Debatten zum Thema "Führung" werden schnell ideologisch, entfernen sich von der Realität und der praktischen Umsetzung. In der täglichen Entwicklungsarbeit haben wir im Institut bei diesem Thema daher eine Einstiegshürde, über die selten gesprochen wird.
Was ist Fachkompetenz?
Lassen Sie mich dazu etwas ausholen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Fach- und Führungskompetenz. Erstere definiert sich über die Expertise zu einer bestimmten Thematik. Menschen erweitern ihr Wissen, zum Beispiel im Bereich der Chemie, im Maschinenbau oder bei Dienstleistungen. Wie klug sie diese Kompetenzen im Alltag in Lösungen transformieren, steht auf einem anderen Blatt. Fachkompetenz ist jedenfalls die Voraussetzung dafür. Sie ist eine Einstiegshürde für alle, die beruflich wirken wollen. Als Pragmatiker würde ich sie eher als Kompetenzverdacht bezeichnen. Weder die Anwendungsintelligenz im Alltag noch die Wettkampfhärte im Konkurrenzdruck sind bisher bewiesen.
Führungskompetenz wie Fachwissen erlernen?
Gelingt der Einstieg, führt der Ehrgeiz irgendwann zum Aufstieg. Hier gehört automatisch Führungskompetenz dazu. Also fängt der Manager oder die Managerin an, sich mit den Werkzeugen der Führung zu beschäftigen. Dabei geht er oder sie mit der gleichen Haltung an die Sache wie bei der Entwicklung des fachlichen Know-hows. Was bei der Wissensaufnahme funktioniert, stößt beim Thema Führung jedoch schnell an seine Grenzen.
Grundvoraussetzung für das Führen: der Wille, andere zu entwickeln
Folgendes passiert: Bei der Fachkompetenz interessiert sich das Individuum für das eigene Wachstum. Die Devise "Ich möchte mich entwickeln" steht im Vordergrund. Doch sobald es um Führung geht, drängt ein anderes Motiv um die Ecke. So einfach es klingt, so grundlegend ist es in der täglichen Führungskräfteentwicklung: Ab sofort geht es nicht mehr nur um die eigene Karriere, sondern um das Wachstum anderer. Die Einstiegshürde zur Führungskompetenz ist somit das ehrliche Interesse, andere Menschen zu entwickeln.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Vater oder Mutter und bringen Ihrem Kind Fahrradfahren bei. Sie üben gemeinsam voller Lust. Irgendwann nehmen Sie die Stützräder ab und das Kind fährt allein. Um diesen Stolz, den Eltern in dem Moment spüren – darum geht es mir. Zu oft wird Führungskompetenz zu einer ungewünschten Notwendigkeit von Karrieristen. Viele täuschen Interesse nur vor, weil es zur Karriere "nun mal dazugehört". Mitarbeitende spüren diese Haltung. So entstehen Schwierigkeiten.
"Führungskompetenz heißt: Ich will andere entwickeln." – Boris Grundl @Grundl
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Fach- und Führungskompetenz unterscheiden sich durch die Entwicklungsperspektive
Deswegen unterscheiden wir zwischen Fachkompetenz "Ich will mich entwickeln" und Führungskompetenz "Ich will andere entwickeln". Dieser Unterschied definiert die große Einstiegshürde, von der ich anfangs sprach. Dabei geht es nicht um eine moralische Anklage, sondern darum, eine alltägliche Herausforderung in der Praxis professionell zu beschreiben. Denn echtes Interesse an anderen Menschen kann entwickelt werden – wenn man um die Problematik weiß. Es geht um die wirkliche Lust, dass andere die Besten werden, die sie sein können. Dass sie stark werden, starke Ergebnisse produzieren und Unternehmen nach vorne bringen.
Gleichzeitig wird in der Praxis schnell klar, dass sich diese mentale Haltung bei anderen nur transformieren lässt, wenn sie zuvor bei einem selbst transformiert wurde. So kann aus der Lust nach eigenem Wachstum die Lust entspringen, andere zu entwickeln. Dann wird das Ganze rund.
Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".