Befristung bei vorübergehendem Mehrbedarf nur mit nachvollziehbarer Begründung
Die bittere Ära des wissenschaftliche Prekariats an Deutschlands Hochschulen sollte mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz langsam zu Ende gehen. Auch ein Doktorand wollte sich nicht weiter von Befristung zu Befristung hangeln.
Befristung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, der seine Doktorarbeit schreibt
Befristungen waren für den mittlerweile 40-jährigen nichts Neues. Schon seit 2007 arbeitete er auf Basis von befristeten Arbeitsverträgen als Lehrkraft für die Universität. 14 Befristungen waren auf diese Art zusammenkommen und begleiteten ihn während der Arbeit an seiner Dissertation (§ 2 WissZeitVG).
Doppelter Abi-Jahrjahrgang führt zu mehr Studenten an der Uni
Nachdem die Doktorarbeit fertig war, wurde sein Vertrag mit Beginn des 1.4.2015 ein 15. Mal befristet, diesmal für drei Jahre. Begründet wurde dies mit einem vorübergehenden Mehrbedarf. In Nordrhein-Westfalen gab es im Frühjahr 2013 wegen
- der Verkürzung der Gymnasium-Zeit von neun auf acht Jahre
- einen doppelten Abiturjahrgang und
- dementsprechend mehr Studenten an der Uni.
Zeitweise erhöhtes Arbeitsaufkommen ist gesetzlich anerkannter Befristungsgrund
Tatsächlich kann ein sicher ausmachbarer, vorübergehender Arbeitsanfall einen Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses darstellen (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG). Das kann
- durch einen vorübergehenden Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben geschehen oder
- durch die Übernahme eines Projektes
- oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht.
Klage auf Weiterbeschäftigung nach Fristende
Der frisch gebackene Doktor hielt die Begründung für seine Befristung für vorgeschoben und wollte auch noch nach dem 31.3.2018 weiterbeschäftigt werden. Seine Entfristungsklage brachte ihn und seinen Arbeitgeber vor die Kölner Arbeitsgerichte.
Mehr Studenten, aber nicht mehr Vorlesungen
Der Dozent bestritt nicht, dass mehr Studenten als gewöhnlich eingeschrieben waren, das war tatsächlich die Folge des doppelten Abiturjahrganges. Allerdings hatte sein Arbeitgeber deswegen z.B. nicht die Anzahl der Vorlesungsstunden erhöht. Im Gegenteil:
- Die 63 Wochenstunden, die noch im Sommersemester 2012 angeboten wurden,
- hatten sich im Wintersemester 2013/14 auf 62 und
- im Wintersemester 2014/15 sogar auf 58 Stunden reduziert.
Schlechte Arbeit vor Gericht führt zur Entfristung
Dem hielt die beklagte Uni trotz Unterliegens in der 1. Instanz auch vor dem LAG Köln nichts entgegen. Sie pochte auf dem erhöhten Studentenaufkommen, versäumte es aber, den konkreten Umfang der zusätzlich entstehenden Arbeit darzulegen. So konnten sie auch die Richter der 2. Instanz nur mit einem klagestattgebenden Urteil abstrafen. Der Arbeitsvertrag des Dozenten ist in der Folge unbefristet (§ 16 Abs. 1 TzBfG).
Erwartet worden wäre in dieser Situation vom Anwalt des Arbeitgeber Folgendes:
Zunächst hätte der Regelbedarf an Arbeitszeit pro Student anhand der konkreten wie Beratung, Klausurenkorrektur etc. Aufgaben und deren Zeitanteil dargelegt werden müssen. Bei vorübergehend höherer Studentenzahl hätte man dann per Dreisatz die zusätzlich erforderliche Arbeitszeit ermitteln können, in diesem Fall für 50 % der Eingeschriebenen mit NRW-Abitur 2013.Diese müsste mit der Stundenanzahl der befristet eingestellten Arbeitskraft exakt übereinstimmen.
(LAG Köln, Urteil v. 25.2.2019, 2 Sa 516/18).
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Hintergrund: Befristung wegen Mehrbedarf
Ein nur vorübergehender Bedarf liegt vor, wenn zur Erledigung eines zeitweilig gesteigerten Arbeitsanfalls, z. B. bei Betriebsumstellungen oder wegen der Erledigung eines Spezialauftrags oder eines bestimmten Projekts, zusätzliche Arbeitskräfte zur Aufstockung der normalen Belegschaft benötigt werden (BAG, Urteil v. 25.08.2004, 7 AZR 7/04).
Bei einer Tätigkeit in einem zeitlich begrenzten Projekt ist die Befristung des Arbeitsvetrags nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn es sich dabei um eine vorübergehende und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abzugrenzenden Zusatzaufgabe handelt. Dies ist zu verneinen, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die der Arbeitgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrnimmt oder zu deren Durchführung er verpflichtet ist (BAG, Urteil v. 27.07.2016, 7 AZR 545/14).
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