Frühere Überlegungen einer Kombirente vorzugswürdig
Kernstück der Gesetzesänderungen ist das neue Teilrenten- und Hinzuverdienstrecht. Auf eine Neuregelung warten die Betroffenen schon lange. Nach den Überlegungen in der vergangenen Legislaturperiode war für diesen Themenbereich die sogenannte Kombirente vorgesehen. Danach sollte es nur noch eine individuelle Hinzuverdienstgrenze geben, wonach mit Rente und Hinzuverdienst zusammen rentenunschädlich in etwa das frühere Bruttoeinkommen im Erwerbsleben erreicht werden konnte. Erst danach sollte es zu einer centgenauen, stufenlosen Anrechnung des Hinzuverdienstes auf die Rente kommen. Rentner sollten demzufolge auch neben einer Altersvollrente innerhalb der geltenden Altersgrenzen (i. d. R. ab 63 Jahren) regelmäßig deutlich mehr als die heutigen 450 EUR monatlich hinzuverdienen können. Hinsichtlich des Verfahrens zur Hinzuverdienstanrechnung war eine Jahresbetrachtung vorgesehen, nach der ausschließlich zukunftsgerichtet ab dem 1. Juli eines Jahres eine Anpassung der Rente erfolgen sollte. Eine rückwirkende Richtigstellung der Rente war nicht geplant.
Keine wirklichen Verbesserungen bei der möglichen Hinzuverdiensthöhe
Hinter diesen Überlegungen aus der letzten Legislaturperiode bleibt die nun geplante Neuregelung in vielerlei Hinsicht deutlich zurück. Dies zeigt sich bereits bei der Höhe der Hinzuverdienstgrenze, ab der eine Anrechnung erfolgt. Berücksichtigt man das zweimalige kalenderjährliche Überschreiten bis zum Doppelten, ist festzustellen, dass gegenüber heute keine Anhebung der Hinzuverdienstgrenze vorgenommen wurde. Dies aber wurde von den Betroffenen seit Jahren gefordert. Legt man die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300 EUR auf den Monat um, ergibt sich ein Betrag von 525 EUR. Wird dieser monatlich tatsächlich verdient, könnten bei den Betroffenen Überraschungen drohen. Mit dem Betrag von 525 EUR befindet man sich nicht mehr im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, sondern in der sogenannten Gleitzone („Midijob“). Das heißt, es fallen dann Sozialversicherungsbeiträge und (mehr) Steuern an. Werden 525 EUR verdient, so bleiben netto nur geringfügig mehr als 450 EUR übrig. Es ist also zu raten, entweder nur bis zu 450 EUR monatlich zu verdienen oder deutlich mehr als diesen Betrag. Einzig positiv ist, dass das bisherige Herunterfallen auf die nächste Teilrentenstufe durch die stufenlose Anrechnung zukünftig vermieden wird.
Komplexes, wenig transparentes Anrechnungsmodell
Zudem ist die Anrechnung des Hinzuverdienstes mit zwei verschiedenen Anrechnungsmodi, je nachdem ob der Hinzuverdienstdeckel erreicht wird oder nicht (40 Prozent oder 100 Prozent), sehr komplex und für die Betroffenen kaum durchschaubar. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Verfahrensrecht. Die rückwirkende Überprüfung des Hinzuverdienstes und die fast immer vorzunehmende Richtigstellung der Rente für die Vergangenheit führt dazu, dass die Betroffenen erst nach eineinhalb Jahren abschließend wissen, ob ihnen die Rente denn auch wirklich in dieser Höhe zugestanden hat. Dies kann im Übrigen auch problematisch sein im Hinblick auf andere Sozialversicherungsleistungen, bei denen die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wird. Es bleibt daher einige Skepsis angezeigt, ob das neue Recht denn auch wirklich aus Sicht der Betroffenen einen Fortschritt bedeuten wird. Hier bleibt die Praxis abzuwarten.
Änderungen bei der Versicherungspflicht sinnvoll
Die Änderungen bei der Versicherungspflicht von Vollrentnern sind grundsätzlich zu begrüßen. Es liegt in der Logik des neuen Verständnisses eines flexiblen Übergangs in die Rente, dass nicht mehr davon auszugehen ist, dass mit einem Bezug einer Vollrente gleichzeitig auch das Erwerbsleben ein für alle Mal beendet ist. Ob von der Möglichkeit der Aktivierung des Arbeitgeberbeitrags nach Erreichen der Regelaltersgrenze in nennenswertem Umfang Gebrauch gemacht werden wird, bleibt hingegen abzuwarten. Hier stehen diejenigen, die so lange arbeiten wollen, vor der Entscheidung, ob sie noch etwas für ihre Rentenanwartschaft tun und zusätzlich einen Arbeitnehmerbeitrag zahlen wollen oder ob sie mehr netto ausgezahlt haben wollen.
Fraglich, ob Abschlagsausgleich Erfolgsmodell wird
Die Erweiterung bei der Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich von Rentenabschlägen ist ebenfalls grundsätzlich positiv zu sehen. Sie sollte jedoch nicht überbewertet werden. Zwar kann eine solche Zahlung angesichts der Niedrigzinsphase im Vergleich mit der privaten Altersvorsorge durchaus interessant sein. Die erforderliche Rentenauskunft konnte allerdings bereits nach geltendem Recht bei berechtigtem Interesse schon vor dem vollendeten 55. Lebensjahr erteilt werden. Es kann erwartet werden, dass es eher die hohen Summen sind, die hier eine entscheidende Rolle für die Frage der Inanspruchnahme spielen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Abschläge bei der Altersrente für langjährig Versicherte ab 63 Jahren - als Regelfall der vorzeitigen Inanspruchnahme - zukünftig auf 14,4 Prozent ansteigen werden. Entsprechend steigen die zur Ausgleichszahlung notwendigen Beiträge.
Ü45 Checkup zum Glück nur als Modellprojekt
Die Maßnahmen zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation sind ebenfalls zu begrüßen. Ob sie in der Praxis denn auch tatsächlich viel bewegen werden, bleibt abzuwarten. Kritisch zu sehen ist allerdings der Ü45 Checkup. Hier besteht die Gefahr, dass diejenigen, die sich auf die berufsbezogene Gesundheitsuntersuchung einlassen, das Ergebnis erhalten, dass sie nicht mehr in der Lage sind und/oder sein werden, ihre Tätigkeit auszuüben. Hat ein Arbeitgeber Interesse daran, das Arbeitsverhältnis zu beenden, könnte dies ein willkommener Anlass hierfür sein. Es ist daher gut, dass dieser noch nicht gleich tatsächlich in der Praxis eingeführt wird, sondern zunächst eine Erprobung in Modellprojekten stattfinden soll.
Flexirentengesetz: Ein großer Wurf?
Wurde bei dem wichtigen Thema „Flexible Übergänge“ spürbare Impulse für ein attraktives Weiterarbeiten im Rentenalter gesetzt? Es scheint so, als hätten sich die Koalitionäre in viel „Klein-Klein“ verfangen und den Blick für das Notwendige verloren. Einige der Neuregelungen wirken so, als wären sie so lange hin- und her diskutiert worden, dass sie als politischer Kompromiss taugten. Ob sie auch den Betroffenen eine Hilfe sein werden, erscheint mehr als fraglich.
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