Bald ausgedient? Reform des Mordparagraphen ist überfällig
Die Fassung der Tötungsdelikte stellt in jedem Rechtssystem ein Problem dar. Fast alle Gesetzgeber der Welt unterscheiden zwischen einer besonders verwerflichen und damit besonders hart zu bestrafenden Tötung (Mord) und einer geringer zu bestrafenden, einfachen Tötung.
Ursprung noch in der „Peinliche Gerichtsordnung“ von Kaiser Karl
In Deutschland hat schon die „Peinliche Gerichtsordnung“ Kaiser Karls V. die Todesstrafe vorgesehen „für fürsätzliche mutwillige Tötung“ (Art. 137 PGO), während die einfache Tötung nur mit Zuchthaus bestraft wurde. Nach dem bayerischen Strafgesetzbuch von 1813, an dem Rechtsphilosoph Feuerbach mitgewirkt hatte, wurde mit dem Tod bestraft die „mit Vorbedacht beschlossene oder mit Überlegung ausgeführte“ Tötung.
Auch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 nahm den Begriff der „Überlegung“ als Abgrenzungsmerkmal zwischen der qualifizierten, mit dem Tode bestraften Tötung und der einfachen, nur mit Zuchthaus sanktionierten Tötung.
Reste Nationalsozialistischer Deutungshoheit
Der Begriff der „Überlegung“ war in juristischen Fachkreisen äußerst umstritten, so dass die Rechtswissenschaft einen dringen Reformbedarf der Tötungsdelikte sah. Dies griff der nationalsozialistischen Gesetzgeber auf und formulierte unter Mitwirkung des berüchtigten nationalsozialistischen Richters Roland Freisler eine Neufassung der Tötungsdelikte. Hiernach wird wegen Mordes bestraft, wer „aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus sonstigen niedrigen Beweggründen“ tötet oder wer die Tat „heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln oder zur Verdeckung einer Straftat“ begeht.
Diese nationalsozialistische Fassung ist bis heute unverändert gültig, obwohl es seit Jahren praktisch keinen Rechtswissenschaftler gibt, der die Systematik der Tötungsdelikte nicht für dringend reformbedürftig hielte.
Von Volksschädlingen und anderen Gesinnungshalunken
Der Ansatz der nationalsozialistischen Reformer waren die im Nationalsozialismus geltende Täter-Typenlehre sowie der Primat des gesunden Volksempfindens. Hieraus wurde ein normativer Tätertyp des Mörders entwickelt, der als Volksschädling angesehen wurde und dessen Lebensführungsschuld gegenüber dem Volk besonderer Strafhärte bedurfte. Tatsächlich war allerdings der nationalstaatliche Gesetzgeber weniger kreativ, als er vorgab. Weite Teile der Formulierung hatte er nämlich aus dem von dem Rechtsphilosophen Carl Stooss inspirierten Schweizer StGB abgeschrieben.
Halbherzige Korrekturversuche
Schon in der direkten Nachkriegszeit, aber auch später haben die Gerichte häufig versucht, die oft als unangemessen empfundenen Ergebnisse bei der Anwendung des § 211 StGB zu korrigieren. Während in der Literatur eine negative Typenkorrektur durch Einführung des ergänzenden Tatbestandsmerkmals der verwerflichen Gesinnung bzw. des Erfordernisses einer feindlichen Willensrichtung des Täters gefordert wurde, machte sich der BGH an eine Eingrenzung des Mordparagraphen durch eine besonders restriktive Auslegung der Mordmerkmale (BGH, Beschluss v. 19.10.1956, GSSt 2/56).
Später versuchte der BGH - auch unter Blick auf die weit reichende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfG, Urteil v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76) - die in § 211 StGB quasi mechanisch angeordnete Rechtsfolge der lebenslange Freiheitsstrafe durch Gesichtspunkte der Rechtsfolgenminderung abzuschwächen (BGH, Urteil v. 01.07.2004, 3 StR 107/04 = Möglichkeit der Milderung der absoluten Strafandrohung nach § 49 Abs. 1 StGB).
Letztlich blieben die Korrekturversuche unbefriedigend. Deutlich wird dies u.a. im Fall der Marianne Bachmeier, die im LG Lübeck den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter von hinten – und damit heimtückisch – erschoss. Eigentlich wäre eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Erfüllung des Mordmerkmals „Heimtücke“ unabdingbar gewesen. Das erkennende Gericht konstruierte kühn, Bachmeier habe die Heimtücke ihrer Handlung nicht erkannt und lavierte sich so am Mordmerkmal und der damit verbundenen absoluten Strafandrohung vorbei.
Reformvorschläge
Für den 43. Deutschen Juristentag im Jahre 1980 (!) hatte der renommierte Rechtsprofessor Albin Eser in einem Gutachten vorgeschlagen, künftig nach dem Begriff der Gefährlichkeit der Tat bzw. des Täters zwischen Mord und Totschlag zu differenzieren. Eser schlug vor, anhand dieses Begriffes gesetzlich eine privilegierte und eine nicht privilegierte Form der Tötung zu postulieren und dies möglicherweise durch Regelbeispiele zu ergänzen.
Tötungsdelikte durch Privilegierungstatbestände abgrenzen
Der Strafrechtler Müssing schlägt demgegenüber einen normativen Ansatz unter Bewertung des Gesamtbildes der Persönlichkeit des Täters vor (Müssing, Mord und Totschlag, Köln 2005). Auch die Strafrechtlerin Professor Dr. Anette Grünewald fordert, möglichst exakt zu definierende Mordmerkmale als Regelbeispiele auszugestalten, etwa wie beim schweren Fall des Diebstahls. Auch den umgekehrten Weg, einfache Tötungsdelikte durch Privilegierungstatbestände abzugrenzen, hält sie für möglich. Ob eine Reform noch in dieser Legislaturperiode kommt, bleibt abzuwarten.
Neue Besen kehren los
Für den neuen Justizminister Heiko Maas sollte es jedenfalls eine reizvolle und spannende Aufgabe sein, die dringend notwendige Reform endlich in Gesetzesform zu gießen. Schleswig-Holsteins Justizministerin Anke Spoorendonk, die erste Dänin in einem deutschen Ministeramt, ist jedenfalls schon mal vorgeprescht. Sie plant, eine Bundesinitiative zur Neufassung des Mordparagraphen anzuschieben. Der Vorsitzende des Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins König hat in diesem Sinne formuliert: „Dieser Mordparagraph muss weg“.
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