Herausgabe anwaltlicher Handakte verjährt von der Aufbewahrungsfrist unabhängig nach 3 Jahren
Insolvenzverwalter der Schuldnerin verlangt Handakte von vormaliger Anwältin
Mit reichlich Verspätung verlangte ein Insolvenzverwalter von der Rechtsanwältin, die die Schuldnerin zuvor anwaltlich betreut hatte, die Handakten heraus. Schlecht im Ergebnis für ihn, aber gut für die Rechtsfortbildung, denn das provozierte BGH-Urteil bringt Klarheit in einer für die Anwaltschaft wichtigen Frage.
Klage fünf Jahre nach beendetem Mandatsverhältnis erhoben
Das Mandatsverhältnis zwischen der Anwältin und notleidendem Unternehmen hatte automatisch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.7.2012 geendet (§§ 115, 116 InsO). Aktenherausgabe verlangte der Insolvenzverwalter erstmals Ende 2015, was Anfang 2016 abgelehnt wurde. Mit der Erhebung der Klage ließ sich der in allen Instanzen unterlegene Insolvenzverwalter ein weiteres Jahr Zeit.
Sechs Jahre Aufbewahrungsfrist für Handakten stehen drei Jahren Verjährungsfrist gegenüber
Zweierlei Fristen spielten bei der Entscheidung eine Rolle:
- die berufsrechtliche Aufbewahrungsfrist, die sechs Jahre beträgt (§ 50 Abs. 1 BRAO) und
- die regelmäßige Verjährungsfrist nach allgemeinen Vorschriften, die nach drei Jahren abläuft (§ 195 BGB) und in Bezug auf das Auftragsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und den Herausgabeanspruch gilt (§ 667 BGB).
Beeinflusst die Aktenaufbewahrungsfrist die Regel-Verjährungsfrist?
Beide vorgenannten Fristen betreffen die anwaltliche Handakte und beginnen mit Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem das Mandatsverhältnis endet. Im hiesigen Fall war dementsprechend Fristbeginn der 31.12.2012 und Fristablauf der 31.12.2018 (§ 50 BRAO) bzw. der 31.12.2015 (§ 195 BGB). Dazwischen erhob der Insolvenzverwalter Klage, weshalb es maßgeblich auf die Frage ankam, ob die längere Frist einen Einfluss auf die kürzere hat.
BGH: Es bleibt bei der dreijährigen Verjährungsfrist
Nach einem durchgängigen Siegeszug durch die Instanzen bestätigte auch der BGH zugunsten der verklagten Anwältin: die berufsrechtlichen Aufbewahrungsfristen und die Verjährungsfrist bezüglich der Aktenherausgabe sind zwei verschiedene Paar Schuhe, die nicht miteinander kombiniert werden können.
Aufbewahrungsfristen verfolgen berufsrechtliche Ziele
Die Aufbewahrungsfrist nach § 50 BRAO, die früher sogar zehn Jahre betrug, dient berufsrechtlichen Belangen und ist z.B. auch dazu da, dem Anwalt mit Beweismitteln selbst zu helfen, sollte er sich mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen. Wichtig ist sie auch für datenschutzrechtliche Ansprüche des Mandanten.
Mit drei Jahren Verjährungsfrist ist den Mandanten-Interessen Genüge getan
Die Verjährungsfrist des BGB betrifft das Auftragsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und daraus folgende Ansprüche, u.a. die Herausgabe der Handakte. Mit der Frist von drei Jahren ab Ende des Kalenderjahres sieht der BGH den Mandanten ausreichend geschützt an.
Verjährungseinrede greift auch, wenn Akte noch vorhanden ist
Kommt der ehemalige Mandant erst nach Ablauf dieser Frist auf ihn zu, kann der Anwalt die Handakte selbst dann unter Berufung auf die Verjährung zu Recht verweigern, wenn sie faktisch noch da ist. Gleiches gilt, wenn im ursprünglichen Anwaltsvertrag eine zehnjährige Aufbewahrung der Akten vorgesehen ist.
(BGH, Urteil v. 15.10.2020, IX ZR 243/19).
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Hintergrund: BGH zur Herausgabe der Handakte
Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat er gem. § 50 Abs. 1 BRAO seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben.
Dabei fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 BGB. Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist daher insb. der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassen auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat (BGH, Urt. v. 30.11.1989, III ZR 112/88, S. 265).
Ein Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, seinem Mandanten auf Verlangen die gesamte Handakte herauszugeben. Soweit der Anwalt die Herausgabe mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen sonstiger Mandanten verweigert, hat er dies unter Angabe näherer Tatsachen nachvollziehbar darzulegen (BGH, Urteil v. 17.05.2018, IX ZR 243/17).
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