz entsteht, bleibt auf Basis der vorliegenden Studien noch offen.
- Synchrone Formate wie Webinare wirken sich im Vergleich zu asynchronen und klassischen Präsenzformaten schwach positiv auf den Lernerfolg aus.
- Auch bei virtuellen Weiterbildungsangeboten sollten Lehrende als Ansprechpersonen für die Lernenden zur Verfügung stehen.
Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 2/2021. Hier gelangen Sie zur Ausgabe zum Thema "Neues Lernen"
Literaturverzeichnis:
Aprea, C. (im Druck): Finanzielle Bildung in der Schule oder am Arbeitsplatz? Eine Synthese und kritische Würdigung aktueller Forschungsbefunde. Erscheint in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftspolitik, Heft 1/2021.
Bellmann, L. et al. (2020): Weiterbildung in der Covid-19-Pandemie stellt viele Betriebe vor Schwierigkeiten. IAB Forum. https://www.iab-forum.de/weiterbildung-in-der-covid-19-pandemie-stellt-viele-betriebe-vor-schwierigkeiten/?pdf=19505.
Bernard, R. M./Abrami, P. C./Borokhovski, E./Wade, C. A./Tamim, R. M./Surkes, M. A. et al. (2009): A meta-analysis of three types of interaction treatments in distance education. Review of Educational Research, 79(3), 1243–1289.
Caskurlu, S./Maeda, Y./Richardson, J. C./Lv, J. (2020): A meta-analysis addressing the relationship between teaching presence and students’ satisfaction and learning. Computers & Education, 157,online https://doi.org/10.1016/j.compedu.2020.103966.
Ebner, C./Gegenfurtner, A. (2019): Learning and satisfaction in webinar, online, and face-to-face instruction: a meta-analysis. Frontiers in Education, 4(92), online https://doi.org/10.3389/feduc.2019.00092.
Gegenfurtner, A./Ebner, C. (2019): Webinars in higher education and professional training: a meta-analysis and systematic review of randomized controlled trials. Educational Research Review, 2019, 28, online https://doi.org/10.1016/j.edurev.2019.100293.
Janssen, S./Leber, U./Arntz, M./Gregory, T./Zierahn, U. (2018): Mit Investitionen in die Digitalisierung steigt auch die Weiterbildung (IAB-Kurzbericht 26/2018).
Kirkpatrick, D./Kirkpatrick, J. (2006): Evaluating training programs: The four levels. Berrett-Koehler Publishers Third edition.
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mmb-Institut (2020): Auch für die E-Learning-Branche wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Ergebnisse des mmb-Branchenmonitors "E-Learning-Wirtschaft" 2020. https://www.mmb-institut.de/wp-content/uploads/mmb-Branchenmonitor_2020.pdf
Sitzmann, T./Kraiger, K./Stewart, D./Wisher, R. (2006): The comparative effectiveness of web-based and classroom instruction: A meta-analysis. Personnel Psychology, 59(3), 623-664.
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