Anforderungen an das Notgeschäftsführungsrecht
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Zum Sachverhalt der Entscheidung
Der Kläger war Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die wiederum sämtliche Anteile an einer GmbH hielt. Der Kläger war Geschäftsführer der GmbH und hatte als solcher einen Anstellungsvertrag, der u.a. mit seinem Ausscheiden aus der GbR enden sollte. Der Kläger wurde (wohl) durch Mehrheitsbeschluss aus der GbR ausgeschlossen; dabei wurde auch beschlossen, die Gesellschafterrechte der GbR bei der GmbH dahingehend auszuüben, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen und seinen Anstellungsvertrag fristlos zu kündigen. Jedenfalls gegen die letzten beiden Beschlüsse wehrt sich der Kläger nun gerichtlich und begehrt, sie für nichtig zu erklären.
Das Urteil des BGH vom 26.06.2018, Az. II ZR 205/16
Diesem Begehr hat der BGH nicht stattgegeben. Denn da der Kläger nicht Gesellschafter der GmbH ist (sondern nur der GbR als ihrer Gesellschafterin), kann er im eigenen Namen auch keine Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH anfechten.
Mit dieser – simplen – Begründung lässt es der BGH jedoch nicht bewenden und wirft die Frage auf, ob der Kläger hier – ausnahmsweise – im eigenen Namen einen Anspruch der GbR geltend machen durfte. Diese Frage verneint der BGH (mit Recht). Die Begründung, die der BGH dafür liefert, ist jedoch wenig zufriedenstellend. Nach Ansicht des Gerichts existiert grundsätzlich ein sog. Notgeschäftsführungsrecht des GbR-Gesellschafters, wenn der Gesellschaft (oder einem Gegenstand im Gesellschaftsvermögen)
„eine akute Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist“.
Im vorliegenden Fall lag nahe, dass der GbR durch die gefassten Beschlüsse keine solche Gefahr drohte, sondern der Kläger lediglich versuchte, seine eigenen Interessen zu wahren. Die Entscheidung gibt jedoch Anlass, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es bei der GbR ein Notgeschäftsführungsrecht gibt.
Anmerkung
Der BGH leitet das Notgeschäftsführungsrecht des GbR-Gesellschafters aus einer Analogie zu § 744 Abs. 2 BGB her. Dogmatisch kann man streiten, ob diese analoge Anwendung erforderlich ist oder ob nicht die bestehenden Regelungen zur Geschäftsführung in der GbR ausreichen. Meint ein GbR-Gesellschafter nämlich, die Sicherung der Gesellschaft oder ihres Vermögens erfordere ein Tätigwerden seiner Sozien, kann er deren Zustimmung bzw. Duldung gerichtlich durchsetzen – nötigenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine faktische Umgehung seiner Gesellschafterkollegen orientiert an einem durch den Gesetzgeber verobjektivierten „(Selbst-)Zweck“, wie sie der BGH mit seinem Analogschluss zu § 744 Abs. 2 BGB postuliert, ist dafür nicht erforderlich.
Auch eine Führungslosigkeit ist bei der GbR nicht denkbar: Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag nämlich die Geschäftsführung durch eine bestimmte Person vorsieht und diese wegfällt, greift stets der gesetzliche Regelfall: dass nämlich sämtliche Gesellschafter gemeinsam zur Führung der Geschäfte und zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind. Auch insoweit benötigt die GbR also keine Hilfestellung über eine Analogie zu § 744 Abs. 2 BGB.
Und was, wenn das Dach einer von einer GbR gehaltenen Immobilie einzustürzen droht, wenn nicht ein Gesellschafter sofort handelt? Dann gilt für den Gesellschafter, was für jeden Dritten auch gilt. Führt er die Dachrettung für die GbR aus, kann er für die im Rahmen dieser Notmaßnahme getätigten Aufwendungen von der Gesellschaft (nicht von seinen Sozien!) Ersatz verlangen.
Ein Problem der Führungslosigkeit kann allerdings bei den Kapitalgesellschaften vorkommen. Eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH können nicht selbst handeln, sondern brauchen dafür ihre sog. Vertretungsorgane – also natürliche Personen, die als ihr Vorstand oder Geschäftsführer auftreten. Fehlt eine zur Führung der Geschäfte oder zur Vertretung der Kapitalgesellschaft erforderliche Person (etwa, weil der letzte Geschäftsführer verstorben oder der Vorstand nur zu zweien handlungsfähig ist), müssen die Gesellschafter der GmbH bzw. der Aufsichtsrat der AG das Organ neu besetzen. Erfolgt dies nicht rechtzeitig, kann in dringenden Fällen ein Interimsorganmitglied gerichtlich „notbestellt“ werden. Das sieht das Gesetz in § 85 AktG und in § 29 BGB (der auf die GmbH ebenfalls Anwendung findet) ausdrücklich vor.
Der BGH hätte gut daran getan, den ihm zur Entscheidung vorgelegten Fall zum Anlass für eine Klarstellung zu nehmen und herauszuarbeiten, dass für ein „Notgeschäftsführungsrecht“ bei der GbR kein Bedarf besteht.
Für den nothelfenden Gesellschafter sind dies nur scheinbar gute Nachrichten. Zwar stärkt der BGH formal seine Position. Es bleibt indes unklar, in welchen Fällen der Analogschluss zugunsten des Nothelfers greifen soll. Wer nicht riskieren will, am Ende auf seinen Helferkosten sitzenzubleiben, ist gut beraten, seine Sozien vor Durchführung einer Maßnahme um Zustimmung anzuhalten – nötigenfalls im Wege des Eilrechtsschutzes. Und bei Kapitalgesellschaften genügen die gesetzlichen Regelungen.
Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel und Tina Bieniek, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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