Hohe Sorgfaltspflicht zum Schutz von Kindern
Zu diesem Schluss kam das OLG Hamm bei der Beurteilung eines tragischen Grillunfalls. Die betroffene Familie hatte im April 2009 in ihrem Garten eine Grillparty veranstaltet. Ein Nachbar übernahm die Rolle des Grillmeisters. Zum Entfachen der Glut benutzte er Brennspiritus, den er von der Hausherrin erhalten hatte. Entgegen allgemein bekannter Warnungen spritze der Grillmeister Spiritus direkt aus der Flasche in die glühenden Kohlen, so dass eine meterhohe Stichflamme entstand. Hierdurch geriet der Spiritusstrahl aus der Flasche in Brand. Um Schlimmeres zu verhindern, richtete der Grillmeister den Strahl in Richtung Garten, in dem sich keine Personen aufhielten. Die Hausherrin stand zu diesem Zeitpunkt mit ihren beiden minderjährigen Kindern in der Nähe des Grills, allerdings mit einem gewissen Sicherheitsabstand. Auf Zuruf der neunjährigen Schwester setzte sich der sechsjährige Sohn plötzlich in Panik rennend in Richtung des vermeintlich sicheren Gartens in Bewegung und geriet dort genau in den brennenden Spiritusstrahl. Dabei zog er sich erhebliche Brandverletzungen zu.
Versicherung verlangt Gesamtschuldnerausgleich von der Mutter
Die Haftpflichtversicherung des Grillmeisters zahlte dem sechsjährigen Sohn Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von ca. 47.000 EUR. Die Versicherung war allerdings der Auffassung, dass die Hausherrin ihren Sohn nicht ausreichend vor den Gefahren des Grills geschützt hatte und sah diese daher in der Mithaftung. Sie machte gegen die Mutter Erstattung der Hälfte der an den Sohn gezahlten Entschädigung geltend. Das zunächst zuständige Landgericht (LG) wies die Klage mit der Begründung ab, dass die panikartige Reaktion des Sohnes für die Mutter nicht vorhersehbar gewesen sei und das tragische Geschehen aus Sicht der Mutter auf einer unglücklichen Verkettung widriger Umstände beruhe.
Die Verantwortlichkeit der Eltern ist nach einem subjektiven Maßstab zu beurteilen
Das OLG legte einen strengeren Haftungsmaßstab an. Ausgangspunkt der Beurteilung durch das OLG bildete § 1664 BGB. Nach dieser Vorschrift haben Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen (diligentia quam in suis). Nach § 277 BGB ist derjenige, der für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einzustehen hat, von der Haftung wegen grober Fahrlässigkeit allerdings nicht befreit. Entscheidend sei bei der Beurteilung also ein subjektiver Maßstab, der auf die individuellen, persönlichen Eigenarten des Schädigers und seine üblichen Verhaltensweisen abstellen
Objektiv hat die Mutter fahrlässig gehandelt
Vor diesem Hintergrund stellte das OLG fest, dass die Mutter es unterlassen habe, ihre beiden minderjährigen Kinder ausreichend vor den durch den Einsatz von Brennspiritus entstehenden Gefahren zu schützen. Nach der der Mutter gemäß § 1631 Abs. 1 BGB obliegenden Personensorge sei sie verpflichtet gewesen, alles zu tun, um dem Gefahrenrisiko, dass durch die Weitergabe des Brennspiritus an ihren Nachbarn als Grillmeister geschaffen wurde, aktiv entgegenzuwirken. Die Verwendung von Spiritus als Brandbeschleuniger beim Grillen sei höchst gefährlich und könne zu explosionsartigen Verpuffungen und zu Stichflammenentstehung führen. Bei solchen Situationen seien auch panikartiges Reaktionen gerade von Kindern zu gegenwärtigen, so dass das plötzliche Rennen des Sohnes auf die Wiese objektiv durchaus voraussehbar und auch vermeidbar gewesen sei.
Haftungsprivilegierung greift
Vor diesem Hintergrund könne aber nicht außer Acht bleiben, dass die Kleidung der Mutter durch die Stichflamme selbst leicht in Brand geraten sei, sie selbst also sich in der Gefahrenzone befunden habe. Ist ein Elternteil selbst verletzt worden, ist dies nach Auffassung des Senats ein starkes Indiz dafür, dass der Betreffende sich im Rahmen der eigenüblichen Sorgfalt gehalten hat. Da die Mutter im übrigen unmittelbar neben ihren Kindern stand und auch einen gewissen Sicherheitsabstand zum Grill eingehalten hatte, hielt das OLG ihr im Ergebnis zugute, dass trotz der objektiv bestehenden Fahrlässigkeit diese sich im Rahmen der Sorgfalt bewegte, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, so dass das Gericht ihr dieses Haftungsprivileg zuerkannte.
Der Haftung nur knapp entronnen
Hiernach war aber weiter zu klären, ob das Verhalten der Mutter bereits den Grad der groben Fahrlässigkeit erreichte, so dass gemäß § 277 BGB die Haftungsprivilegierung nicht zum Zuge gekommen wäre. Nach der Definition des OLG setzt die grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Die Sorgfalt müsse in ungewöhnlich hohem Maße verletzt sein. Der Schädiger müsse das unbeachtet gelassen haben, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Letztlich müsse ein dermaßen gesteigertes, personales Verschulden vorliegen, dass auch subjektiv eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliege (BGH, Urteil v. 30.1.2001, VI ZR 49/00). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Mutter sich mit ihren Kindern in einem gewissen Sicherheitsabstand zur Grillstelle aufgehalten hatte und für sie die Möglichkeit eines Weglaufens ihres Sohnes zur Wiese auch nicht unmittelbar nahe liegend war, sah das OLG die Grenze zur groben Fahrlässigkeit als gerade noch nicht erreicht an. Im Ergebnis kam der Mutter damit die Haftungsprivilegierung des § 1664 BGB zu Gute, so dass sie hinsichtlich der Verletzungen ihres Sohnes nicht in der Mithaftung war. Die Klage der Versicherung wurde daher abgewiesen.
(OLG Hamm Urteil vom 04.04.2014 - 9 U 145/13)
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