Beweislastumkehr bei Behandlungsfehler durch Tierarzt

Beweislastumkehr auch bei Tierärzten: Bei groben Behandlungsfehlern können sich auch Tierärzte nur noch dann aus der Haftung befreien, wenn sie beweisen können, dass der eingetretene Schaden nicht kausal auf dem Behandlungsfehler beruht.

Die Klägerin züchtete auf ihrem kleinen Pferdehof in Bramsche hochwertige Island-Pferde. Ein Hengst galt international als Elitepferd und war als Deckhengst gefragt. Im Jahr 2010 zog sich das Tier eine Verletzung am Bein zu, wahrscheinlich durch den Tritt eines anderen Tieres. Der Tierarzt deckte die Wunde ab und verordnete zwei Tage Schonung. Nach seiner Auskunft durfte das Tier danach wieder geritten werden.

Grober Befunderhebungsfehler des Tierarztes

Ca. eine Woche später wurde ein Bruch des Unterschenkels des Pferdes diagnostiziert. Ein anschließend durchgeführter operativer Eingriff misslang. Das Pferd musste schließlich getötet werden. Wie ein Pferdesachverständiger feststellte, war das Bein des Pferdes wahrscheinlich in Folge des zuvor erfolgten Trittes angebrochen. Im Knochen befand sich nach den Feststellungen des Sachverständigen ein minimaler Spalt, der sich anschließend beim Reiten vergrößerte und schließlich zum Bruch des Knochens führte. Nach Ansicht des Gutachters hätte der Tierarzt aufgrund der großen offenen Wunde am Bein des Pferdes mit einem Knochenanriss rechnen und hierzu weitere Untersuchungen einleiten müssen. Dass er dies unterließ und das Pferd als nach zwei Tagen wieder reitfähig einstufte, war nach Auffassung des Sachverständigen ein grober Befunderhebungsfehler, der letztlich zum Tod des Pferdes führte. Allerdings wollte der Sachverständige sich nicht mit letzter Sicherheit darauf festlegen lassen, dass es ohne diesen Behandlungsfehler nicht zu einem Knochenbruch gekommen wäre.

Die Beweispflicht liegt grundsätzlich beim Geschädigten

Die Pferdezüchterin zog gegen den Tierarzt vor Gericht. Sowohl emotional als auch wirtschaftlich war der Tod des Pferdes für sie eine Katastrophe. Sie machte Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro geltend. Die Problematik ihrer Klage bestand im Wesentlichen darin, dass sie nicht zu 100 % nachweisen konnte, dass die vom Tierarzt übersehene Knochenfissur tatsächlich ursächlich für den anschließenden Bruch war. Grundsätzlich gilt für Schadensersatzklagen gegen einen Tierarzt der Grundsatz - ebenso wie in der Humanmedizin -, dass der Anspruchsteller die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und späterem Schaden vollumfänglich beweisen muss.

Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern in der Humanmedizin anerkannt

In der Humanmedizin hat der BGH diese strenge Beweislast bereits seit längerem relativiert. Weist der Anspruchsteller dem Arzt nach, dass dieser die erforderliche Sorgfalt bei der Behandlung in grober Weise verletzt hat, so kommt eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen dem groben Behandlungsfehler und dem aufgetretenen Gesundheitsschaden ins Spiel. Das bedeutet, der Arzt muss in diesem Fall beweisen, dass der Gesundheitsschaden auch dann eingetreten wäre, wenn er die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, also de lege artis durchgeführt hätte (BGH, Urteil v. 19.6.2012, VI ZR 77/11).

Beweislastumkehr nun auch in der Veterinärmedizin

Der BGH kommt in seinem jetzigen Urteil zu dem Ergebnis, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, die für die Humanmedizin geltende Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern nicht auch auf Veterinärärzte anzuwenden. In beiden Fällen beziehe sich die Behandlung auf einen lebenden Organismus. Ist ein grober Behandlungsfehler eine mögliche Ursache für einen eingetretenen Schaden und besteht gleichzeitig eine besondere Beweisnot auf Seiten des Geschädigten, so ist nach Auffassung des BGH eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Tierarztes ebenso gerechtfertigt wie in der Humanmedizin. Den maßgeblichen Gesichtspunkt für die Umkehr der Beweislast sieht der Senat nämlich darin, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Behandlungsfehlers komplett verschoben ist. Ein schwerer Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst rechtfertigt nach Auffassung des BGH daher auch in diesem Fall die Umkehr der Beweislast.

Das Urteil stärkt durch Behandlungsfehler Geschädigte

Die Versicherungswirtschaft hat das Urteil bereits kritisiert. Nach diesem Urteil sei zu erwarten, dass in Zukunft Tierärzte deutlich häufiger zum Schadensersatz herangezogen würden als bisher. Die Versicherungsprämien für die Haftpflichtversicherungen der Tierärzte könnten hierdurch deutlich steigen. Letztendlich seien auch das Kosten, die der Kunde des Tierarztes zu zahlen habe. Ob die Folgen tatsächlich so gravierend sind wie von der Versicherungswirtschaft befürchtet, mag dahinstehen. Zum Schutz der Geschädigten im Falle grober veterinärmedizinischer Behandlungsfehler ist die Entscheidung des BGH im Ergebnis zu begrüßen - und das nicht nur zur Abwendung wirtschaftlichen Schadens, sondern auch zur Schaffung eines Ausgleichs für den oft damit verbundenen emotionalen Schaden der Betroffenen.

(BGH, Urteil v. 10.5.2016, VI ZR 247/15)

 


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