Haben Mieter ein Recht zur Untervermietung an Geflüchtete?
In einem jetzt bekannt gewordenen Urteil hat das LG Berlin der langjährigen Mieterin einer Wohnung einen Anspruch auf Zustimmung der Vermieterin zur Untervermietung eines Zimmers an eine von der Mieterin namentlich benannte, aus der Ukraine geflüchtete Frau zuerkannt.
Humanitäre Flüchtlingshilfe als Motiv für die Untervermietung
In dem vom LG entschiedenen Fall forderte die Klägerin von ihrer Vermieterin die Zustimmung zur Untervermietung eines Zimmers ihrer Wohnung an eine aus der Ukraine geflüchtete Frau. Die Klägerin bewohnte als Mieterin ihre Dreizimmerwohnung mit einer Größe von ca. 85 m² seit Mai 2014. Mit E-Mail vom 25.4.2022 erbat sie von der beklagten Vermieterin die Erlaubnis zur Untervermietung. Sie begründete ihren Wunsch im wesentlichen mit dem Argument, humanitäre Hilfe leisten zu wollen.
Vermieterin stellt Zustimmung unter Bedingung
Mit E-Mail vom 11.5.2022 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Nachtragsvereinbarung mit der Bitte um Unterzeichnung. Darin erteilte sie die Zustimmung zur Untervermietung bei gleichzeitiger Änderung der im Mietvertrag vorgesehenen Staffelmiete in eine Indexmiete.
AG verneint berechtigtes Interesse an Untervermietung
Die Klägerin lehnte die Unterzeichnung der Nachtragsvereinbarung ab und forderte erneut - diesmal unter Fristsetzung zum 31.7.2022 - die Erteilung der Genehmigung zur Untervermietung. Ihre anschließende Klage auf Erteilung der Zustimmung blieb beim zuständigen AG erfolglos. Das AG vertrat die Auffassung, der Klägerin fehle das nach dem Gesetz erforderliche berechtigte Interesse an der Untervermietung.
Vernünftiges Interesse des Mieters genügt
Anders als die Vorinstanz bejahte das LG ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Untervermietung. Gemäß § 553 Abs. 1 Satz 1 BGB könne ein Mieter vom Vermieter die Erlaubnis zur Untervermietung eines Teiles des gemieteten Wohnraumes verlangen, wenn er nachvollziehbare, vernünftige Gründe für seinen Wunsch nach Überlassung eines Teils der Wohnung an Dritte vorbringe und dies für den Vermieter zumutbar sei. Das LG setzte sich ausführlich mit der Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen eines berechtigten Interesses des Mieters an einer Untervermietung auseinander. Danach sei jedes vernünftige - auch höchstpersönliche - Interesse des Mieters von nicht ganz unerheblichem Gewicht schützenswert, soweit es mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang stehe (BGH, Urteil v. 23.11.2005, VIII ZR 4/05).
Freie Lebensgestaltung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Gegenstand eines berechtigten Interesses könne danach vor allem der Wunsch des Mieters sein, sein Privatleben innerhalb der eigenen vier Wände nach seinen Vorstellungen zu gestalten (BGH, Beschluss v. 3.10.1984, VIII ARZ 2/84). Dies gelte etwa - aber nicht nur - für die Absicht des Mieters, mit einem Dritten in einer auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft zu leben. Eine solche Gestaltung des eigenen Lebens genieße als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG (BGH, Urteil v. 31.1.2018, VIII ZR 105/17).
Berechtigte Interessen können auch altruistisch motiviert sein
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt das Gesetz nach Ansicht des LG nicht die Auslegung zu, dass altruistische Motive – wie die Hilfe für einen Kriegsflüchtling – nicht zu den berechtigten Interessen gehöre. Erforderlich sei lediglich, dass der Mieter grundsätzlich die Absicht habe, die Wohnung mit einer weiteren Person zu teilen, auch wenn er dies nicht im Eigeninteresse tue und er mit dieser zu Person auch kein Zusammenleben beabsichtige. Konkrete Anforderungen an eine bestimmte Organisation des täglichen Lebens stelle die Rechtsordnung nicht (BGH, Urteil v. 11.6.2014, VIII ZR 349/13).
Gesetzesauslegung unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Werteordnung
Aus diesen Grundsätzen folgert das LG, dass die höchstpersönliche Gestaltung des eigenen Lebens und Handelns und dessen Ausrichtung und Gestaltung nach ethischen und humanitären Grundüberzeugungen, soweit dies mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang steht, als berechtigtes Interesse anzuerkennen ist. Dies gelte im konkreten Fall umso mehr, als die humanitäre Hilfestellung für Flüchtlinge in besonderem Maße mit der Werteordnung des Grundgesetzes übereinstimme.
Untervermietung für die Vermieterin zumutbar
Die von der Klägerin begehrte Gebrauchsüberlassung ist nach der Entscheidung des LG auch gemäß § 553 Abs. 1 Satz 2 BGB für die Beklagte zumutbar. Dies zeige sich schon daran, dass die Beklagte vorgerichtlich bereit war, die Erlaubnis zur Untervermietung zu erteilen, wenn die Klägerin einer Änderung der Staffel- in eine Indexmietvereinbarung zugestimmt hätte.
Mieterin darf untervermieten
Damit waren die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zustimmung zur Untervermietung nach Auffassung des LG erfüllt. Die Berufung gegen das ablehnende erstinstanzliche Urteil hatte in vollem Umfang Erfolg.
(LG Berlin, Urteil v. 6.6.2023, 65 S 39/23)
Hintergrund:
Die Rechtsprechung zum berechtigten Interesse auf Untervermietung an Geflüchtete ist bisher nicht einheitlich. Dies zeigen sowohl die Entscheidung der Vorinstanz im Berliner Fall als auch eine Entscheidung des AG München (AG München, Urteil v. 20.12.2023, 411 C 10539/22). Nach der Entscheidung des AG München ist ein berechtigtes Interesse des Mieters an einer Untervermietung nur in den Fällen zu bejahen, in denen
- nach Abschluss des Mietvertrages Umstände eingetreten sind,
- die ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Mieters (z.B. Interesse an Teilung der Mietkosten) oder
- ein besonderes eigenes privates Interesse (neuer Lebenspartner, Pflegeperson in der Wohnung) oder
- ein berufliches Interesse (vorübergehende berufliche Ortsabwesenheit) begründen und
- die in einem inneren Zusammenhang mit dem Zweck des Wohnraummietvertrages stehen.
AG München erkennt altruistische Motive nicht als berechtigtes Interesse an
Altruistische Motive wie eine humanitäre Hilfeleistung für Geflüchtete gehören nach Auffassung des AG München nicht zu den berechtigten (Eigen-)Interessen an einer Untervermietung. Der Münchner Fall wies allerdings die Besonderheit auf, dass der begründete Verdacht im Raum stand, dass der Mietvertrag vom Mieter von vornherein ausschließlich zum Zwecke der Untervermietung an Geflüchtete geschlossen worden war.
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