Polizei darf nur bei konkreter Gefahr filmen
Im Januar 2012 versammelten sich in Bückeburg ca. 500 Demonstranten unter dem Thema „Farbe bekennen – für Demokratie und Vielfalt – kein Rückzugsraum für Nazis“. Die Polizei befürchtete für den Zug der Demo durch Bückeburg und die anschließende Kundgebung auf dem Rathausplatz das Aufeinanderstoßen von Angehörigen der rechten und der linken Szene. Die Polizei sicherte die Demo daher mit verschiedenen Maßnahmen ab und setzte Beweis- und Dokumentationstrupps ein. In der Nähe des Rathausplatzes postierte die Polizei ein Fahrzeug, das über eine so genannte Mastkamera verfügte. Durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs kann an einem Mast eine Kamera mehrere Meter nach oben ausgefahren werden.
Die Demo verlief friedlich
Ein Teilnehmer der Demonstration fühlte sich durch die mehrere Meter ausgefahrene Kamera gestört und in seiner Versammlungsfreiheit verletzt. Er hatte den Eindruck, gefilmt zu werden und fühlte sich dadurch in seiner Demonstrationsteilnahme unfrei. Das Argument der Polizei, die Mastkamera habe aus dem Gesichtspunkt der vorbeugenden Gefahrenabwehr mitgeführt werden müssen, ließ der Versammlungsteilnehmer nicht gelten. Die Versammlung sei völlig friedlich verlaufen. Es habe keinen Anhaltspunkt für einen unfriedlichen Verlauf gegeben. Die Kamera – die nachweislich zu keinem Zeitpunkt eingeschaltet worden war – habe bei ihm den unguten Eindruck erweckt, die Teilnahme an der Versammlung könne für ihn negative Folgen haben.
Den unguten Eindruck vermeiden
Das von dem Versammlungsteilnehmer angerufene VG Hannover teilte dessen Auffassung. Ein Versammlungsteilnehmer könne bei einer ausgefahrenen Kamera nicht beurteilen, ob die Kamera in Betrieb sei oder nicht. Der Eindruck, er werde gefilmt, kann nach Auffassung des VG beim Versammlungsteilnehmer den Eindruck dauernder Beobachtung auslösen und bedeute damit eine Beeinträchtigung des Rechts an einer freien Versammlungsteilnahme. Die Versammlungsfreiheit ist nach Auffassung des VG bereits dann berührt, wenn bei den Teilnehmern der Eindruck entstehen kann, dass die Polizei Aufnahmen anfertige, die möglicherweise später zu Ungunsten des Teilnehmers verwendet werden könnten.
Kamera nicht ohne konkreten Anlass
Nach Auffassung des VG darf eine Kamera daher nur dann bereitgehalten werden, wenn konkrete Umstände vorliegen, aus denen sich Schlüsse auf einen möglichen unfriedlichen Verlauf einer Versammlung ziehen lassen. Dann sei der Einsatz einer Kamera zur präventiven Gefahrenabwehr möglich und auch erforderlich. Bei einer bloß abstrakt bestehenden Gefahr eines unfriedlichen Verlaufs sei die sichtbare Bereithaltung einer Kamera unzulässig. Ähnlich hatte zuvor bereits das OVG NRW im Fall einer Videobeobachtung einer Versammlung durch die Polizeibehörde entschieden (OVG NRW, Urteil v. 23.11.2010, 5 A 2288/09).
Das Zeitargument zieht nicht
Die Polizei hatte argumentiert, es sei realitätsfremd bei einer Versammlung so lange zuzuwarten, bis sich ein konkreter Anlass für das Umkippen einer friedlichen Versammlung in eine unfriedliche zeige. Treffe die Polizei keine vorbereitenden Maßnahmen, sei es bei einem unmittelbaren Umschlagen einer friedlichen Versammlung nicht mehr möglich, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um mögliche Straftäter dingfest zu machen. Dieses Argument überzeugte die Verwaltungsrichter nicht. Unstreitig wird für das Ausfahren einer Kamera ein Zeitraum von ca. 40 Sekunden benötigt. So schnell schlägt eine friedliche Demonstration nach Auffassung des VG nicht in eine unfriedliche ohne zuvor erkennbare äußere Umstände um, dass diese 40 Sekunden zum Ausfahren der Kamera nicht noch zur Verfügung stünden. Aus diesem Grunde müsse hier das Argument der präventiven Gefahrenabwehr zurücktreten zu Gunsten der von Art 8 GG umfassend geschützten Versammlungsfreiheit, mithin eines Grundrechts von hohem Verfassungsrang.
(VG Hannover, Urteil v. 14.7.2014, 10 A 226/13)
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