Gerichte uneins bei der Deckelung von Filesharing-Abmahnkosten

Die Kosten für Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen in P2P-Filesharing-Fällen sind per Gesetz seit 2013 mit einem Streitwert von 1000 EUR gedeckelt. Eine Ausnahme komme nur in Betracht, wenn die Deckelung unbillig wäre. So sieht es das OLG Celle. Das LG Stuttgart sieht das anders und geht im Wege EU-konformer Auslegung mit dem Streitwert auf immerhin 20.000 EUR hoch.

Abmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen durch illegale Downloads in Peer-to-Peer (P2P) Netzwerken im Filesharingverfahren können für ahnungslose Inhaber eines Internetanschlusses recht teuer werden.

Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber u.a. zum Zweck der Eindämmung einer überbordenden Abmahnindustrie im Oktober 2013 eine Deckelung der Anwaltskosten im Gesetz für bestimmte Fallkonstellationen eingeführt → Gesetz gegen Abmahnmissbrauch.

Streitwerthöchstgrenze 1000 EUR bei Urheberrechtsverletzungen Privater

Maßgebliche Vorschrift für die Abmahnung bei Urheberrechtsverletzungen ist § 97a UrhG.

  • Gemäß § 97 a Abs. 3 UrhG ist der Abgemahnte im Fall einer berechtigten Abmahnung verpflichtet, dem Verletzten die im Rahmen der Abmahnung entstandenen erforderlichen Aufwendungen zu ersetzen.
  • Hierzu gehören auch die Aufwendungen für die Einschaltung eines Rechtsanwalts.
  • Gemäß § 97 a  Abs. 3 Satz 2 UrhG sind die in Ansatz zu bringen Anwaltskosten in bestimmten Fällen durch einen Gegenstandswert von 1.000 EUR gedeckelt.

Voraussetzung für die Deckelung ist, dass es sich bei den Abgemahnten um eine natürliche Person handelt, die urheberrechtlich geschützte Werke nicht für gewerbliche oder selbständige Zwecke verwendet und nicht bereits wegen eines Anspruchs des Berechtigten durch Vertrag oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung zur Unterlassung verpflichtet ist.

Ausnahme: Gemäß § 97 a  Abs. 3 S. 4 UrhG gilt diese Deckelung nicht, wenn der Ansatz eines Gegenstandswertes von 1.000 Euro nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig wäre.

Streitwertdeckelung in Widerspruch zur EU Regeln?

Die Auslegung dieser Regelung ist sowohl in der Lehre als auch in der Rechtspraxis äußerst umstritten. Grund der Uneinigkeit ist Art. 14 der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.

  • Hiernach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, rechtliche Regeln zu schaffen, die gewährleisten, dass in Urheberrechtsstreitigkeiten die unterlegene Partei die Kosten der obsiegen Partei zu tragen hat,
  • allerdings mit der Einschränkung, dass die Kosten zumutbar und angemessen sind.

LG Stuttgart zieht enge Grenzen für Kostendeckelung

Das LG Stuttgart wendet die Billigkeitsregel des § 97 a Abs. 3 Satz 4 UrhG eher großzügig an. Im Fall des Computerspiels „Dead Island Riptide“ forderte der Rechteinhaber nach einem illegalen Download im Filesharingverfahren von dem Rechteverletzer die Erstattung der Abmahnkosten nach einem Streitwert von 20.000 EUR. Das LG Stuttgart stufte diese Forderung als berechtigt ein.

Auch der EuGH sieht Kostendeckelung kritisch, da sie nicht für den Mandanten gilt

Das LG verwies in seiner Entscheidung auf ein Urteil des EuGH, wonach

  • Pauschaltarife für die Erstattung eines Anwaltshonorars dann unrechtmäßig sind,
  • wenn die Pauschaltarife deutlich unter dem normalerweise für die Anwaltsleistung zu leistenden Honorar liegen.

Mit dem Pauschaltarif gehe die erforderliche abschreckende Wirkung einer Klage wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums verloren.

Außerdem würde der in seinem Urheberrecht Verletzte auf einem Großteil der ihm entstandenen Anwaltskosten sitzen bleiben, da die Kostendeckelung im Verhältnis Anwalt/Mandant nicht gilt.

Deshalb soll nach dem Urteil des EuGH eine pauschale Kostenregelung nur dann zulässig sein, wenn die unterlegene Partei zumindest einen erheblichen Teil der tatsächlich entstandenen Anwaltskosten tragen muss (EuGH, Urteil v. 28.7.2016, C-57/15).

LG Stuttgart hält EU-konforme Auslegung der Billigkeitsklausel für erforderlich

Das LG Stuttgart gelangte unter Anwendung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze zu der Auffassung, dass die Billigkeitsregel des § 97 a Abs. 3 Satz 4 UrhG im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung bereits dann anzuwenden ist,

  • wenn der Rechteverletzer bei einer Begrenzung des Streitwertes auf 1.000 EUR im Ergebnis nur zur Erstattung eines geringen Teils der dem Rechteinhaber tatsächlich entstandenen Anwaltskosten verpflichtet wäre.
  • Im konkreten Fall errechnete das LG, dass bei einer Deckelung der Anwaltskosten durch einen Streitwert von 1.000 Euro der Verletzer lediglich 124 Euro an Anwaltskosten zu tragen habe, während die dem Rechteinhaber entstandenen Anwaltskosten 865 Euro betrugen.
  • Die Erstattung von lediglich 14 % der tatsächlich entstandenen Kosten, sei zu gering und deshalb unbillig.

(LG Stuttgart, Urteil v. 9.5.2018, 24 O 28/18)

OLG Celle hält Kostendeckelung für richtlinienkonform

Die von der Enforcement-Richtlinie geforderte Zumutbarkeit und Angemessenheit wird nach  Auffassung des OLG Celle durch § 97 a Abs. 3 UrhG in angemessener Weise gewährt, da die Deckelungsvorschrift in § 97 a  Abs. 3 Satz 4 UrhG ausdrücklich die Möglichkeit der Bewertung des Gesamtsachverhalts entsprechend der Billigkeit enthalte. Anders als das LG Stuttgart sieht das OLG Celle den Anwendungsbereich der Billigkeitsklausel aber nur in besonderen, eng begrenzten Fällen als eröffnet an.

Kostendeckelung muss für das Gros der Fälle gelten

Würde man - wie das LG Stuttgart - die Kostendeckelung im Ergebnis bei höheren Streitwerten grundsätzlich aus Billigkeitserwägungen ablehnen, so würde nach Auffassung des OLG Celle die vom Gesetzgeber für die Mehrzahl der Fälle gewünschte Deckelung der Kosten weitgehend leerlaufen. Nach dem Sinn des Gesetzes soll die Deckelung der Kosten aus Billigkeitserwägungen nur in den Fällen nicht greifen,

  • in denen die Rechtsverletzung einen besonders großen Umfang hat,
  • wenn eine Vielzahl von Rechtsverletzungen erfolgt ist
  • und/oder die unerlaubte Veröffentlichung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung steht.

(OLG Celle, Beschluss v. 12.4.2019, 13 W 7/19).


Fazit: Die Rechtsunsicherheit zum Anwendungsbereich der Kostendeckelung ist infolge der divergierenden Gerichtsentscheidungen für Privatpersonen in Abmahnfällen zurzeit äußerst hoch, der Zweck der gesetzlichen Kostendeckelung daher kaum erreicht.


Hintergrund:

Abmahnmissbrauch:

 Nachdem nicht wenige Anwaltskanzleien ausschließlich von Abmahnungen wegen Verletzung des Urheberrechts vor allem im Internet lebten, hat der Gesetzgeber in 2013 mit Einführung des § 97 a Abs. 3 UrhG den Regelstreitwert für die erste Abmahnung auf 1.000 EUR begrenzt. Dies drückt die in diesem Fall vom Abgemahnten zu zahlende Anwaltsgebühr auf ca. 150 EUR.

4,3 Millionen User abgemahnt:

 Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hatte im Jahr 2012 eine repräsentative Umfrage veröffentlicht. Danach waren in den vergangenen Jahren rund 4,3 Millionen Deutsche abgemahnt worden. Betroffen waren besonders häufig Eltern von Kindern, die Videos oder Musikstücke aus dem Internet herunterladen.

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P2P:  In einem Peer-to-Peer-Netzwerk sind alle Teilnehmer untereinander gleichberechtigt. Es existieren keine typischen Client-Server-Strukturen und jeder Rechner kann Funktionen, Ressourcen oder Services anbieten oder diese in Anspruch nehmen. Die Daten sind dezentral organisiert und verteilt (Aus: IO-Insider).


Schlagworte zum Thema:  Abmahnung, Urheberrecht, Anwaltsgebühren