Diesel-Musterfeststellungsklage nun auch wegen Mercedes gegen Daimler
Mit ihrer Musterfeststellungsklage gegen den Autobauer VW waren die Verbraucherschützer zumindest teilweise erfolgreich. Im Rahmen einer beim OLG Braunschweig eingereichten Musterfeststellungsklage und eines geschlossenen Vergleichs hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) für ca. 245.000 Käufer von VW-Dieselfahrzeugen Zahlungen von VW zwischen 1.350 und 6.257 Euro je nach Alter und Typ der Fahrzeuge erreicht (OLG Braunschweig, Vergleich v. 28.2.2020, 4 MK 1/18). Bei dem Vergleich zwischen dem vzbv und VW handelte es sich allerdings nicht um einen Musterfeststellungsvergleich nach § 611 ZPO, vielmehr wurde der Vergleich außergerichtlich geschlossen und das Musterfeststellungsverfahren durch Klagerücknahme beendet.
BGH: Abgas-Abschaltevorrichtung ist vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Auch Individualklagen von Dieselkäufern gegen VW waren, nachdem die Gerichte sich einmal in die Materie eingefunden hatten, überwiegend erfolgreich. Nach einer Entscheidung des BGH hat VW seine Kunden durch eine digitale Abschaltevorrichtung, die bei Dieselfahrzeugen die Situation auf dem Prüfstand erkannte und dort deutlich weniger Stickstoffdioxid als im Straßenverkehr ausstieß, in sittenwidriger Weise arglistig getäuscht und sich deshalb schadenersatzpflichtig gemacht (BGH, Urteil v. 25.5.2020, IV ZR 252/19).
Rückabwicklung der Kaufverträge unter Anrechnung der Nutzung
Viele Käufer konnten daraufhin ihr Fahrzeug zurückgeben und erhielten den Kaufpreis erstattet. Ein für viele Käufer nicht unerheblicher Wermutstropfen lag allerdings darin, dass sie sich bei der Kaufpreiserstattung die Nutzung des Fahrzeuges, sprich die gefahrenen Kilometer, anrechnen lassen mussten, was in nicht wenigen Fällen die Höhe des Erstattungsanspruchs erheblich reduzierte.
Das Thermofenster von Mercedes funktioniert anders
Die Klage gegen den Daimler-Konzern wegen unzulässiger Abschaltevorrichtungen in Dieselfahrzeugen gestaltet sich schwieriger. Eine eindeutige Entscheidung des BGH, ob Daimler ebenfalls vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat, existiert bisher nicht. Die von Daimler in einigen Dieselfahrzeugen verwendeten Software reagiert - anders als im Fall VW - nicht auf die spezielle Prüfstandsituation, vielmehr handelt es sich u.a. um sogenannte „Thermofenster“, welche bei Unterschreiten einer bestimmten Außentemperatur die Reinigung der Abgase reduzieren. Auch dies führt dann zu einem erhöhten Schadstoffausstoß, allerdings unabhängig davon, ob das Fahrzeug sich im normalen Straßenverkehr oder auf dem Abgasprüfstand befindet.
BGH beurteilt die Mercedes-Software differenzierter
Der BGH hatte sich Anfang dieses Jahres zu dieser Form der Software insoweit positioniert, als er im Rahmen eines Klageverfahrens die Meinung vertrat, dass der Einsatz dieser Software grundsätzlich nicht als sittenwidrig einzustufen sei, soweit keine weiteren Umstände hinzuträten. Die Software sei nicht auf eine Täuschung speziell für die Messung der Abgase auf einem Prüfstand ausgelegt, vielmehr reagiere sie allein auf die Außentemperatur und diene dazu, den Motor bei niedrigen Temperaturen vor überhöhtem Verschleiß zu schützen.
Subjektive Komponente bei den Mercedes-Verantwortlichen noch ungeklärt
Nur wenn die verantwortlichen Personen bei Daimler in dem Bewusstsein gehandelt haben, hierbei eine unzulässige Abschalteeinrichtung zu verwenden und sie den daraus folgenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, ist nach Auffassung des BGH ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegeben. Die Merkmale dieser subjektiven Elemente einer sittenwidrigen Schädigung müssten eigenständig festgestellt werden (BGH, Beschluss v. 19.1.2021, VI ZR 433/19).
Laut EuGH können Thermofenster unzulässig sein
Der BGH sah in seiner Einschätzung keinen Wertungswiderspruch zu einem Urteil des EuGH, der zuvor festgestellt hatte, dass auch Thermofenster grundsätzlich unzulässige Abschaltevorrichtungen sein können (EuGH, Urteil v. 17.12.2020, C-693/18).
Mercedes sieht sich im Recht
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen steht Daimler auf dem Standpunkt, dass die geltend gemachten Ansprüche im Rahmen der Musterfeststellungsklage rechtlich nicht begründet sind. Man werde sich daher gegen die erhobenen Ansprüche zur Wehr setzen.
Musterfeststellungsklage soll Verjährung hemmen
Die nun erhobene Musterfeststellungsklage dient laut vzbv unter anderem der Sicherung möglicher Schadensersatzansprüche von Mercedes-Dieselkäufern. Mehr als 250.000 Daimler-Fahrzeuge seien von behördlich angeordneten Rückrufen aus dem Jahr 2018 betroffen. Ende 2021 drohe daher die Verjährung möglicher Schadensersatzansprüche. Mercedes-Käufer, die sich der Musterfeststellungsklage anschließen, können dadurch den Verjährungseintritt verhindern.
Betroffen sind vor allem Käufer der Fahrzeugtypen GLC und GLK
Der vzbv konzentriert sich in seiner Klage auf einen bestimmten Motortyp (OM651), der vor allem in den Mercedes-Fahrzeugen der Typenreihen GLC und GLK eingebaut wurde. Ohne Softwareupdate droht diesen Fahrzeugen die Stilllegung. Hierbei geht es laut vzbv auch nicht nur um die Thermofenster, sondern um eine komplexe Software, die zu einer signifikanten Erhöhung des Schadstoffausstoßes in normalen Verkehrssituationen gegenüber der Situation auf dem Rollenprüfstand führe.
U.a. bewirke die Software, dass in Alltagssituationen zu wenig „AdBlue“ eingespritzt werde. AdBlue ist eine Harnstofflösung, die dazu dient, die Menge der in den Abgasen enthaltenen gesundheitsschädlichen Stickoxide zu reduzieren. Aus Sicht des vzbv beweist die vom Kraftfahrtbundesamt erzwungene Rückrufaktion im Jahr 2018, dass diese Form der Abgasreduzierung rechtlich unzulässig ist und die Käufer durch die drohende Stilllegung einen Schaden erlitten haben.
Mercedes-Käufer können sich anschließen
Verbraucher können sich ohne Kostenbelastung einer Musterfeststellungsklage anschließen, sobald diese vom Bundesamt für Justiz im Klageregister veröffentlicht worden ist. Nach Auskunft des vzbv dürfte dies für die Mercedes-Klage bis Ende Juli/Anfang August der Fall sein. Die Anmeldung ist kostenlos. Sie bietet den Vorteil, dass mit dem Anschluss an die Klage die Verjährung gehemmt wird. Wer sich anschließt, verliert gemäß § 610 Abs. 3 ZPO allerdings das Recht zur Einreichung einer Individualklage während der Dauer des Feststellungsverfahrens. In der Anmeldung muss der Verbraucher
- seinen Namen und seine Anschrift angeben,
- den Gegenstand und Grund seines Anspruchs benennen,
- die Höhe der von ihm geltend gemachten Forderung beziffern
- sowie versichern, dass seine Angaben richtig und vollständig sind.
- Anwaltszwang besteht nicht.
- Die Anmeldung kann nur bis zum Beginn des ersten gerichtlichen Termins erfolgen.
Verbraucher erhalten keinen Vollstreckungstitel
Die Musterfeststellungsklage ist keine echte Sammelklage, denn sie führt zu keinem für die Teilnehmer vollstreckbaren Urteil. Zur Erlangung eines Vollstreckungstitels muss der Verbraucher nach Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens seine Individualforderung gesondert einklagen. Das Folgegericht ist allerdings an die Feststellungen im Musterfeststellungsurteil verbunden.
Was genau bringt die Musterfeststellungsklage?
Die Musterfeststellungsklage wurde zum 1.11.2018 eingeführt und hat den Vorteil, dass in einem Sammelverfahren grundsätzliche Rechtsfragen als Voraussetzung für die Geltendmachung von gleich gelagerten Ansprüchen einer Vielzahl von Personen gerichtlich geklärt werden können. Klagebefugt sind nur bestimmte Verbraucherverbände, die ohne Gewinnerzielungsabsicht agieren. Die Musterfeststellungsklage wird nur angenommen, wenn sich mindestens 50 Verbraucher in dem elektronisch geführten Klageregister anmelden und sich der Klage anschließen. Der Eintrag ins Klageregister ist für den Verbraucher kostenfrei.
Die Annahme eines Musterfeststellungsvergleichs steht dem Verbraucher frei
Musterfeststellungsverfahren können mit einem Vergleich enden. Teilnehmer der Musterfeststellungsklage können dann innerhalb eines Monats nach Zustellung des - vom OLG zu genehmigenden Vergleichs - entscheiden, ob sie dem Vergleich beitreten oder ob sie austreten wollen. Ein Austritt aus dem Vergleich muss dem Gericht schriftlich gemäß § 611 Abs. 4 Satz 3 ZPO mitgeteilt werden. Der Weg zur Individualklage steht dann wieder offen.
Hohe EU-Strafen im Zusammenhang mit der Abgasreinigung
Die Abgasaffäre nimmt für die Autohersteller kein Ende. Neben der umweltrechtlichen kommt nun auch eine wettbewerbsrechtliche Komponente ins Spiel. Gerade hat die EU-Kommission u.a. gegen die Autohersteller VW und BMW Kartellstrafen von rund 500 bzw. 375 Millionen Euro wegen wettbewerbswidriger Absprachen zum Abbau kleinerer AdBlue-Tanks in größeren Dieselmotoren verhängt. Daimler ist in diesem Fall fein raus, denn als Kronzeuge bleibt das Unternehmen straffrei.
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