Neues Unternehmenssanktionsrecht ahndet mangelhafte Compliance-Strukturen streng
Die effektive Bekämpfung der Korruption steht im Zentrum der Gesetzgebungspläne, denn das deutsche Sanktionsrecht für Unternehmen hinkt dem anderer Länder deutlich hinterher.
- In vielen Industriestaaten existieren bereits Gesetze,
- nach denen Unternehmen als solche für Korruptionsfälle bestraft werden können.
In Deutschland existiert trotz mehrerer Anläufe noch kein Unternehmensstrafrecht
Ein Unternehmensstrafrecht ist in Deutschland nicht vorhanden. In der Bundesrepublik können bei schweren Korruptionsverfehlungen von Leitungspersonal bisher lediglich ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen das Unternehmen, sprich Bußgelder gegen die Anstellungskörperschaft verhängt werden.
- Ein darüber hinausgehender Gesetzesvorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2013 ist bisher über das Entwurfsstadium nicht hinaus gekommen.
- Hinzugetreten ist im Jahr 2017 der Kölner Entwurf eines Verbands-Sanktionengesetzes der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht.
Ein dogmatisches Grundproblem sehen Strafrechtler in der Einführung einer Strafvorschrift für Unternehmen als solche, weil Unternehmen im strafrechtlichen Sinne eigentlich selbst nicht handlungsfähig sind, Unternehmen also stellvertretend für die strafbaren Handlungen ihrer Mitarbeiter bestraft würden. Dieses Problem wird im Gesetzentwurf so gelöst, dass gegen Unternehmen keine verschuldensabhängigen Strafen sondern Sanktionen - der Begriff Strafe kommt im Entwurf nicht vor - wegen strukturellen Versagens vorgesehen sind.
Bisher gilt für die Sanktionierung von Unternehmen das Opportunitätsprinzip
Die zentrale Rechtsnorm für die Sanktionierrung von Unternehmen ist aktuell § 30 OWiG. Ein wesentlicher Unterschied zum Strafrecht ist das im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Opportunitätsprinzip, also das - im Gegensatz zum Legalitätsprinzip - bestehende Ermessen der Strafverfolgungsbehörden, bestimmten Vorgängen überhaupt nachzugehen.
Die Maximal-Strafe liegt nach § 30 OWiG bei 10 Millionen Euro Geldbuße. Daneben besteht die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung gemäß § 17 Abs. 4 OWiG.
In Zukunft gilt das Legalitätsprinzip
Eine der zentralen Neuerungen des Entwurfs ist dann auch die Einführung des Legalitätsprinzips bei der Verfolgung von Verfehlungen. Künftig soll im Falle des Bestehens eines Anfangsverdachts die Staatsanwaltschaft verpflichtet sein, ein Ermittlungsverfahren gegen den betreffenden Verband einzuleiten. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Ref-E ist Gegenstand der Ermittlungen jede Verfehlung,
„durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte“.
Einbezogen werden auch im Ausland begangenen Verfehlungen, sofern der Verband zur Zeit der Tat einen Sitz im Inland hatte.
Anreize für „Internal Investigations“
Die Vielzahl der Unternehmensaffären der letzten Jahre, über die Bankenkrise bis hin zum Abgasskandal, haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Unternehmen stark erschüttert. Um das öffentliche Vertrauen wieder zu stärken, möchte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sich entwickelnde Korruptionsmechanismen bereits im Keim ersticken. Hierzu schafft der Referentenentwurf ein Instrumentarium für Unternehmen, selbst interne Ermittlungen in ihrem Bereich umfassend und konsequent durchzuführen.
Neue Unternehmensbefugnisse im Rahmen der „Internal Investigations“
Der Entwurf sieht die Einführung spezifischer Regelungen vor, wonach Unternehmen berechtigt sein sollen, im Fall eines Korruptionsverdachts eigene Ermittlungen gegen den betroffenen Mitarbeiter zu führen. Hierzu gehören
- die Zulassung geeigneter Überwachungsinstrumente,
- die Durchführung von Befragungen
- und gegebenenfalls die Verhängung von Sanktionen.
Sanktionsrabatte bei effizienter Compliance
Unternehmen die entsprechende Strukturen zur Prävention und Verhinderung von Korruption einführen, sollen im Gegenzug dafür belohnt werden. Im Fall eines durch interne Ermittlungen aufgedeckten Korruptionsfalles sollen die Sanktionen gegen das Unternehmen im Vergleich zu erst durch Ermittlungen der StA aufgedeckte Fällen deutlich geringer ausfallen, § 18 Ref-E. Voraussetzung für den Sanktionsrabatt soll aber sein, dass
- der Verband wesentlich zur Aufklärung der Tat beigetragen hat,
- er mit den Behörden ununterbrochen uneingeschränkt zusammenarbeitet,
- die zur Aufklärung erforderlichen Dokumente zur Verfügung stellt und
- die internen Untersuchungen unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt hat, § 18 Nr. 1-5 Ref-E.
Strafprozessuale Beschuldigtenrechte in Gefahr?
Einige arbeitsrechtliche und strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit der unternehmensinternen Ermittlungen sind noch hoch umstritten.
- So besteht noch Streit darüber, inwieweit im Falle interner Ermittlungen beispielsweise Befragungsprotokolle, unternehmensinterne Ergebniszusammenfassungen und ähnliche Unterlagen der Beschlagnahme durch die StA unterliegen sollen. Der Entwurf sieht hierzu eine ausführliche Belehrungspflicht seitens des Unternehmens gegenüber dem betreffenden Mitarbeiter über mögliche Folgen der Befragung vor und gewährt diesem ein Recht der Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes im Rahmen der Internal Investigations.
- Für betroffene Mitarbeiter besteht die Gefahr, dass ihre gegenüber dem Arbeitgeber getroffenen Aussagen in einem späteren strafrechtlichen Verfahren in vollem Umfange gegen sie verwertet werden können,
- obwohl ihnen gegenüber dem Arbeitgeber - anders als im Strafverfahren - kein Aussageverweigerungsrecht zustand,
- sondern möglicherweise sogar eine arbeitsrechtliche Pflicht zur Auskunft bestand.
Wichtig: Außerdem soll bei der Beschlagnahme von Unterlagen streng zwischen Protokollen aus den Internal Investigations und Unterlagen im Rahmen der Strafverteidigung getrennt werden. Letztere unterliegen nicht der Beschlagnahme.
Heftige Kritik vom DAV
Diese beabsichtigten Regelungen stoßen auf heftige Kritik des DAV.
Ein Gesetz, das grundlegende Beschuldigtenrechte missachte und den Schutz des Anwaltsgeheimnisses nicht zu 100 % garantiere, werde man nicht mittragen.
Beschlagnahmen sind auch jetzt schon möglich
Auch die derzeitige Rechtslage berücksichtigt diese Verwertungsproblematik kaum. Das BVerfG hatte erst kürzlich entschieden, dass interne Unterlagen des Volkswagen-Konzerns, die die StA bei der den Konzern vertretenden Anwaltskanzlei Jones Day beschlagnahmt hatte, ausgewertet werden dürfen. Allerdings bestand hier die Besonderheit, dass das BVerfG die Kanzlei wegen ihres ausländischen Hauptsitzes als nicht grundrechtsfähig angesehen hatte. Eine Verletzung verfassungsrechtlicher Normen gegenüber der Volkswagen AG verneinte das höchste deutsche Gericht (BVerfG, Beschluss v. 6.7.2018, 2 BvR 1287/17; 2 BvR 1583/17).
Strafen von bis zu 10 % des Jahresumsatzes
Der Referentenentwurf sieht äußerst harte Sanktionen für jeden Korruptionsfall. Die Sanktion soll in Anlehnung an das Bundeskartellrecht bis zu 10 % des Jahresumsatzes betragen können ( § 9 Ref-E). Dies soll allerdings nur für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen EUR gelten. Liegt der Jahresumsatz darunter, so gilt der bisherige Sanktionsrahmen von bis zu 10 Millionen Euro bei Vorsatztaten.
Rechtsbruchregister: Ein öffentlicher Pranger für Unternehmen?
Heftig umstritten ist die beabsichtigte Anlegung eines Registers, in das Unternehmen eingetragen werden sollen, die durch ihre Struktur und Organisation Rechtsbrüche von Mitarbeitern begünstigen. Bei besonders häufigen und gravierenden Verstößen soll der Name der betreffenden Unternehmen veröffentlicht werden können, mit möglichen erheblichen Auswirkungen auf das Unternehmensimage. In extremen Fällen soll sogar die Auflösung eines Unternehmens möglich sein.
Verbraucher sollen schneller entschädigt werden
Das neue Gesetz verfolgt neben dem Sanktionszweck das Ziel, einen sicheren und fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen zu gewährleisten und Verbraucher vor Wirtschaftskriminalität zu schützen. Zu diesem Zweck sollen die Möglichkeiten des Staates, rechtswidrig erlangte Vermögenswerte einzuziehen, erweitert werden. Im Gegensatz zu den verhängten Bußgeldern soll das eingezogene Vermögen unmittelbar an Geschädigte ausgezahlt werden können.
Die Umsetzung wird noch dauern - Kritik von vielen Seiten
Kritik erhält der Referentenentwurf von (fast) allen Seiten, am lautesten von Seiten der Anwaltschaft und der Wirtschaft, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Auch innerhalb der Regierung ist der Gesetzentwurf noch äußerst umstritten, obwohl mit dem Entwurf nach Aussage der Bundesjustizministerin die Vereinbarungen hierzu im Koalitionsvertrag eins zu eins umgesetzt würden. Bis der Referentenentwurf so ausformuliert ist, dass er im Bundestag verabschiedet werden kann, dürfte noch einige Zeit vergehen. In diesem Jahr ist angesichts des noch erheblichen Diskussionsbedarfs damit wohl nicht mehr zu rechnen.
Hintergrund:
Das deutsche Strafrecht gilt nur für natürliche Personen. Juristische Personen, die Straftaten begehen, können derzeit nur nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zur Verantwortung gezogen werden (§§ 30, 130 OWiG). Begeht ein Vorstand beispielsweise eine vorsätzliche Straftat, durch die die Unternehmenspflichten verletzt werden oder das Unternehmen dadurch bereichert wird, kann eine Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro verhängt werden. Das Unterlassen von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ist ebenfalls bußgeldbewährt. Die Höhe der möglichen Geldbußen wurde 2013 durch eine Gesetzesänderung verzehnfacht (Artikel 4 G. v. 26.06.2013, BGBl. I S. 1738, in Kraft seit 30.6.2013).
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