Schadensersatz wegen verspäteter Wiedereingliederung bei Schwerbehinderung
Vierzehn Jahre hatte eine beim Land angestellte Frau als Lehrerin gearbeitet als sie arbeitsunfähig krank wurde.
Wiedereingliederungswunsch nach langer Krankheit
Fast 1 ½ Jahre fiel die als Schwerbehinderte Anerkannte wegen ihrer Erkrankung aus.
- Am 20.01.2015 bat sie um Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell.
- Sie legte hierzu eine Bescheinigung ihres Arztes vor,
- der darin u.a. prognostizierte, dass seine Patientin am 28.3.2015 wieder voll arbeitsfähig sein würde.
Neusondierung des Arbeitsverhältnisses bei verändertem Gesundheitszustand
„Schwerbehinderte Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können.“ (§ 81 Abs.4 S.1 SGB IX a.F. = § 164 Abs.4 S.1 SGB IX seit dem 1.1.2018)
Bei Änderungen des Gesundheitszustands bedeutet das für den Arbeitgeber, die Fähigkeiten des Mitarbeiters neu auszuloten und seinen Betrieb genauestens auf passende anderweitige Einsatzmöglichkeiten zu scannen bzw. die Vorschläge seines Arbeitnehmers zu prüfen.
Anderweitig beschäftigt werden kann auch durch Wiedereingliederung
Das BAG hatte bereits 2006 entschieden, dass der Arbeitnehmer eine solche anderweitige Beschäftigung auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen kann. Wichtig ist nur, dass eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes vorgelegt wird, die Folgendes enthalten muss:
- die Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung,
- Beschäftigungsbeschränkungen,
- der Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit,
- die Dauer der Maßnahme sowie
- eine Prognose, wann die Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen werden kann (BAG, Urteil v. 13.6.2006, 9 AZR 229/05).
Zwei Monate zu spät begonnene Wiedereingliederung
Die Lehrerin in dem vor dem LAG Berlin-Brandenburg verhandelten Fall hatte eine solche Bescheinigung beigebracht. Dennoch hatte das Land die Wiedereingliederung zunächst ohne nähere Begründung abgelehnt. Erst nach Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung erfüllte das Land den Wunsch seiner Mitarbeiterin. Die Arbeitsparteien einigten sich darauf, dass sie
- ab dem 7.4.2015 10 Stunden,
- ab dem 29.4.2015 16 Stunden und
- ab den 13.5.2015 wieder in Vollzeit 26 Stunden pro Woche unterrichten sollte.
Die Lehrerin erhielt in der Wiedereingliederungszeit die auf die Stundenzahl entsprechend angepasste Vergütung.
Durch späte Wiedereingliederung entgangenes Gehalt als Schadenersatz
Wäre das Land gleich nach ihrem ersten Antrag im Januar 2015 auf den Wunsch seiner Angestellten auf Wiedereingliederung eingegangen, wäre ihre volle Arbeitskraft nach der ärztlichen Prognose bereits am 28.3.2015 hergestellt gewesen. Entsprechend mehr hätte die Lehrerin im April und Mai 2015 verdienen können. Diese Differenz klagte sie als Schadensersatz ein.
Nur wenn die gewünschte Beschäftigung unzumutbar ist, darf der Arbeitgeber ablehnen
Schadensersatzansprüche auf entgangene Vergütung sind die logische Konsequenz, wenn der Arbeitgeber es schuldhaft versäumt, seinem schwerbehinderten Mitarbeiter eine behinderungsgerechte Beschäftigung anzubieten (§ 280 Abs.1 BGB, § 823 Abs.2 i.Vm. § 81 Abs.4 S.1 SGB IX a.F.). Auch das ist vom BAG geklärt (Urteil v. 4.10.2005, 9 AZR 632/04).
- Das LAG Berlin-Brandenburg hat nun den Kreis geschlossen zwischen dem bejahten Anspruch auf Wiedereingliederung i.S.e. anderweitigen behinderungsgerechten Beschäftigung
- und den Schadensersatzansprüchen, die folgen, wenn der Arbeitgeber dem Wiedereingliederungsanspruch nicht nachkommt
- und dafür auch keine Entschuldigung vorzuweisen hat.
Argumente, die den Arbeitgeber entlastet hätten, wären z.B, gewesen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs unzumutbar ist oder er mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden gewesen wäre. Solche Argumente gab es in diesem Falle nicht, weshalb das Land an die Lehrerin nachzahlen musste.
Wichtig: Ansprüche haben nur Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung
Diese Ansprüche treffen nur auf schwerbehinderte Menschen zu. Für sonstige Mitarbeiter, die nach einem krankheitsbedingten Ausfall eine andere Tätigkeit oder die stufenweise Wiedereingliederung wünschen, gilt das nicht.
(LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 23.5.2018, 15 Sa 1700/17).
Hintergrund:
Wiedereingliederung nach SGB IX
- Bei der Wiedereingliederung werden Mitarbeiter in der Genesungsphase nach einer Erkrankung oder Verletzung stundenweise beschäftigt
- und so wieder an die am Arbeitsplatz auftretenden Belastungen herangeführt.
Sie ist ein Baustein der Rehabilitation im beruflichen Bereich und ein wesentliches Element des betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Bezahlung bei der Wiedereingliederung
Der Arbeitnehmer erhält i. d. R. während der Eingliederungsphase kein reguläres Arbeitsentgelt, sondern die vorgesehen Lohnersatzleistungen (Krankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld).
- Dafür kommt je nach Sachlage der jeweilige Rehabilitationsträger auf: Kranken- oder Rentenversicherung oder die Berufsgenossenschaft,
- abhängig davon, ob die bestehende Einschränkung durch Krankheit, Unfall, Arbeitsunfall, Berufskrankheit usw. ausgelöst wurde.
Allerdings können Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch für die erbrachten Tätigkeiten im Rahmen der Wiedereingliederung unabhängig vom normalen Beschäftigungsverhältnis separat eine Entgeltvereinbarung treffen, die durch die Rehaträger entsprechend ergänzt wird.
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