Fehlerhaftes Weiterleiten von Fremdgeldern durch den Rechtsanwalt
In dem vom BGH entschiedenen Rechtsstreit hatte der Rechtschutzversicherer den von ihrem Versicherungsnehmer mandatierten Rechtsanwalt auf Erstattung eines Zinsschadens wegen nicht erfolgter Weiterleitung von Kostenerstattungsbeträgen in Anspruch genommen.
Volle Kostenerstattung durch die Gegenseite
Der Rechtsschutzversicherer hatte in einem Streit über eine Kapitalanlage ihrem Versicherten Deckungszusagen für das Klage-, das Berufungs- und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erteilt. An den Rechtsanwalt zahlte sie Vorschüsse in Höhe von insgesamt 6.206,41 Euro.
Nachdem der Versicherte in dem geführten Rechtsstreit insgesamt obsiegt hatte, überwies der Prozessgegner auf das Konto des Anwalts Anfang November 2012 insgesamt knapp 8.000 Euro an Kostenerstattung, die der Anwalt Ende November an seinen Mandanten weiterleitete.
Rechtschutzversicherung verlangt Zinsschaden vom Anwalt
Erst nach einer Mahnung des Rechtsschutzversicherers im August 2015 leitete der Mandant des Geld an die Rechtschutzversicherung weiter. Die Rechtschutzversicherung forderte von dem Anwalt nun Zahlungen in Höhe von 1.081,16 Euro als Zinsschaden mit der Begründung, der Anwalt hätte die Zahlung des Prozessgegners spätestens Ende November 2012 an sie weiterleiten müssen. Da der Anwalt die Zahlung des Zinsschadens verweigerte, nahm die Rechtschutzversicherung ihn gerichtlich auf Erstattung in Anspruch.
BGH bestätigt Forderungsübergang auf Rechtsschutzversicherung
Der Rechtschutzversicherer scheiterte mit seiner Klage über drei Instanzen. Der letztinstanzlich mit der Sache befasste BGH stellte klar, dass der Anspruch des Versicherten auf Weiterleitung der von der Gegenseite geleisteten Kostenerstattungen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Rechtsschutzversicherung übergegangen ist, denn mit Überweisung dieser Kosten habe der Prozessgegner dem Mandanten des Anwalts einen Schaden in Form der diesem entstandenen Anwalts- und Prozesskosten ersetzt.
In Höhe der von der Versicherung geleisteten Kostenvorschüsse sei diese Schadensersatzforderung wie bei jeder anderen Schadensart auf die Versicherung übergegangen. Diesen übergegangenen Zahlungsanspruch habe der Anwalt über einen Zeitraum von ca. drei Jahren nicht erfüllt.
Ohne Mahnung kein Verzug
Dieser Sachverhalt führt nach dem Urteil des BGH aber nicht automatisch zu einem Zinserstattungsanspruch. Der BGH prüfte einen möglichen Anspruch auf Erstattung entgangener Zinsen zunächst unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Einen Verzug konnte der BGH allerdings nicht feststellen, weil der Rechtschutzversicherer den Anwalt bis August 2015 nicht gemahnt hatte und dieser deshalb nicht in Verzug geraten war.
Weiterleitung an Mandanten erfolgte lediglich versehentlich
Auch der Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag kommt nach Auffassung des BGH als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Gemäß § 668 BGB habe der Beauftragte das Geld, dass er an den Auftraggeber herauszugeben hat, aber stattdessen für sich verwendet, von der Zeit der Verwendung an zu verzinsen.
Mit der Weiterleitung der vom Prozessgegner geleisteten Zahlungen an seinen Mandanten statt an die anspruchsberechtigte Rechtschutzversicherung habe der Anwalt das Geld aber nicht im Sinne von § 668 BGB „für sich“ verwendet.
Insbesondere habe der Anwalt sich durch die Weiterleitung an den Mandanten nicht die Stellung eines Verfügungsberechtigten angemaßt, sondern den Betrag an seinen Mandanten als vermeintlichen Empfangsberechtigten lediglich versehentlich überwiesen. Damit scheide ein Erstattungsanspruch unter diesem Gesichtspunkt aus.
BRAO fordert unbedingte Sorgfalt beim Umgang mit Fremdgeldern
Schließlich prüfte der BGH die Voraussetzungen eines deliktischen Anspruchs im Rahmen von §§ 849, 823 BGB. Dieser Anspruch könne in Betracht kommen, wenn der beklagte Anwalt ein zugunsten der Rechtsschutzversicherung bestehendes Schutzgesetz verletzt hätte. Als Schutzgesetz komme § 43 a Abs. 5 BRAO in Betracht. Hiernach sei der Anwalt verpflichtet, mit Mandantengeldern sorgfältig umzugehen. Gemäß § 43 a Abs. 5 Satz 2 BRAO müsse der Anwalt erhaltene Fremdgelder unverzüglich weiterleiten. Die Regelung diene insgesamt dem Schutz des vertraglichen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant und der Erwartung einer uneingeschränkten Integrität des Rechtsanwalts in seiner Stellung als Organ der Rechtspflege.
BRAO bezweckt nicht dem Schutz von Rechtsschutzversicherungen
Die BRAO enthält nach dem Urteil des BGH allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass Rechtschutzversicherungen in diesen Schutzbereich des Gesetzes einbezogen werden sollen.
Ein deliktischer Anspruch scheitert nach Auffassung des BGH deshalb daran, dass Rechtschutzversicherungen nicht zum Kreis der durch § 43 a BRAO geschützten Personen und Interessengruppen gehören (BGH, Urteil v. 11.12.2018, II ZR 455/17). § 43 a BRAO verpflichte den Rechtsanwalt bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte gegenüber seinen Mandanten, nicht aber gegenüber Personen außerhalb des Mandatsverhältnisses.
BORA ist kein Schutzgesetz
Schließlich kommt als verletztes Schutzgesetz nach der Wertung des BGH auch nicht § 4 Abs. 2 BORA in Betracht. Diese Norm konkretisiert die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts beim Umgang mit Fremdgeldern.
Als Schutzgesetz im Sinne des § 823 BGB tauge diese Norm aber schon deshalb nicht, weil es sich nicht um ein Gesetz, sondern um autonomes Satzungsrecht des Berufsstandes der Rechtsanwälte handle. Die privatrechtlichen Beziehungen der Anwälte zu Außenstehenden würden durch die BORA nicht geregelt. Im Ergebnis bestand ein Anspruch der Rechtsschutzversicherung auf Ersatz damit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.
(BGH, Urteil v. 23.7.2019, VI ZR 307/18).
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Praxishinweis zum Thema:
Zufluss von treuhänderisch vereinnahmten Fremdgeldern als Betriebseinnahme
Rechnet ein Rechtsanwalt irrtümlich Honorarforderungen gegenüber dem Mandanten mit für den Mandanten vereinnahmten Fremdgeldern auf, so liegt im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ein Zufluss (Betriebseinnahme) in Höhe der erklärten Aufrechnung auch dann vor, wenn sich später herausstellt, dass die Aufrechnung zu Unrecht erfolgte (FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.3.2017, 2 K 2100/15, Revision eingelegt, Az. beim BFH: VIII R 14/17).
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