HR in der Crunch Time
Es ist Crunch-Time - das war das Leitmotiv, das Walter Jochmann, Partner der Kienbaum Management Consultants in diesem Jahr für seine Eröffnungsrede wählte, die in der HR-Community inoffiziell als Rede zur Lage der HR-Nation gilt. Jochmann nutzte den Begriff aus dem Basketball, um die dramatische Lage zu beschreiben, in der Unternehmen und HR stehen. Er verwies auf die Coronapandemie, weltweite Lieferkettenprobleme, den Ukrainekrieg und den "War of Workforce", wie er den Kampf um Fachkräfte beschrieb, der sich längst nicht mehr auf besondere Talente beschränkt.
"HR hat immer dann verloren, wenn es sich langsamer verändert als das Unternehmen"
Mit dem Begriff Crunch Time beschrieb Jochmann nicht nur die Dramatik der Situation, sondern verwies auch auf eine Strategie, die jetzt angesagt sei. In der entscheidenden Spielphase (Crunch Time) darf man nicht nervös werden, sondern muss Professionalität zeigen. "Wir sind in einem nicht endenden Spiel, HR hat an Relevanz gewonnen und muss jetzt schauen, im Spiel zu bleiben", so Jochmann. Doch woran kann man erkennen, dass HR im Spiel bleibt? Jochmann bietet dafür eine einfache Formel an. "HR hat immer dann verloren, wenn es sich langsamer verändert als das Unternehmen. Abwarten ist keine Option, HR braucht den Angriffsmodus."
Im Vorfeld der Konferenz hatte Kienbaum die 100 größten Unternehmen befragt, wie sie die Lage einschätzen: nur etwa 20 Prozent zählten sich zur Spitzengruppe mit People und Innovation Excellence und sind im Angriffsmodus. "23 Prozent betrachten HR als eine Baustelle", sagte Jochmann, seine Erschütterung über den Befund war spürbar.
Erstmals mehr Frauen auf CHRO-Position
Eine bessere Lage diagnostizierte Jochmann den Unternehmen beim Thema Diversity. Unter den Dax- 40 Unternehmen sind 60 Prozent der CHRO-Positionen mit Frauen besetzt. Die CHRO-Funktion habe damit eine Vorbildfunktion für die Unternehmen. Eine feministische Personalpolitik erwartet Jochmann allerdings nicht. Wichtiger sei es für die Unternehmen, Kraft aus der Diversität zu schöpfen.
Prospektive Talentwirtschaft: Talente gewinnen und Kompetenzen managen
Birgit Bohle, CHRO der Telekom, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Umbruch der Talentmärkte. Es fehlen Talente. Der Wettbewerb sei hart. Vom Arbeitgebermarkt ist keine Rede mehr. In fünf Thesen formulierte Bohle, vor welchen Herausforderungen HR steht. Ihre Botschaft: "Wir müssen umdenken. Fundamental ist der Mindset-Shift: Wir bewerben uns bei den Talenten." Auch Oliver Maassen, CHRO von Trumpf, machte sich stark dafür, wie wichtig es sei, ein systematisches Talent- und Kompetenzsystem aufzubauen. Er plädierte dafür, ins Gespräch zu gehen über das Potential von Mitarbeitenden und auf Diversität in Kompetenzen zu setzen. HR sei hier "Initiator des Prozesses, Sparring-Partner im Gespräch mit Führungskräften." HR komme es zu, zu moderieren, durchzusteuern und mit der Führungskraft die Ergebnisse zu verantworten, führte Maassen aus. Inwiefern sich auch das Führungsverständnis ändern muss, erläuterte Sarena Lin, CHRO von Bayer. Leader müssten mehr Coaches und Mentoren sein. Es brauche einen Purpose und Sinn für die Talententwicklung. Für Lin ist klar: "Eine Organisation kann nicht nachhaltig sein, ohne sich mit Talent und Kultur zu beschäftigen."
Panel-Diskussion: Nachhaltiges People Management
Jörg Staff (CHRO Atruvia), Sabine Kohleisen (CHRO Mercedes Benz) und Prof. Isabell Welpe (TU München) hielten erst eigene Vorträge, bevor sie gemeinsam in einer Gesprächsrunde auftraten. Welpe sagte, dass Diversity und Inclusion durch die aktuelle ESG-Gesetzgebung mehr Aufmerksamkeit an den Kapitalmärkten erhalten werde. "One-size-fits-all"-Lösungen würden da nicht helfen, "nicht nur mit Blick auf die Kunden, sondern auch mit Blick auf die Mitarbeitenden". Dabei machte sich Staff stark für sein neues Führungsmodell. "Wir reden intern nicht mehr von Führungskräften, sondern von Rollenträgern, die Führungsaufgaben verteilt wahrnehmen", erklärte er im Panel-Talk. Kohleisen hob in ihrem Vortrag drei Schritte hervor: Re-shape, re-skill, re-charge und eine gerechte Arbeitsplatzpolitik ("just transition"). In Bezug auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Talente selbst fügte sie an: "Für die ganz jungen Nachwuchskräfte, die Absolventen der Gen Z, ist Nachhaltigkeit ein ganz wichtiges Thema bei der Arbeitgeberwahl. Für die Young Professionals hingegen sind traditionelle Aspekte wichtiger: Gehalt, Work-Life-Balance, und die Frage, ob sie remote arbeiten können."
Nachhaltige Personalarbeit: Transformation erfolgreich gestalten
Ariane Reinhart (CHRO Continental) fokussierte sich in ihrem Vortrag auf eines der drei großen "D"s, die Dekarbonisierung. Die zentrale Aufgabe: Arbeitsplatzverlust vermeiden. Das können die einzelnen Unternehmen nicht alleine bewältigen, beim Strukturwandel braucht es die Zusammenarbeit mit anderen. Sie verwies auf die "Allianz der Chancen", die sich das zum Thema gemacht hat und die sie auch maßgeblich mitgestaltet. Ihre Essenz: "Zukunftsgeschäft ist nachhaltiges Geschäft".
Natürlich passiert Transformation nicht von heute auf morgen. Das bestärkte auch Oliver Blume, CEO von Porsche. Und er griff auf die Sportmetaphorik zurück. "Qualität der Transformation hängt von der Leadership Qualität der Mannschaft ab", erläuterte er. Das heißt: Verantwortung übernehmen. Die richtige Mannschaft aufstellen. Auch das "E" in ESG brachte Blume an. Klimaneutralität sei hier das Ziel.
Mit seinem Blick auf globale, politische Herausforderungen rundete Joschka Fischer, der Ex-Außenminister, die Runde ab. Er führte aus, wie die Zeitenwende auch die Strategie der Unternehmen verändern werden. Das bisherige Erfolgsmodell der deutschen Unternehmen, mit allen Ländern gleichzeitig Handel zu treiben, könnte bald an seine Grenzen geraten. Seine Befürchtung: Eine republikanisch geführte US-Regierung, die seine Handelspartner vor die Wahl stelle: Entweder Handel mit uns oder mit China. Seine Empfehlung für HR: "Wir brauchen eine andere Art Führungskraft". Nämlich eine Führungskraft, so fuhr er fort, die geostrategisches Denken mitbringe. Wir müssten künftig Abhängigkeiten reduzieren.
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