HR-Trends des BPM 2023: Interview mit Inga Dransfeld-Haase

Zu Beginn eines jeden Jahres veröffentlicht der Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) seine HR-Thesen – und markiert so die wichtigen Handlungsfelder für Personalmanager und -managerinnen. So auch 2023. Obwohl Ökonomen vor einer Wirtschaftskrise warnen, geht der BPM zuversichtlich ins neue Jahr. Woher Verbandspräsidentin Inga Dransfeld-Haase ihren Optimismus nimmt, verrät sie im Interview.

Haufe Online Redaktion: Unternehmen nachhaltiger zu machen, ist eines der bestimmenden Themen dieser Zeit. In Ihren Thesen bezeichnen Sie allerdings die ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) als "bürokratischen Würgegriff". Das müssen Sie bitte erklären!

Inga Dransfeld-Haase: Diese Darstellung ist natürlich stark pointiert. Wir halten die Kriterien für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, sehen aber die Gefahr, dass diese in Unternehmen zu reinen Reporting-Kennzahlen verkommen. Deshalb wollen wir als Verband insbesondere die soziale Dimension weiter präzisieren und mit Kennzahlen hinterlegen, die praxistauglicher sind als die bisherigen Kriterien. Unser Ansatz lautet: People first. Erst die Ziele, dann die Messgrößen.

Sozialer Aspekt liegt HR näher als Nachhaltigkeit

Haufe Online Redaktion: Die Dimension Umwelt, die noch im letzten Jahr Teil Ihrer Thesen war, findet dieses Mal keine Erwähnung. Sehen Sie HR hier nicht mehr in der Pflicht?

Dransfeld-Haase: Doch, absolut. Ich bin überzeugt, dass beides, HR und Nachhaltigkeit, Hand in Hand gehen. In der Personalfunktion haben wir Handlungsfelder mit großem Impact – etwa beim Fuhrparkmanagement, bei Dienstreisen, bei Weiterbildungsangeboten oder der Führungskräfteentwicklung. Hier können wir einen konkreten Beitrag dazu leisten, Unternehmen klimafreundlicher zu machen. Trotzdem glaube ich, dass unsere Kerndisziplin der soziale Aspekt sein sollte und wir hier noch mehr verändern können.

Haufe Online Redaktion: Beispielweise bei der Chancengleichheit in Unternehmen.

Dransfeld-Haase: Exakt. Ich denke aber zum Beispiel auch an gerechte Entlohnung oder die Förderung von Vielfalt im Unternehmen.

Haufe Online Redaktion: Statt "New Work" fordern Sie "Future of Work" und meinen damit, die Arbeitsbedingungen für die Blue-Collar-Worker zu verbessern. Diese Forderung ist nicht neu.

Dransfeld-Haase: Es geht hier nicht einseitig um Basic Work oder klassische Industriearbeit. Wir wollten einfach eine neue Perspektivierung in der Debatte vornehmen und alle Facetten in den Blick nehmen. Gefühlt haben wir viel zu lange über New Work vor allem für Wissensarbeiter gesprochen. Das war wichtig, keine Frage. Aber dabei wurden oft diejenigen vergessen, die das Fundament der Leistung in vielen Unternehmen erbringen: die Mitarbeitenden in der Produktion, im Handwerk oder in den "Mensch-zu-Mensch-Tätigkeiten". Ihre Leistungen haben wir zu lange für selbstverständlich genommen. Deshalb wollen wir uns künftig stärker für diese Gruppen von Beschäftigten einsetzen, die einer stärkeren anwaltlichen Fürsprache bedürfen. Denn die Transformation von Arbeit und Gesellschaft wird nur gelingen, wenn wir alle in den Blick nehmen.

Fachkräftemangel: Unternehmen haben Fehler in der Planung gemacht

Haufe Online Redaktion: Das ist eine Situation, die auch HR mitzuverantworten hat. Wie selbstkritisch gehen Sie damit um?

Dransfeld-Haase: Ich denke, dass in einigen Unternehmen Fehler in der Planung gemacht worden sind. Dabei war die demografische Entwicklung lange absehbar. Auch beim Kostensenken haben es manche übertrieben. Heute ist uns klar, dass es so nicht weitergeht. Der Arbeitskräftemangel betrifft fast alle Unternehmen. Das zeigt: Wir brauchen ein neues Konzept des Bürgers im Unternehmen. Es geht uns um neue Formen von Durchlässigkeit und um die Chance, die Unternehmensgemeinschaft temporär zu verlassen und wieder aufgenommen zu werden. Im "War for Talents" werden sich Arbeitgeber nur dann die benötigten Fach- und Arbeitskräfte sichern können, wenn sie attraktive Rahmenbedingungen für den (Wieder-)Einstieg und den Verbleib im Unternehmen bieten.

Haufe Online Redaktion: Es geht doch aber vor allem um eine faire Bezahlung.

Dransfeld-Haase: Es geht um einen Dreiklang aus Wertschätzung, Sinnerleben und angemessener Vergütung.

Haufe Online Redaktion: Viele Führungskräfte wünschen sich hinter vorgehaltener Hand mehr Präsenzarbeit von ihren Beschäftigten. Öffentlich aussprechen würden das nur die wenigsten. Vorgaben zu machen, scheint in Zeiten von Arbeitsflexibilisierung nicht angebracht. Sie fordern mehr menschliche Nähe in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt. Ganz schön mutig, oder?

Dransfeld-Haase: Als Bundesverband der Personalmanager*innen plädieren wir im Digitalisierungsjahr 2023 für ein angemessenes Maß von Face-to-Face Collaboration. Wenn alle digitalen Wissensarbeiter als Einzelkämpfer auf digitalen Plattformen um den nächsten Auftrag konkurrieren und sich ihre Termine nur noch durch die Zoom-Fenster unterscheiden, entsteht kein Gemeinschaftsgefühl und damit auch keine Bindung. Mangelnde kulturelle Integration führt zu verringerter Wettbewerbsfähigkeit und letztlich zur Erosion der tradierten Unternehmen. Dennoch ist uns natürlich eine moderne und angemessene Form der Balance von Präsenz und Remote wichtig.

Haufe Online Redaktion: Es gibt genügend Studien, die darauf hinweisen, dass die Produktivität im Homeoffice sogar zunimmt. Woher kommen die Zweifel?

Dransfeld-Haase: Daran haben wir auch gar keinen Zweifel. Wir haben uns als Verband eher gefragt, wo die Unternehmen in fünf oder zehn Jahren stehen, wenn Menschen sich bei der Arbeit nicht mehr regelmäßig begegnen. Das ist eine offene Frage, auf die wir noch keine Antwort haben. Wir wissen nur: Menschen sind soziale Wesen. Deshalb brauchen wir echte Begegnung. Dass Hybrid Work als Arbeitsmodell gesetzt ist, steht für uns außer Frage.

HR braucht einen Weitblick

Haufe Online Redaktion: Sie ermuntern Personalerinnen und Personaler, "auf den Schultern von Riesen zu stehen". Das klingt ungewöhnlich. Was meinen Sie damit?

Inga Dransfeld-Haase: Die pandemischen und geopolitischen Verwerfungen der letzten Monate und Jahre haben gezeigt: "Fahren auf Sicht" ist auch für HR keine Handlungsoption mehr. Die Fragen, die uns aktuell bewegen, sind vielfach eher strategischer als operativer Natur: Wie kommen wir zu echter Resilienz – weit über die Lieferketten hinaus? Wie sichern wir angesichts des demografischen Wandels unsere zukunftskritischen Talent-Pipelines? Deshalb brauchen wir in den Unternehmen neue Kompetenzen für geopolitische Analysen, für Lebensstilforschung, für die Deutung des demografischen Wandels. Kurz: Wir müssen die Komplexität der Welt sinnvoll zerlegen. Und dafür brauchen wir an vielen Stellen auch neue Kompetenzen und einen neuen Weitblick in HR.

Haufe Online Redaktion: Zuletzt ging Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von einer deutlich positiveren wirtschaftlichen Prognose für das Jahr 2023 aus - anders als der Sachverständigenrat prognostiziert hat. Ihr Verband teilt diese Zuversicht. Woher nehmen Sie angesichts von Inflation, hoher Energiepreise und Arbeitskräftemangel diesen Optimismus?

Dransfeld-Haase: Das ist die Stimmung, die uns von unseren rund 5.000 Mitgliedern und aus den Unternehmen erreicht. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage nehme ich da eine gewisse Zuversicht wahr. Natürlich werden Investitionen sorgfältig geprüft und Kosten optimiert. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Unternehmen froh um alle sind, die ihren Beitrag im Unternehmen leisten– und vieles dafür tun, sie im Unternehmen zu halten. Das war in früheren Krisen nicht immer so. Ich denke, die Unternehmen haben verstanden, was ihre Beschäftigten wert sind.

Die sechs HR-Thesen 2023 aus Sicht des BPM können Sie hier nachlesen.


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