Messie-Syndrom ist allein kein Grund für Wohnungskündigung


Messie-Syndrom ist allein kein Grund für Wohnungskündigung

Das vollständige inwendige Zustellen einer Wohnung mit Erinnerungsstücken, Textilien und Altpapier rechtfertigt weder eine fristlose noch eine ordentliche Kündigung durch den Vermieter, wenn die Mietsache als solche hierdurch nicht gefährdet wird.

Das LG Münster hat in einem Rechtsstreit um die Berechtigung einer Wohnungskündigung entschieden, dass ein Mieter das Recht hat, seine Wohnung nach Gutdünken mit Gegenständen vollständig aufzufüllen und darin so zu wohnen, wie es ihm persönlich gefällt, solange sein Verhalten weder zu einer Beeinträchtigung der Mietsache noch der übrigen Hausbewohner führt.

Betreten der Wohnung nur noch mit Mühe möglich

Im konkreten Fall hatte die Vermieterin einer Wohnung in Münster anlässlich von Modernisierungsmaßnahmen zufällig festgestellt, dass ihre Mieterin die Wohnung mit Altpapier, Textilien und Erinnerungsstücken so zugestellt hatte, dass Besucher Mühe hatten, die Wohnung ohne unerwünschten Körperkontakt mit diesen Gegenständen zu betreten.

Amzsgericht sieht in Messie-Syndrom eine abstrakte Gefahr

Da die Mieterin auf die seitens der Vermieterin erteilte Abmahnung nicht reagierte, erklärte die Vermieterin schriftlich die Kündigung des Mietvertrages und klagte gegen ihre Mieterin auf Räumung. Erstinstanzlich hatte sie mit der Räumungsklage Erfolg. Das AG vertrat die Auffassung, das komplette Zustellen einer Wohnung stelle keine übliche, nach dem Mietvertrag vereinbarte Wohnnutzung dar und begründe eine zumindest abstrakte Gefahr, dass die Wohnung hierdurch künftig Schaden nehmen könne und auch andere Mieter - beispielsweise im Fall eines Wohnungsbrandes - geschädigt werden könnten.

AG hat Sachverständigengutachten nicht hinreichend berücksichtigt

Das Berufungsgericht sah dies anders und wies das Räumungsbegehren der Vermieterin zurück. Weder als fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB noch als ordentliche Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sei die Kündigung wirksam geworden. Das LG verwies auf das erstinstanzlich vom AG eingeholte Sachverständigengutachten.

Der Sachverständige war nach einer Besichtigung der Wohnung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine konkrete Gefährdung der Qualität der Mieträume durch Unrat, Ungezieferbefall, Schimmel oder Beeinträchtigung der Statik nicht bestanden hatte, sondern allenfalls eine abstrakte künftige Gefahr infolge mangelnder Pflege nicht vollständig auszuschließen sei.

Landgericht: Abstrakte Gefahren bestehen immer

Auf die vom AG hiernach angenommene abstrakte Gefahr einer möglichen zukünftigen Verschlechterung der Mietsache kann nach Auffassung des LG die einschneidende Maßnahme einer Kündigung nicht gestützt werden. So gesehen berge jede Vermietung einer Wohnung die abstrakte Gefahr einer möglichen künftigen Schädigung oder Verschlechterung der Mietsache.

LG betont den Grundsatz: “My home is my castle”

Die Argumentation des AG, das Zustellen der Wohnung sei kein vertragsgemäßes Wohnen im Sinne des Mietvertrages rechtfertigt nach Auffassung des LG eine Kündigung nicht. Auch grenzwertiges Ansammeln von Altpapier, Textilien und Erinnerungsstücken rechtfertige nicht ohne weiteres die Annahme einer über das Wohnen hinausgehende zweckwidrige Nutzung. Was der Begriff des Wohnens inhaltlich bedeutet, könne jeder Mieter für sich selbst entscheiden. Dies unterfalle nicht dem Bestimmungsrecht des Vermieters.

Im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit dürfe jeder Mieter seine Wohnung so einrichten und darin zu leben, wie er es für richtig hält, soweit er die Rechte Dritter hierdurch nicht beeinträchtigt. Dass eine solche konkrete Beeinträchtigung der Rechte Dritter durch das Verhalten der Beklagten nicht zu befürchten war, wurde nach Auffassung des LG durch das erstinstanzliche Sachverständigengutachten hinreichend belegt.

Im Ergebnis hob das LG die erstinstanzliche Entscheidung des AG auf und wies die Räumungsklage ab.

(LG Münster, Urteil v. 16.9.2020, 01 S 53/20)

Hintergrund: Messie im Miet- und WEG-Recht

Die Entscheidungen der Gerichte zur Berechtigung einer Kündigung wegen erkennbaren Messie-Sydroms eines Mieters fallen zeigen unterschiedliche Akzentsetzungen.

Unangenehme Wohnungsgerüche als Indiz für Objektgefährdung

Nach einer Entscheidung des LG Berlin liegt eine Gefährdung der Mietsache nicht erst bei einer bereits eingetretenen Schädigung des Mietobjekts vor, sondern schon dann, wenn sich aufgrund des Verhaltens des Mieters die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts signifikant erhöht, beispielsweise wenn die Wohnung aufgrund von Feuchtigkeit bereits erheblich „müffelt“ (LG Berlin, Beschluss v. 19.1.2018, 66 S 230/17)

Fristlose Kündigung bei Wohnungsvermüllung

Das AG München hat sogar eine fristlose Kündigung wegen eines Messie-Syndroms für gerechtfertigt gehalten. Allerdings war im dortigen Fall die Wohnung mit Unrat, leeren und angebrochenen Katzenfutterdosen und weiterem Unrat in einer Weise bedeckt, dass das Schlafzimmer nicht mehr betreten werden konnte. Außerdem waren Schimmelschäden erkennbar, auf dem vermüllten Balkon nisteten zahlreiche Tauben, der Parkettfußboden war durchnässt und mit eingetretenen Geldstücken beschädigt. Aus der Wohnung war ein unangenehmer starker Geruch auch im Treppenhaus bemerkbar, über den sich andere Mieter beschwert hatten. Vor diesem Hintergrund hat das AG München eine fristlose Kündigung als gerechtfertigt angesehen (AG München, Urteil v.18.7.2018, 416 C 5897/18; ähnlich AG Hamburg, Urteil v. 18.3.2011, 641 c 363/10).

WEG kann Messie zum Verkauf einer Wohnung zwingen

Nach einer Entscheidung des LG Hamburg kann eine Wohnungseigentümergemeinschaft einen Wohnungseigentümer zum Verkauf seiner Eigentumswohnung zwingen, wenn dessen Wohnung trotz mehrfacher Abmahnung so vermüllt ist, dass der von der Eigentümerversammlung beschlossene Austausch der Fenster und der Einbau von Kaltwasserzählern nicht möglich ist (LG Hamburg, Urteil v. 6.4.2016, 318 S 50/15).

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