Zu Unrecht sicherungsverwahrte Verbrecher erhalten Entschädigung

Nachdem die Praxis der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig und verfassungswidrig erklärt wurde, machen die zu Unrecht verwahrten Schwerverbrecher jetzt Ansprüche auf Entschädigung geltend.

Vier Sicherungsverwahrte aus Baden-Württemberg hatten für zu Unrecht erlittene Sicherungsverwahrung die Zahlung von Entschädigungen vom Land Baden-Württemberg verlangt. Die Kläger hatten wegen schwerer Sexualstraftaten in Haft gesessen. Gegen sie war schon im Strafurteil die anschließende Sicherungsverwahrung für zehn Jahre verhängt worden. Dies war die zum Zeitpunkt der Verurteilung geltende Höchstgrenze für die Verhängung einer solchen Maßnahme.

Gesetzesänderung während der Sicherungsverwahrung

Während der Dauer des Sicherungsverwahrung wurde das Gesetz geändert. Die Höchstfrist von zehn Jahren entfiel. Nach der Neufassung des § 67 d Abs. 3 StGB hatte das Gericht die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte „infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“. Auf dieser gesetzlichen Grundlage hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg die Unterbringung der Betroffenen mehrfach in Abständen von zwei Jahren verlängert, was für die Täter eine Verlängerung der Verwahrung zwischen jeweils acht und zwölf Jahren bedeutete.

EGMR erklärte deutsche Praxis für menschenrechtswidrig: Entschädigungsansprüche zwischen 49.000 und 73.000 EUR

Diese Verfahrensweise hatte der EGMR wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen mit Urteil vom 17.12.2009 für menschenrechtswidrig erklärt (EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Beschwerdenummer 19359/04). Nach Auffassung des EGMR ist die Sicherungsverwahrung aus der Sicht der Betroffenen nichts anderes als eine Fortsetzung der verhängten Freiheitsstrafe unter einem anderem Etikett. Das BVerfG hat sich später dieser Einschätzung angeschlossen und die Möglichkeit der rückwirkenden Verlängerung der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt (BVerfG Urteil vom 04.05.2011 - 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 1152/10, 2 BvR 571/10). Vor diesem Hintergrund hat das OLG Karlsruhe das Land zu Entschädigungszahlungen zwischen 49.000 und 73.000 EUR verurteilt. Der BGH hat diese Urteile nun bestätigt.

Das europäische Recht ist zu respektieren.

In der Öffentlichkeit stoßen solche Entscheidungen regelmäßig auf Unverständnis, da die Sicherungsverwahrung nicht zu dem Zweck angeordnet wird, die Täter weiter zu bestrafen, sondern aus dem berechtigten Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor den mit der Freilassung der Betroffenen verbundenen Gefahren. Der Vorsitzende Richter am BGH Wolfgang Ball wies insoweit darauf hin, dass, wenn man Europa wolle, auch die Entscheidung europäischer Gerichte respektieren müsse, auch wenn man diese nicht jedem Fall für richtig halte.

Der Entschädigungsanspruch ist verschuldensunabhängig

Der BGH-Senat betonte, dass Art. 5 Abs. 5 EMRK einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkung durch die öffentliche Hand völlig losgelöst vom Verschulden der handelnden Arbeitsträger statuiert. Auch wenn die handelnden Amtsträger und insbesondere auch die Strafvollstreckungskammer entsprechend der damals geltenden Gesetzeslage handelten, so ändere dies nichts an der seitens des EGMR eindeutig festgestellten Menschenrechtsverstoßes. Der darauf gestützte Entschädigungsanspruch entfalle nicht dadurch, dass formalgesetzlich die Verlängerung der Sicherungsverwahrung zu den damaligen Zeitpunkten rechtmäßig gewesen sei. 

Die Länder - nicht der Bund - müssen zahlen 

Gemäß Art. 5 Abs. 5 EMRK ist nach Auffassung des BGH die Entschädigung immer von dem Hoheitsträger zu entrichten, unter dessen Hoheitsgewalt die rechtswidrige Freiheitsentziehung ausgeübt wurde. Dies sei in diesem Fall das Land Baden-Württemberg gewesen. Auch aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes dürften die Kläger nicht an eine andere Institution verwiesen werden.

Bundesweit sind fast 100 Sexualstraftäter betroffen 

Die Auswirkungen der Urteile sind bundesweit nicht unbedeutend, da mit entsprechenden Anträgen von etwa 100 Sexualstraftätern und weiteren schwerstkriminellen Sicherungsverwahrten zu rechnen ist.

EGMR beanstandet schon wieder die deutsche Praxis 

Interessant ist, dass der EGMR erst jetzt wieder die deutsche Praxis bei der Sicherungsverwahrung beanstandet hat. In Berlin war die Anordnung der Sicherungsverwahrung für einen Sexualstraftäter nicht nach der gesetzlich vorgesehenen Frist von zwei Jahren überprüft worden. Die Überprüfung erfolgte 27 Tage später. Zur Überprüfung wurde auch kein neues medizinisch-psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, vielmehr wurde die Feststellung der fortdauernden Gefährlichkeit des Betroffenen auf ein mehr als zwölf Jahre altes Gutachten gestützt. Dies sah der EGMR als Verstoß gegen die Menschenrechte an und sprach dem Betroffenen 5.000 EUr Schmerzensgeld zu (EGMR, Urteil v. 19.09.2013, Rechtssache 17167/11). Hieran wird deutlich, dass die deutsche Praxis der Sicherungsverwahrung in Straßburg immer noch sehr kritisch beobachtet wird. 

BGH Urteile vom 19.09.2013 - III ZR 405, 406, 407 u. 408/12

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