Postzusteller müssen ihr Fahrzeug gegen Wegrollen sichern
Die Entscheidung des ArbG Siegburg betrifft das komplexe Rechtsgebiet der Arbeitnehmerhaftung bei vom Arbeitnehmer verursachten Schäden im Rahmen des Arbeitsverhältnisses.
Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis
Grundsätzlich gelten für die Haftung des Arbeitnehmers innerhalb des Arbeitsverhältnisses die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln. Diese Haftungsregeln wurden jedoch durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte für das Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber deutlich modifiziert. Im Hinblick darauf, dass bei in der Regel auf längere Dauer angelegten Arbeitsverhältnissen auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer Fehler unterlaufen können, hat die Rechtsprechung in analoger Anwendung des § 254 BGB Haftungserleichterungen unter dem Gedanken eines innerbetrieblichen Schadenausgleichs zugunsten des Arbeitnehmers entwickelt (BAG, Urteil v. 27.9.1994, GS 1/89).
Volle Haftung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit
Die Gerichte unterscheiden nach den verschiedenen Verschuldensformen:
- Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit führen in der Regel zur vollen Haftung des Arbeitnehmers (ArbG Magdeburg, Urteil v. 7.12.2016, 11 Ca 1707/169);
- nur leichte Fahrlässigkeit befreit den Arbeitnehmer in der Regel von der Haftung gegenüber seinem Arbeitgeber (Hessisches LArbG, 12 Sa 1288/07);
- bei mittlerer Fahrlässigkeit wird die Haftung quotenmäßig zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt. Für die Höhe der jeweiligen Haftungsquote spielen verschiedene Parameter wie der spezifische Grad des Verschuldens und der Grad der Gefahrengeneigtheit der Arbeit eine Rolle (BAG, Urteil v. 18.1.2007, 8 AZR 250/06).
Hinweis
Bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers gegen Schäden ist dieser nach dem Grundsatz der gegenseitigen arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten grundsätzlich verpflichtet, zunächst seine Versicherung auf Regress in Anspruch zu nehmen, auch bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers (LArbG Köln, Urteil v. 27.1.2011, 7 Sa 802/10).
Postzusteller war mit vom Arbeitgeber gestellten Fahrzeug ausgestattet
In dem aktuell vom ArbG Siegburg entschiedenen Fall war der Postzusteller bei einem Postdienstleistungsunternehmen zu einem Stundenlohn von 12 Euro angestellt. Für die Postzustellungen erhielt er von seinem Arbeitgeber einen VW-Transporter zur Verfügung gestellt.
Fahrzeug bei starkem Gefälle ohne Handbremse abgestellt
Im Zuge der Auslieferung einer Paketsendung stellte der Arbeitnehmer das Fahrzeug auf einer abschüssigen Straße ab. Trotz eines Gefälles von ca. 10 % sicherte er das abgestellte Fahrzeug lediglich durch Einlegen des ersten Ganges. Die Handbremse zog er nicht an.
Fahrzeug rollte von selbst los
Es kam wie es kommen musste: Das Fahrzeug setzte sich auf der abschüssigen Straße in Bewegung, überrollte einen größeren Steinblock und kam auf der anderen Straßenseite zum Stehen. Durch das Überrollen des Steinblocks wurden die Stoßdämpfer und der hintere Achsträger beschädigt. Damit hatte der Fahrer noch Glück, denn andere Verkehrsteilnehmer kamen nicht zu Schaden. Der Schaden an dem Postzustellerfahrzeug belief sich auf 873 Euro. Diesen Betrag wollte der Arbeitgeber von dem Postzusteller ersetzt haben.
Das Schadensereignis war ohne weiteres vorhersehbar
Das ArbG Siegburg bewertete das Unterlassen der Sicherung des Fahrzeugs durch Betätigung der Handbremse als grob fahrlässig. Der im Führen von Kraftfahrzeugen erfahrene Arbeitnehmer habe angesichts eines zehnprozentigen Gefälles ohne weiteres damit rechnen müssen, dass das Fahrzeug ohne Absicherung durch die Handbremse ins Rollen kommen könne. Auf einer solchen Gefällstrecke müsse ein Fahrzeug doppelt abgesichert werden, und zwar sowohl durch Anziehen der Handbremse als auch durch Einlegen des ersten Ganges.
Arbeitnehmer zu vollem Schadenersatz verurteilt
Die Folgen eines solchen - im Übrigen auch grob straßenverkehrswidrigen - Unterlassens sind nach Auffassung des ArbG für jeden verständigen Autofahrer - auch ohne entsprechende Erfahrung - ohne weiteres einsichtig. Das Verhalten des Arbeitnehmers gehe hier weit über den Bereich der einfachen oder auch mittleren Fahrlässigkeit hinaus. Im Ergebnis verurteilte das ArbG den Arbeitnehmer wegen grob fahrlässigen Unterlassens zum Ersatz des vollen Schadens in Höhe von 873 Euro.
(ArbG Siegburg, Urteil v. 8.11.2019, 1 Ca 1225/18).
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