Hansjörg Zimmermann: Wie gelingt Wissenstransfer?

In den kommenden zehn bis 15 Jahren werden laut statistischem Bundesamt rund 13 Millionen Erwerbstätige in Rente gehen. Mit ihnen geht auch wertvolles Erfahrungswissen verloren. Abhilfe schaffen eine wertschätzende Unternehmenskultur und die passenden Tools, sagt Hansjörg Zimmermann, Professor an der Macromedia Hochschule in München und Gründer zahlreicher Unternehmen.

personalmagazin - neues lernen: Herr Professor Zimmermann, Sie haben ein Unternehmen gegründet, das Organisationen dabei hilft, Wissen im Unternehmen zu halten. Wie kam es zu Ihrem Interesse für dieses Thema?

Hansjörg Zimmermann: Das hat eine recht persönliche Geschichte. 1978 habe ich das schlechteste Abitur an meinem Gymnasium gemacht und wie sich später herausstellte, sogar in ganz Stuttgart. Diese Erfahrung hat mich tief geprägt und mich an meinen Fähigkeiten zweifeln lassen. Ich hatte ein echtes Lerntrauma und litt jahrelang unter Albträumen, dass ich mein Studium nicht bestanden hätte und die Professoren es nur nicht bemerkt haben.

Doch dann machte ich eine interessante Beobachtung, die mein Interesse an der Wissensvermittlung weckte. Mein jüngerer Sohn, der heute 28 ist, ging auf eine Schule, die den Unterricht völlig anders organisierte und Wissen auf eine ansprechendere Art und Weise vermittelte. Er hatte richtig Freude am Lernen, was mich sehr beeindruckte.

Wissen muss mobiler werden

Als Professor habe ich mich dann intensiver mit der Frage beschäftigt, wie sich Bildung, Wissensvermittlung und Weiterbildung entwickeln. Vor etwa zehn Jahren führten wir ein großes Projekt durch, bei dem 100 Studierende ein Semester lang weltweit Interviews führten. Sie untersuchten, wie Wissen in Zukunft vermittelt werden muss und nach Auswertung aller Interviews kamen diese zu dem Schluss, dass Wissen mobiler werden muss. Es wird nicht mehr nur in traditionellen Seminarraumsettings vermittelt, sondern zunehmend auch über Smartphones und andere mobile Geräte. Die wichtigste Erkenntnis aller Didaktikforscher und Experten: Gamification, also spielerische Elemente in der Wissensvermittlung, werden der Schlüssel einer zeitgemäßen Wissensvermittlung werden.

Diese Ergebnisse deckten sich mit den Erfahrungen meines Sohnes. In seiner Schule lernten die Kinder auf eine ganz andere Art und Weise und hatten eine echte Freude am Wissen und am Lernen. Beim Übertritt auf das Gymnasium waren alle Schüler dieser Schule (Grundschule Stockdorf) signifikant besser als diejenigen, die aus tradierten Grundschulen kamen.

Permanentes Wissen als Grundlage für Innovation und Erfolg

neues lernen: Nun gehen die Babyboomer in Rente und mit ihnen häufig ihr Wissen. Mit Ihrem Unternehmen haben Sie die Kampagne "Dein Wissen geht in Rente" gestartet. Warum ist es aus Ihrer Sicht nötig, auf diese Weise noch einmal explizit auf das Thema aufmerksam zu machen?

Hansjörg Zimmermann: Erfahrungswerte und Wissen sind in einem Unternehmen bares Geld, was auf keinen Fall verschenkt werden sollte. Wenn dieses Wissen nicht digital transformiert wird, geht es mit der Zeit verloren. Wir glauben fest daran, dass permanentes Wissen die Grundlage für den Erfolg eines Unternehmens der Zukunft bildet. Wissen veraltet heute zwar schneller als je zuvor, aber neue Entwicklungen basieren oft auf bestehendem Wissen. Wenn dieses Basiswissen nicht dokumentiert oder weitergegeben wird, fehlt eine wichtige Grundlage für Innovationen.

Erfahrungswerte und Wissen sind in einem Unternehmen bares Geld, was auf keinen Fall verschenkt werden sollte. Wenn dieses Wissen nicht digital transformiert wird, geht es mit der Zeit verloren. -  Hansjörg Zimmermann, WhatzLife GmbH

neues lernen: Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur bei der Wissensweitergabe?

Hansjörg Zimmermann: Die Unternehmenskultur und das Vertrauen der Mitarbeitenden spielen eine wichtige Rolle. Sie müssen das Gefühl haben, dass ihr Wissen wertgeschätzt wird und sie durch das Teilen ihres Wissens keinen Nachteil erleiden. Es geht nicht immer um Gehaltserhöhungen oder bessere Firmenwagen, sondern um die grundsätzliche Anerkennung und Wertschätzung der Mitarbeiter. Unternehmen sollten deshalb eine Kultur der Wertschätzung und des offenen Austauschs fördern. Nur so kann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstehen, die es ermöglicht, Wissen effektiv weiterzugeben.

Persönlicher Austausch ist unverzichtbar für erfolgreiche Wissensvermittlung

neues lernen: Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um eine Kultur des Wissensaustauschs zu fördern?

Hansjörg Zimmermann: Unternehmen sollten regelmäßige Schulungen und Workshops anbieten, die den Wissensaustausch fördern. Zudem können Mentoring-Programme und Peer-Learning-Initiativen hilfreich sein. Wichtig ist auch, dass Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen und eine offene Kommunikationskultur vorleben. Trotz aller technologischen Fortschritte bleibt der persönliche Austausch unverzichtbar. Emotionen, Haptik und direkte Kommunikation sind essenzielle Elemente, die durch digitale Mittel nicht vollständig ersetzt werden können. Die Balance zwischen Digitalisierung und menschlicher Interaktion ist entscheidend für eine erfolgreiche Wissensvermittlung und Zusammenarbeit.

neues lernen: Welche Rolle spielen digitale Tools und Künstliche Intelligenz?

Hansjörg Zimmermann: Künstliche Intelligenz, Algorithmen und maschinelles Lernen können zum Beispiel genutzt werden, um Interviews, Dokumente und andere Materialien der ausscheidenden Mitarbeitenden unkompliziert bereitzustellen, zu analysieren und zu strukturieren. Auf diese Weise können auch komplexe Informationen in leicht verständliche und interaktive Lernmodule übersetzt werden, um das Wissen digital zu sichern.

Weitergabe von Wissen ermöglichen

neues lernen: Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Einführung digitaler Prozesse zur Wissensdokumentation in Unternehmen, und wie können diese überwunden werden?

Hansjörg Zimmermann: Eine der größten Herausforderungen bei der Einführung digitaler Prozesse zur Wissensdokumentation ist das Fehlen von Strukturen zur systematischen Erfassung und Weitergabe von Wissen. Viele Unternehmen sträuben sich gegen digitale Prozesse, da die vorhandenen Tools oft als zu kompliziert angesehen werden, insbesondere von älteren Beschäftigten, den sogenannten Digital Immigrants. Diese tun sich schwer mit der Nutzung dieser Tools. Zudem existiert oft eine Kultur des Festhaltens am eigenen Wissen, weil Wissen als Macht angesehen wird, was dazu führt, dass wertvolles Wissen nicht geteilt und dokumentiert wird.

Um diese Herausforderungen zu überwinden, ist eine klare Kommunikation und Schulung notwendig, um Berührungsängste abzubauen und die Vorteile der digitalen Tools aufzuzeigen. Unternehmen müssen ihre Mitarbeitenden aktiv in den Veränderungsprozess einbinden und ihnen die notwendigen Kompetenzen vermitteln, um mit den neuen Tools effektiv arbeiten zu können.

Viele Unternehmen sträuben sich gegen digitale Prozesse, da die vorhandenen Tools oft als zu kompliziert angesehen werden, insbesondere von älteren Beschäftigten, den sogenannten Digital Immigrants. -  Hansjörg Zimmermann, WhatzLife GmbH

Wissenstransfer unterstützen

neues lernen: Ganz abgesehen von digitalen Tools – was würden Sie Unternehmen ganz konkret empfehlen, um etabliertes Wissen zu halten und auch für die nachfolgende Generation nutzbar zu machen?

Hansjörg Zimmermann: Zunächst einmal ist es wichtig, das Vertrauen der Mitarbeiter auf ein neues Niveau zu heben und lebenslanges Lernen als Bestandteil der Unternehmenskultur zu verankern. Das Thema vertrauensvolle Zusammenarbeit muss als Wert geschätzt und etabliert werden. Wenn dies erreicht ist, kann man den Mitarbeitern zeigen, wie schön es sein kann, Wissen zu teilen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Das lässt sich oft spielerisch umsetzen, beispielsweise in Seminaren oder Workshops.

Ein sehr einfacher Trick ist es, ältere Mitarbeiter mit Auszubildenden oder jüngeren neu eingestellten Kollegen zusammenzubringen. Es ist dabei nicht wichtig, ob sie aus dem gleichen Fachbereich kommen. Man bildet Teams, die bewusst aus verschiedenen Generationen zusammengesetzt sind.

Die jüngeren Mitarbeiter freuen sich über die Erfahrung und das Wissen der älteren Kollegen und schätzen dies sehr. Gleichzeitig merken die älteren Mitarbeiter, dass sie von den frischen Perspektiven der Jüngeren lernen können. Sie sehen die Dinge oft ganz anders und das kann sehr bereichernd sein. Diese generationenübergreifenden Teams sind ein einfaches und kosteneffizientes Mittel, da die Ressourcen bereits im Unternehmen vorhanden sind.

Generationenübergreifende Teams sind ein einfaches und kosteneffizientes Mittel, da die Ressourcen bereits im Unternehmen vorhanden sind. -  Hansjörg Zimmermann, WhatzLife GmbH

Wichtig ist auch, dass der Wissensaustausch nicht zwangsweise verordnet wird. Es sollte im Team auf spielerische Weise entwickelt werden, sodass die Mitarbeiter aktiv teilnehmen und Freude daran haben. Dieses gemeinsame Erarbeiten stärkt das Vertrauen und fördert den Wissensaustausch.

Es ist auch entscheidend, den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass ihr Wissen wertgeschätzt wird und sie es nicht einfach abgeben müssen. Stattdessen sollte ihr Wissen auf wertschätzende Weise weitergegeben und genutzt werden. Dadurch entsteht eine positive Dynamik, die alle Beteiligten motiviert und den Wissensfluss im Unternehmen verbessert.


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