Verkauft sich HR derzeit zu gut?
Während der Corona-Krise waren HR-Fachleute gefragt wie nie zuvor: Sie haben neue Konzepte für den Gesundheitsschutz entwickelt, Arbeitswelten mit Homeoffice etabliert und die Führungsteams befähigt, hybride Organisationen zu steuern. Endlich waren sie am Vorstandstisch angekommen, was HR so viele Jahre lang angestrebt hatte.
Im vergangenen Jahr, als sich die Corona-Krisenjahre dem Ende näherten, fragte Walter Jochmann, Geschäftsführer der Kienbaum Management Consultants, auf der Convention, ob die HR-Verantwortlichen ihre aufgewertete Stellung in den Unternehmen halten können. Er sprach von der "Crunch Time", in der es darum gehe, im Spiel zu bleiben. In seiner diesjährigen Eröffnungsrede zur People Convention 2023 griff er den Faden wieder auf - und seine Antwort war eindeutig: Die CHROs sind im Spiel geblieben und konnten ihre Position halten.
HR-Jobs sind gefragt wie nie zuvor
Jochmann stützte seine Analyse auf mehreren Beobachtungen. "HR-Jobs haben am Arbeitsmarkt an Attraktivität zugenommen", erläuterte er und verwies darauf, dass HR-Jobs bei den offenen Stellen an Nummer zwei stehen, nach IT-Jobs und vor Finance-Jobs. Auf der obersten Managementebene (C-Level) seien die Gehälter von HR-Jobs zuletzt um 20 Prozent angestiegen, mehr als in allen anderen Jobs. Doch HR steht nicht nur am Arbeitsmarkt auf der Sonnenseite, viele People-Themen stehen weiter auf der Agenda der CEOs. Jochmann machte das an den Risikoanalysen für die Geschäftsentwicklung deutlich, die jedes Unternehmen vornimmt. Die aktuelle Kienbaum-Umfrage bei 200 Groß- und Mittelbetrieben zeige, dass unbesetzte Stellen, steigende Personalkosten oder unzureichende Mitarbeiterbindung zu den Top-Risiken für die Geschäftsentwicklung zählen.
Top-Themen von HR
Die Umfrage zeigt auch, was derzeit die Top-Themen sind, mit denen sich die CHROs beschäftigen. Ganz oben auf der To-Do-Liste steht die Mitarbeiterbindung (80 Prozent), gefolgt von der Positionierung der Arbeitgebermarke (67 Prozent) und der strategischen Personal- und Skillplanung (69 Prozent). Auf den weiteren Plätzen folgen Personalkosten (34 Prozent), New-Work-Strategie (34 Prozent), People Sustainability Strategien (34 Prozent) , Gesundheit (30 Prozent) und Workforce Transformation (21 Prozent).
Noch nie gehörte Frage nach dem "Hype" um HR
Eher beiläufig stellte Jochmann in seiner Rede eine Frage, die noch nie (oder selten) auf einer großen HR-Konferenz gestellt wurde: "Verkauft sich HR derzeit zu gut?". Ungewöhnlich ist die Frage, weil die HR-Community in den letzten zwei Jahrzehnten darüber diskutierte, warum sie sich so schlecht verkauft und wie sie das besser machen kann. HR-Fachleute gelten häufig als exzellente Experten, im Auftritt eher bescheiden, manchmal als Bürokraten verunglimpft, weil zu ihren Aufgaben auch die Durchsetzung von Regelwerken für das Verhalten gehört. Dass sich manche HR-Chefinnen und -Chefs auch glänzend inszenieren können, wird auf der Social-Media-Plattform Linkedin sichtbar. CHROs wie Cawa Younosi oder Ariane Reinhart gehören zu den Top-Influencern, die längst über die HR-Community hinaus Anerkennung genießen.
Jochmanns Frage enthält also einen wichtigen Kern: Wenn die CHROs im Aufwind sind - Jochmann nennt das "Hype" - , müssen sie darauf achten, auch liefern zu können, was sie versprechen. Mit Skepsis blick er auf ein Teilergebnis seiner Umfrage, bei der 37 Prozent der Befragten die HR-Organisation als "eine Baustelle" betrachten. Im Vorjahr äußerten das nur 21 Prozent. Das mag eine Momentaufnahme sein, für Jochmann ist es jedoch ein Warnsignal.
Frauen weiter auf dem Vormarsch
Zu Jochmanns Analyse, die seit Jahren inoffiziell auch als "Rede zur Lage der HR-Nation" betitelt wird, gehört auch der Blick auf das Genderthema. Bei den DAX-40-Unternehmen sind aktuell 67 Prozent der Positionen von Frauen besetzt, im Vorjahr waren das 60 Prozent. Die Frauen sind bei den HR-Ressorts weiter auf dem Vormarsch, wobei nur 55 Prozent der Unternehmen im Dax über ein eigenständiges HR-Ressort verfügen. Bei 33 Prozent ist die Funktion dem CEO zugeordnet – eine Position, die weiterhin fest in der Hand der Männer ist.
Der Fortschritt beim Genderthema drückt sich auch in der Kommunikation aus. Während vor fünf Jahren beim Ausscheiden von Frauen aus dem Vorstand eine Genderdebatte losgetreten wurde, ist das in jüngster Zeit kaum noch zu beobachten. Jochmann sieht "Zeichen der Normalität".
Vielfalt der Praxis
Auf der eintägigen virtuellen Konferenz gaben zudem elf Geschäftsführende und HR-Verantwortliche Einblicke in Projekte. Alexander Birken, CEO der Otto Group, hielt ein Plädoyer für die stetige Fortentwicklung der Unternehmenskultur und riet davon ab, einen Return für diese Investments berechnen zu wollen. Kerstin Wagner, die Vice President Talent Acquisition bei der Deutschen Bahn, zeigte auf, wie sie die Arbeitgebermarke neu positioniert und 55-Jährige als neue Zielgruppe für die Bewerberansprache erschließt. Markus Fink, CHRO von Infineon, gab Einblick, wie er eine neue digitale Plattform für Mitarbeitende aufbaut, die Zugang zu allen wichtigen HR-Themen ermöglicht. Damit will er die HR-Organisation entlasten und Freiräume für neue strategische Themen schaffen.
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