Automatisierter Autokennzeichen-Abgleich ist laut BVerfG teilweise verfassungswidrig
An verschiedenen deutschen Straßen scannt die Polizei die Nummernschilder sämtlicher Autos, um sie mit zur Fahndung ausgeschriebenen Kfz-Kennzeichen abzugleichen. Dagegen haben Autofahrer beim Bundesverfassungsgericht geklagt - mit Erfolg.In den betroffenen Länder wurde deren Landespolizei ermächtigt, durch den Einsatz von Kennzeichenlesesystemen verdeckt
- die Kennzeichen von vorbeifahrenden Fahrzeugen zu erfassen
- und diese mit den zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeugen abzugleichen.
Kommt es zu keinem Treffer, werden die Dateien direkt gelöscht. Liegt eine Übereinstimmung vor, werden die Daten gespeichert und gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen eingeleitet.
Abgleichdatei in Bayern variiert - anders als in Hessen und B.-W. - nach Kontrollzweck
Im Gegensatz zu Bayern wird in Hessen und Baden-Württemberg nicht nach dem Zweck der Kennzeichenkontrolle unterschieden, so dass der zum Abgleich herangezogene Datenbestand, welcher seine Grundlage insbesondere in den Sachfahndungsdaten des Schengener Informationssystems hat, nicht je nach Zweck der Aufstellung des Kennzeichensystems variiert.
- Autofahrer hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt, da sie befürchteten, unbemerkt in eine solche Kontrolle zu geraten.
- Hierin sahen sie eine Verletzung ihres Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG).
Verfassungsbeschwerde gegen die Landespolizeigesetze bzw. Unterlassungsklage
Die Beschwerdeführer in Hessen und Baden-Württemberg legten unmittelbar gegen die Polizeigesetze Verfassungsbeschwerde ein. Der Beschwerdeführer aus Bayern hatte sich mittelbar gegen die Normen zur Kennzeichenkontrolle gewandt und zunächst Unterlassungsklage eingereicht, mit welcher er in allen Instanzen jedoch erfolglos geblieben war.
Unmittelbare Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise zulässig, Instanzenzug unzumutbar
Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtssatzverfassungsbeschwerden aus Hessen und Baden-Württemberg als zulässig erachtet, auch wenn die Beschwerdeführer nicht den fachgerichtlichen Instanzenzug gewählt hatten.
- Grundsätzlich seien die Beschwerdeführer nach dem Subsidiaritätsgrundsatz verpflichtet gewesen, zunächst Unterlassungsklage vor den Fachgerichten einzureichen.
- Dies war ihnen jedoch vorliegend unzumutbar gewesen, da in der letzten Entscheidung des Ersten Senats zu dem gleichen Thema bei gleicher prozessualer Ausgangslage die Möglichkeit einer Unterlassungsklage noch nicht einmal in Erwägung gezogen wurde,
so nun das Bundesverfassungsgericht.
Bundesverfassungsgericht bejaht Grundrechtseingriff bei allen erfassten Personen
Die Karlsruher Richter sahen die Regelungen als teilweise verfassungswidrig an. Grundsätzlich greife die Kennzeichenkontrolle, auch bei einem Nichttreffer, durch die Erfassung der Kennzeichen, der Abgleichung und die darauffolgende Verwendung der Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, so nun das Gericht in Abkehr seiner bisherigen Entscheidung in 2008 (1 BvR 2074/05).
Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehöre es, so der Erste Senat, dass sich die Bürgerinnen und Bürger fortbewegen könnten, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt sein zu müssen.
Gesetzegebungskompetenz bei den Ländern nur bei der Gefahrenabwehr
Soweit die Regelungen der Gefahrenabwehr zuzuordnen seien, liege die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern und seien daher in formeller Hinsicht überwiegend mit der Verfassung vereinbar. Im Einzelnen jedoch rügten die Karlsruher Richter
- bei der Regelung in Bayern, dass eine Gesetzgebungskompetenz fehle, soweit die Kennzeichenkontrolle zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze erlaubt sei, da für die Fragen des Grenzschutzes ausschließlich der Bund die Gesetzgebungekompetenz innehabe.
- In Baden-Württemberg seien die automatisierten Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen oder Kontrollbereichen zur Fahndung von Straftätern vorgesehen. Dies sei im Hinblick auf die Fahndung von Straftätern formell verfassungswidrig, da bei den Regelungen zur Strafverfolgung eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorliege und er von dieser auch abschließend Gebrauch gemacht habe.
- In Hessen verstieß eine Regelung aufgrund des Eingriffes in die Versammlungsfreiheit gegen das Zitiergebot.
Regelungen in den Polizeigesetzen müssen verhältnismäßig sein
In materieller Hinsicht kritisierte das Bundesverfassungsgericht, dass die angegriffenen Vorschriften teilweise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht werden würden und stellte folgende Anforderungen fest:Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein sind grundsätzlich mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.
Einsatz von Kennzeichenkontrolle nur für gewichtigen Rechtssgüterschutz
Kennzeichenkontrollen müssen weiterhin durch einen im Verhältnis zum Grundrechtseingriff hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse
- Leib,
- Leben,
- Freiheit,
- Bestand und Sicherheit des Bundes und der Länder,
- Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten
gerechtfertigt sein. Hier mangelte es allen landespolizeirechtlichen Regelungen an einer Beschränkung auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse.
Weitere Einschränkungen zu Kfz-Kennzeichenkontrollen
Eine Kennzeichenkontrolle zur Schleierfahndung (bei einer Schleierfahndung führt die Polizei verdeckte Ermittlungen durch und nimmt verdachtsunabhängige Kontrollen vor) darf nur an Orten mit einem hinreichend bestimmten und klaren Grenzbezug erfolgen.
Daten für weitere Zwecke nach dem Kriterium der Datenneuerhebung dürften nur dann weiterverwendet werden, wenn diese auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln neu erhoben werden dürften.
Schließlich müssen die Regelungen den Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und der aufsichtsrechtlichen Kontrolle genügen .
(BVerfG, Beschlüsse v. 18.12.2018, 1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10, 1 BvR 142/15)
Anmerkung:
Auch anderen Bundesländer müssen ihre diesbezüglichen Regelungen überprüfen.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Sachverhalt 2015 noch anders beurteilt
Auf eine Unterlassungeklage hin beschied es:
"Zwar ist ein Kfz-Kennzeichen in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung einbezogen, da das Kennzeichen einer Person als Halter zugeordnet ist. Jedoch liegt nicht in jedem Fall der elektronischen Erfassung und Abgleich eines Kfz-Kennzeichens ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor.
Von einem solchen Eingriff ist nicht auszugehen, wenn bei Einsatz einer Einrichtung der automatisierten Erfassung von Kfz-Kennzeichen und deren Abgleich mit Fahndungsdatenbeständen zwar eine Übereinstimmung des tatsächlich erfassten Kennzeichens mit einem im Fahndungsbestand vorhandenen Kennzeichen angezeigt wird, ein visueller Abgleich durch den damit betrauten Polizeibeamten aber eine mangelnde Übereinstimmung ergibt und das erfasste Kennzeichen sofort gelöscht wird, ohne dass die Anonymität des Inhabers aufgehoben wird.
Es besteht kein Anspruch auf Unterlassung der Erfassung und des Abgleichs von Kfz-Kennzeichen auf öffentlichen Verkehrsflächen." (BVerwG, Urteil v. 22.10.2014, 6 C 7/13).
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält den automatischen Abgleich von Autokennzeichen und Fahndungsdaten mit Blick auf Tatopfer für "ein sinnvolles Instrument zur Abwehr von Gefahren".
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