Große Verunsicherung der Gerichte bei Sicherungsverwahrung
In zwei Fällen hatte der BGH über Revisionen der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft gegen die Nichtverhängung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden: Im ersten Fall hatte das LG München einen 64-jährigen Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Im Mai 2011 lud der Angeklagte ein damals vierjähriges Mädchen zu einer Bootsfahrt auf einem See ein. Die Mutter war hiermit einverstanden, hatte aber keine Kenntnis darüber, dass der 64-jährige wegen sexueller Delikte an Kindern vorbestraft war, unter Führungsaufsicht stand und sich aufgrund gerichtlicher Weisungen nicht an Orten aufhalten durfte, die erfahrungsgemäß von Kindern frequentiert wurden. Auf dem See entblößte er sein Geschlechtsteil und ließ sich von dem Mädchen anfassen.
Im zweiten Fall hatte das LG Regensburg den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von drei Mädchen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Der Angeklagte hatte in einem Fall den vaginalen Geschlechtsverkehr durchgeführt, in einem weiteren Fall sich oral befriedigen lassen und auch vergeblich versucht, mit seinem Glied in eines der Mädchen einzudringen. Das jüngste Mädchen war 6-7 Jahre alt. In beiden Fällen verhängten die Spruchkammern abweichend von den Anträgen der Staatsanwaltschaft keine Sicherungsverwahrung.
Skandalöse Begründungen
Im Münchener Fall sah das Gericht die für die Verhängung der Sicherungsverwahrung erforderliche Gefährlichkeit des Täters infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten als nicht gegeben an. Zwar gingen die Richter von einer hochgradigen Rückfallgefahr aus, jedoch bestehe eine solche nur im Hinblick auf weniger schwere Sexualdelikte, die Gefahr schwerer Sexualdelikte, insbesondere unter Anwendung von Gewalt, bestehe eher nicht. Im Regensburger Fall begründeten die Richter das Absehen von der Sicherungsverwahrung damit, dass von dem Täter weder Aggressionen noch Gewalt ausgegangen seien. Bei den missbrauchten Kindern handle sich um verwahrloste Kinder aus ungeordneten Familienverhältnissen, bei denen es der Täter besonders leicht gehabt habe.
Strenge verfassungs- und EU- rechtliche Vorgaben
In beiden Fällen dürfte das Absehen von Sicherungsverwahrung auf die hohen Anforderungen zurückzuführen sein, die das BVerfG und der EGMR an die Verhängung von Sicherungsverwahrung gestellt haben. In mehreren Urteilen wurden die gesetzlichen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im deutschen StGB als zu lax beurteilt, wobei ein Großteil dieser Entscheidungen allerdings die unzulässige, rückwirkende Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft (EGMR, Urteile vom 13. Januar 2011,42225/07; 20008/07; 27360/04; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.5.2010,2 BvR769/10).
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt keine Gewaltanwendung voraus
Der BGH stellte nun klar, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung insbesondere bei Delikten, bei denen Kinder die Opfer sind, weder eine vom Täter ausgehende Aggression noch Gewalt voraussetzt. Bei der Gefährlichkeitsprognose komme es ausschließlich darauf an, ob Kinder auch in Zukunft weiterhin zu Schaden kommen könnten. Völlig abwegig sei die Begründung des LG Regensburg, verwahrloste Kinder würden es den Tätern leichter machen, was diese Täter als weniger gefährlich erscheinen lassen lasse.
Bei sexuellem Missbrauch von Kindern ist Sicherungsverwahrung fast immer möglich
Sexualdelikten von Erwachsenen gegenüber Kindern – so der BGH Senat – wohne grundsätzlich die Gefahr inne, neben physischen auch erhebliche seelische Schäden bei den Kindern anzurichten. Die Erinnerung an solche Delikte würde die Menschen oft ein Leben lang verfolgen. Dies gelte für verwahrloste Kinder ebenso wie für Kinder aus geordneten Familienverhältnissen. Die Gefährlichkeitsprognose sei in beiden Fällen unter Anwendung falscher Maßstäbe erstellt worden. In beiden Fällen hat der BGH die Rechtssachen daher zur Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung an eine jeweils andere Kammer des jeweiligen Landgerichts zurückverwiesen.
(BGH, Urteil u. Beschluss v. 19.2.2013, 1 StR 275/12 und BGH, Urteil v. 19.2.2013,1 StR 465/12)
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