LG München hat Klage gegen TÜV-Süd wegen Staudammbruch in Brasilien massiv erweitert
Das LG München hat eine massive Erweiterung einer bereits anhängigen Klage gegen den TÜV-Süd auf Schadenersatz wegen eines geborstenen Staudamms einer Eisenerzmine im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien zugelassen und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeordnet.
Gift-Schlamm-Katastrophe nach Dammbruch
Ursprünglich waren es 6 Angehörige eines Todesopfers, die Schadensersatzansprüche gegen den TÜV-Süd geltend gemacht haben. Anlass war der Bruch eines Staudamms einer Eisenerzmine in Brasilien im Januar 2019. Nach dem Dammbruch des Rückhaltebeckens wälzte sich eine giftige Lawine mit 13 Millionen m³ Schlamm aus dem geborstenen Abraumbecken über die im Bundesstaat Minas Gerais gelegene Kleinstadt Brumadinho. Folge: 270 Tote, unzählige tote Tiere, Häuser und deren Bewohner begraben unter giftigem Schlamm.
Kläger machen TÜV-Süd für Katastrophe mitverantwortlich
Die Kläger beim LG München sehen eine Mitverantwortung für die Katastrophe beim weltweit renommierten Prüfkonzern TÜV-Süd. Eine in Brasilien ansässige Filiale des TÜV-Süd hat den Staudamm 2018 zertifiziert und für sicher befunden. Nun fordern in München 1.112 Bewohner der Region Schadenersatz, weil sie nahe Angehörige und/oder Hab und Gut verloren haben. Ihre Forderungen summieren sich insgesamt auf 436 Millionen Euro, mögliche Forderungen der Gemeinde Brumadinho noch nicht eingerechnet.
LG München lässt massive Klageerweiterung zu
In einer spektakulären Entscheidung hat das LG München I die Erweiterung des ursprünglich lediglich von 6 Klägern betriebenen Rechtsstreits gegen den TÜV-Süd auf die nunmehr 1.112 Kläger zugelassen. Diese werden von einem Hamburger Rechtsanwalt vertreten, der den TÜV Süd für den Tod von 270 Menschen und eine massive Umweltzerstörung in der betroffenen Region verantwortlich macht.
TÜV-Süd bestreitet Kausalität zwischen Stabilitätsgutachten und Staudammbruch
Der TÜV-Süd selbst bestreitet jede Verantwortung. Der TÜV ist der Auffassung, zwischen dem von ihm im Jahr 2018 erstellten Stabilitätsgutachten und dem Bersten des Staudamms im Januar 2019 existiere kein Zusammenhang. Weder die brasilianischen Behörden noch der dort tätige Bergbaukonzern Vale wären nach Darstellung des TÜV bei einem negativen Ergebnis des Stabilitätsgutachtens auch nur im Ansatz bereit gewesen, zusätzliche, kostenintensive Sicherungsmaßnahmen zur Verfestigung des Staudamms zu ergreifen.
Auch eine Evakuierung der Region unterhalb des Staudamms sei für die brasilianischen Behörden zu keinem Zeitpunkt in Betracht gekommen. Die Katastrophe wäre damit so oder so nicht abgewendet worden.
TÜV-Süd hält Kläger für bereits ausreichend entschädigt
Darüber hinaus verweist der TÜV-Süd darauf, die Kläger seien bereits vom brasilianischen Staat und vom Bergbaukonzern Vale entschädigt worden. Diese auf Druck der brasilianischen Justiz beruhenden Entschädigungsleistungen seien so bemessen, dass die durch das Ereignis entstandenen finanziellen Schäden ausreichend kompensiert seien. Der Bergbaukonzern Vale haben im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs eine Gesamtentschädigungssumme in Höhe von 6 Milliarden Euro akzeptiert.
Schäden nach Klägervortrag bei weitem noch nicht beseitigt
Dies sehen die Kläger ganz anders. Bei der vom Landgericht anberaumten Gerichtsverhandlung im September 2021 - damals ging es noch lediglich um die ursprünglichen sechs Kläger - hatten die Kläger vorgetragen, die Schäden seien noch keineswegs beseitigt. Der zum Gerichtstermin eigens angereiste Bürgermeister von Brumadinho wies darauf hin, die Infrastruktur, insbesondere die Straßen, seien noch zerstört, der Ort immer noch nicht von dem Giftschlamm befreit. Die Gemeinde habe von der zugesagten Entschädigung bisher fast nichts erhalten.
Negativfolgen für Reputation des TÜV-Süd
Für den TÜV-Süd geht es nicht nur um eine immense Schadenersatzsumme, auch der Ruf und die Reputation des weltweit tätigen Überwachungs- und Prüfkonzerns mit einem Jahresumsatz von ca. 2,5 Milliarden Euro stehen auf dem Spiel. Nach den Befunden der brasilianischen Staatsanwaltschaft existieren E-Mails und WhatsApp-Nachrichten von TÜV Mitarbeitern, die Zweifel an der Unabhängigkeit des TÜV-Gutachtens im Hinblick auf erhoffte Anschlussaufträge nahelegten. Nach Erstellung des Stabilitätsgutachtens über den Staudamm habe der TÜV-Süd einen 2 Millionen-Vertrag für strukturelle Projekte erhalten.
Spanisches Gutachten untermauert Verantwortlichkeit des TÜV Süd
Für den TÜV könnte das weitere Verfahren durchaus unangenehm werden. Ein von der brasilianischen Staatsanwaltschaft beauftragter Prüfbericht eines der technischen Universität von Barcelona angeschlossenen international renommierten Forschungsinstituts kam zu dem Ergebnis, dass eine Bohrung am Unglückstag möglicherweise Auslöser für den Dammbruch war. Die Bohrung soll von der brasilianischen TÜV-Tochter TSB beaufsichtigt worden sein.
LG München dürfte nach brasilianischem Recht entscheiden
Das vom LG München anzuwendende Recht richtet sich nach der sogenannten Rom II VO der EU. Danach dürfte das LG brasilianisches Recht anzuwenden haben. Auch dies könnte für den TÜV-Süd Risiken bergen. Ein Grundsatz des brasilianischen Schadensrechts besagt, dass ein an einer risikobehafteten Tätigkeit beteiligtes Unternehmen im Fall eines Schadensereignisses schon dann haftbar ist, wenn die dem Schadensereignis vorausgehende risikobehaftete Tätigkeit mit dem anschließenden Schadensereignis in einem sachlichen Zusammenhang steht.
Mündliche Verhandlung wiedereröffnet
Den von dem LG in der mündlichen Verhandlung vom 28.9.2021 festgesetzten Verkündungstermin vom 1.2.2022 hat das LG im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Klageerweiterung von 6 auf 1.112 Kläger aufgehoben und die mündliche Verhandlung wiedereröffnet.
(LG München I, 28 O 14821/19).
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