Bezeichnung als rechtsradikal = erlaubte Meinungsäußerung
Zwei Rechtsanwälte trugen verbal eine Fehde im World-Wide-Web aus. Der spätere Kläger veröffentlichte zum Missfallen des anderen Anwalts mehrfach seine politischen Ansichten über die nach seiner Auffassung bestehende „schleichende Revolution der Kosmokraten“.
Aufeinander prallende Weltanschauungen
Darunter verstand er reiche, „größtenteils khasarische, also nicht-semitische Juden, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmen“. Das Grundgesetz qualifizierte er als „ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte“.
In dem Internetforum „antivegan.de/forum“ bezeichnete der spätere Beklagte diese Äußerungen als „rechtslastigen Dreck“ und meinte der Kläger müsse sich aufgrund seiner abstrusen Äußerungen gefallen lassen, „rechtsradikal“ genannt zu werden. Der Kläger fühlte sich durch diese Qualifizierungen zu Unrecht in die rechte Ecke getrennt und klagte auf Unterlassung.
LG und OLG sahen das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt
Das LG verurteilte den Beklagten, es zu unterlassen, den Kläger als rechtsradikal zu bezeichnen oder sinngemäß so zu nennen. Die Bezeichnung „rechtsradikal“ bewertete das LG als nicht bewiesene, verunglimpfende Tatsachenbehauptung. Das OLG qualifizierte demgegenüber die Äußerungen des Beklagten nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Werturteile.
Nach Auffassung der OLG-Richter hatte der Beklagte jedoch die Grenze zur Schmähkritik überschritten, die von dem grundgesetzlich geschützten Recht zur freien Meinungsäußerung nicht erfasst werde. Mit dieser geänderten Argumentation bestätigte das OLG die Entscheidung des LG.
Vorinstanzen haben das Recht auf freie Meinungsäußerung verkannt
Das BVerfG nahm darauf die Verfassungsbeschwerde des Beklagten zur Entscheidung an und sah Veranlassung, die Vorinstanzen über die Begrifflichkeit der Tatsachenbehauptung und des Werturteils eingehend belehren. Natürlich seien die Äußerungen des Beklagten als Werturteile zu qualifizieren. Die Bezeichnung „rechtsradikal“ sei nämlich nicht dem richterlichen Tatsachenbeweis zugänglich, sondern bleibe immer eine Frage des Standpunktes des Urteilenden. Sie enthalte die für eine Meinungsäußerung typischen Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens.
„Rechtsradikal“ ist keine Schmähkritik
Nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts war es auch verfehlt, diese Qualifizierung als Schmähkritik einzuordnen. Eine Schmähkritik zeichne sich dadurch aus, dass ihr jeglicher sachlicher Bezug fehle und die Äußerung ausschließlich dem Ziel der persönlichen Herabwürdigung des Geschmähten diene. Hiervon könne vorliegend aber keine Rede sein. Die Äußerungen seien im Rahmen einer öffentlichen Diskussion im Netz unter vielfältigen sachlichen Bezügen gefallen. Solche Äußerungen unterlägen grundsätzlich dem Schutz der freien Meinungsäußerung. Dies habe das OLG fundamental verkannt. Die Grenze zur Schmähkritik sei keinesfalls erreicht.
Klare Entscheidungskoordinaten für die Vorinstanz
Das BVerfG wies aber auch darauf hin, dass Art. 5 GG die Meinungsfreiheit nicht unbeschränkt, sondern nur im Rahmen der Gesetze garantiert. Eine Meinungsäußerung dürfe nicht in unzulässiger Weise in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen. Den Attributen „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ komme im Netz durchaus eine „Prangerwirkung“ zu, die das Ansehen einer Person beschädigen und bei einem Rechtsanwalt bis hin zur beruflichen Existenzgefährdung gehen könne.
Abwägungsfragen
Erforderlich im vorliegenden Fall sei daher eine
Abwägung der Gefährdung des Persönlichkeitsrechts einerseits
und dem Recht auf freie Meinungsäußerung anderseits.
Bei dieser Abwägung sei allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger durch seine provokanten Thesen einen Meinungskampf im Netz eröffnet habe, der zu harten, scharfen Reaktionen führen könne. Die öffentliche Diskussion dürfe keinesfalls verhindert werden.
Der Schutz des Persönlichkeitsrechts dürfe nicht zur Unterdrückung einer echten, harten Auseinandersetzung führen, zumal der Kläger hier nicht in seiner engeren Privatsphäre sondern eher im sozialen Raum betroffen werde. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit aus Gründen des Schutzes des Persönlichkeitsrechtes müsse auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt werden. Mit dieser Maßgabe wies das BVerfG den Rechtsstreit an das LG zur erneuten Entscheidung zurück.
(BVerfG, Beschluss v. 17.09. 2012, 1 BvR 2979/10).
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