Berliner Senat plant weitreichende und umstrittene Reform des Polizeigesetzes
Mitte Juni hat die Berliner Landesregierung den Entwurf eines reformierten ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) Berlin vorgestellt. Der Gesetzentwurf des rot-rot-grünen Senats widersetzt sich zumindest in einigen Punkten dem bundesweit vorherrschenden Trend, Freiheitsrechte der Bürger zugunsten der Stärkung der Eingriffsrechte der Polizei einzuschränken.
Ziel ist Balance von Freiheitsrechten und effektiver Polizeiarbeit
In seiner Entwurfsbegründung betont der Berliner Senat das Bestreben um Ausgleich zwischen den berechtigten Sicherheitsinteressen des Gemeinwesens einerseits und dem Schutz der Grundrechte der Adressaten von polizeilichen Maßnahmen andererseits. Unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots gelte der Grundsatz, dass eine Erweiterung polizeilicher Befugnisse nur dann angebracht sei, wenn eine verstärkte Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in Berlin allein nicht genügt.
Deutliche Beschränkungen anlassloser Personenkontrollen
Der Entwurf reduziert die bisherige, in den Polizeigesetzen der meisten Bundesländer und auch in Berlin geregelte Befugnis der Polizei zur anlasslosen Personen- und Ausweiskontrolle an sogenannten „gefährlichen Orten“ erheblich. Vor allem diese Befugnis der Polizei gilt Kritikern als Einfallstor für das sogenannte „Racial Profiling“, d.h. für die verstärkte Kontrolle von Menschen dunkler Hautfarbe und/oder fremdländischer Herkunft. Die Polizei selbst bestreitet vehement die Existenz eines solchen Phänomens.
Mögliches „Racial Profiling“ soll im Keim erstickt werden
Nach dem Gesetzentwurf soll die verdachtsunabhängige Identitätsfeststellung an Orten, an denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen sowie an Orten, an denen der Prostitution nachgegangen wird, nicht mehr zulässig sein. Weder der (fehlende) Aufenthaltstitel noch die Ausübung der Prostitution dürfen in Berlin - so der Entwurf verabschiedet wird - also in Zukunft alleinige Kriterien für eine ansonsten anlasslose Personenkontrolle sein. In der Praxis bedeutet das u.a., keine Kontrollen mehr an stark von Ausländern oder Migranten frequentierten Plätzen, keine Personenkontrollen in Bordellen, Massagesalons und ähnlichen Einrichtungen ohne konkreten Verdacht einer Straftat.→ OVG erklärt Racial Profiling für rechtswidrig
Ausweisung konkreter kriminalitätsbelasteter Orte
Auch in Berlin sollen anlasslose Personenkontrollen aber nicht komplett abgeschafft werden. Zukünftig sollen in Berlin besondere Orte, an denen in der Vergangenheit eine Häufung erheblicher Straftaten festgestellt wurde bzw. Orte, an denen milieubedingte schwere Straftaten zu erwarten sind, als kriminalitätsbelastete Orte ausgewiesen werden, um strafbaren Handlungen wie Zwangsprostitution und Menschenhandel entgegen zu wirken.
Verkürzung der präventiven Ingewahrsamnahme
Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam, also die Möglichkeit der Ingewahrsamnahme von Personen zum Zwecke der Gefahrenprävention, soll eingeschränkt werden. Die bisher zulässige Gewahrsamshöchstdauer von vier Tagen soll auf maximal zwei Tage (zum Ende des auf den Tag des Ergreifens folgenden Tags) verkürzt werden.
Mehr Persönlichkeitsschutz bei körperlichen Durchsuchungen
Der Schutz von trans- und intergeschlechtlichen Personen bei körperlichen Durchsuchungen soll dadurch verbessert werden, dass diesen das Recht eingeräumt wird, einen Wunsch zum Geschlecht der sie durchsuchenden Beamt*innen zu äußern.
Identifizierungspflicht für Polizist*innen
Polizeibeamt*innen sind künftig verpflichtet, entweder ihren Namen oder eine Dienstnummer an der Kleidung zu tragen und auf Nachfrage auch mündlich zu nennen. Damit will der Senat einer Anonymisierung der Staatsgewalt im Bewusstsein der Bevölkerung entgegenwirken.
Bodycam als Sicherungselement für Polizei und Bevölkerung
Das neue Gesetz wird in § 24 c ASOG-E eine Rechtsgrundlage für den Einsatz sogenannter Bodycams enthalten, also für körpernah getragenen Minikameras, die mit Beginn des Jahres 2021 schrittweise in Berlin angeschafft werden sollen. Diese Bodycams sollen sowohl der Eigensicherung der Einsatzkräfte der Polizei als auch zur Sicherheit der Bevölkerung dienen, da auf diese Weise der Ablauf von Einsätzen zum Zweck der Beweissicherung und damit zum Vorteil beider Seiten besser nachvollzogen werden kann. Die Kameras sollen ständig eingeschaltet sein und fortlaufend den Ablauf der letzten 30 Sekunden speichern. Sobald der Polizeibeamte bei einem Einsatz die Zusatzaufnahmefunktion aktiviert, speichert das Gerät von diesem Moment an den gesamten Ablauf einschließlich der vorausgegangenen 30 Sekunden. Von einer Aufnahme betroffene Personen erhalten - abweichend von den meisten anderen Bundesländern - ein Einsichtsrecht. Der Einsatz der Bodycams soll später auf Feuerwehr und Rettungskräfte ausgedehnt werden.
Telekommunikationsüberwachung ohne Tatverdacht
Daneben enthält der Entwurf einige neue eingriffsintensive Befugnisnormen, die die rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten der Polizei deutlich ausweiten. Mit dem neuen § 25 a ASOG – E soll die Polizei ermächtigt werden, präventive Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchzuführen, ohne dass die betroffenen Personen einer konkreten Straftat verdächtig sind. Es genügt, wenn diese Personen als terroristische Gefährder eingestuft werden. Die Einschätzung, ob eine Person gewillt und fähig sein könnte, eine terroristische Straftat zu begehen (= Gefährder), bleibt dabei den ausführenden Polizeibeamt*innen überlassen.
Polizei erhält Zugang zu Standortdaten der Telekommunikationsanbieter
Ergänzend erhält die Polizei die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen bei als gefährlich eingestuften Personen die Standortdaten von Telekommunikationsdiensteanbietern abzurufen, § 25 d Abs. 3 ASOG-E.
Einzelbefugnisse sollen positivgesetzlich geregelt werden
Typische polizeiliche Maßnahmen, die bisher auf die Generalklausel des § 17 Abs. 1 ASOG gestützt wurden, sollen nun dezidiert geregelt werden, um so eine bessere Normenklarheit zu schaffen. Dies betrifft u.a. die Meldeauflage, die künftig unter den Vorbehalt der richterlichen Anordnung gestellt wird, die Gefährderansprache sowie das Sicherheitsgespräch im Fall drohender Straftaten.
Interessant ist auch, was nicht geregelt wird
Die Neuregelungen waren im Berliner Senat in den letzten drei Jahren stark umkämpft. Dass es der Koalition nicht gelungen ist, alle Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, zeigt sich vor allem an den Punkten, die entgegen ursprünglicher Absicht nicht geregelt werden. Was im Entwurf fehlt, sind eine Regelung zur Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen, die stark umstrittene Einführung von Fußfesseln für als Gefährder eingestufte Personen sowie eine Regelung des finalen Rettungsschusses. Mit diesen Lücken im Polizeirecht steht Berlin allerdings nicht allein.
Nach den Vorstellungen des Senats soll das Gesetz noch vor Jahresende abschließend beraten werden und zum 1.1.2021 in Kraft treten.
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