Ziele der ViDA-Initiative
Unternehmen, die in der EU grenzüberschreitend tätig sind, sehen sich in steuerlicher Hinsicht mit einem hohen Befolgungs- und Kostenaufwand konfrontiert. Lieferungen in andere Mitgliedstaaten sind häufig mit lokalen Registrierungs- und Meldepflichten verbunden. Der derzeitige Rechtsrahmen ist aufwändig und kostenintensiv und wird den Anforderungen des digitalen Zeitalters nicht gerecht. Dies soll sich nun ändern.
Im Rahmen der ViDA-Initiative hat die Kommission Ende 2022 einen Entwurf zur Anpassung des Mehrwertsteuerrechts vorgelegt, der die Unternehmen unter anderem von Registrierungs- und Meldepflichten entlasten soll.
Einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung: Die geplanten Maßnahmen im Überblick
Mit der einheitlichen EU-Mehrwertsteuerregistrierung (Single VAT Registration oder Single VAT ID) will die Kommission Registrierungs- und Meldepflichten möglichst vollständig vermeiden. Die bestehenden Rechtsvorschriften sollen so geändert werden, dass grenzüberschreitend tätige Unternehmer künftig alle Erklärungen in ihrem Ansässigkeitsstaat abgeben können.
Hinweis: Bisher trotz OSS häufig Registrierungspflichten
Mit der Umsetzung der zweiten Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets zum 1.7.2021 wurde das Besteuerungsverfahren für einige Onlinehändler vereinfacht, einige Registrierungen wurden überflüssig. Seitdem sorgt der One-Stop-Shop (OSS) für eine vereinfachte Meldung von Fernverkäufen. Leider entsprach das Mehrwertsteuer-Digitalpaket bei seiner Umsetzung nicht mehr den Anforderungen des Onlinehandels. Heißt: In vielen Fällen ist weiterhin eine Registrierungspflicht erforderlich. Speziell die Warenlagerung im Ausland und Lieferungen an andere Unternehmen führen zu umsatzsteuerlichen Registrierungspflichten.
Lieferungen im Onlinehandel erfolgen lokal, grenzüberschreitend, an unternehmerische und nicht-unternehmerische Kunden sowie in vielen Produktsegmenten. Der Trend, sich an Logistikstrukturen diverser Marktplätze zu beteiligen (Stichwort: Fulfillment), sorgt für zusätzliche steuerliche Komplexität.
Wenig überraschend also, dass die Kommission kein Patentrezept zur Vermeidung ausländischer Registrierungspflichten gefunden hat. Stattdessen schlägt sie ein Paket aus Einzelmaßnahmen vor, um möglichst viele Anwendungsfälle abzudecken.
Einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung: Umsatzsteuerliche Verbringungen
Die Tatsache, dass umsatzsteuerliche Warenverbringungen nicht über den OSS gemeldet werden können, hat im Online-Handel zu großer Enttäuschung geführt. Denn Warenverbringungen gehören für viele Händler zum Tagesgeschäft – und sind oft verantwortlich für die Aufrechterhaltung umsatzsteuerlicher Registrierungen. Hierzu enthält der VIDA-Vorschlag 2 Maßnahmen mit weitreichenden Konsequenzen für die Praxis:
1. Ausweitung der Lieferkettenfiktion für innergemeinschaftliche Verbringungen
Wird die Warenverbringung über eine elektronische Schnittstelle – z. B. einen Marktplatz oder eine Plattform – abgewickelt, soll künftig auch hier die Lieferkettenfiktion gem. Art. 14a MwStSystRL (umgesetzt in § 3 Abs. 3a UStG) gelten. Die fiktive innergemeinschaftliche Lieferung sowie der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb würden durch die Schnittstelle erklärt. Eine Registrierungspflicht für den Händler würde entfallen.
2. Einführung eines neuen OSS für innergemeinschaftliche Verbringungen
Der Kommissionsvorschlag berücksichtigt auch die Fälle, in denen keine elektronische Schnittstelle eingebunden ist. Zunehmend nutzen Händler unabhängige Fulfillmentanbieter für den Verkauf über den eigenen Webshop. In diesen Fällen greift die o. g. Lieferkettenfiktion nicht. Für diese Fälle wird es nach dem im Vorschlag neu vorgesehenen Art. 369xa ff. MwStSystRL die Möglichkeit geben, die Umsätze in einem OSS für innergemeinschaftliche Verbringungen zu erfassen. Da über den OSS weiterhin keine Vorsteuer geltend gemacht werden kann, ist eine Steuerbefreiung für den fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb vorgesehen.
Die Meldung von innergemeinschaftlichen Verbringungen im OSS soll unabhängig von den anderen Umsätzen erfolgen. Im Gegensatz zur derzeitigen EU-Regelung des OSS ist hierfür eine monatliche Meldung vorgesehen.
Mithilfe dieser Maßnahmen könnten die Registrierungspflichten für Händler deutlich reduziert werden. Beide Regelungen sollen ab dem 1.1.2025 gelten.
Konsignationslagerregelung überflüssig: Da innergemeinschaftliche Verbringungen künftig keiner Registrierung mehr bedürfen, wird die Vereinfachungsregelung des § 6b UStG (Art. 17a MwStSystRL, Konsignationslagerregelung) überflüssig. Die als Quick Fix im Jahr 2020 eingeführte Regelung ist mit zahlreichen Anforderungen und praktischen Hürden verbunden. Die derzeitige Regelung soll bis Ende 2024 auslaufen und ab 2025 nahtlos in die Neuregelung für innergemeinschaftliche Verbringungen übergehen. Lediglich die Aufzeichnungs- und Meldepflichten bleiben bis Ende 2025 bestehen, da die 12-Monatsfrist nach Belieferung von Warenlagern zu berücksichtigen ist.
Einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung: Lokale Verkäufe aus einem Lager im EU-Ausland
Neben innergemeinschaftlichen Verbringungen führen auch lokale Verkäufe an Kunden aus einem Lager im EU-Ausland zu Registrierungs- und Meldepflichten. Auch für diese Transaktionen - und darüber hinaus - soll es eine Kombination von Maßnahmen geben, die die Anwendungsfälle für Registrierungspflichten im Ausland deutlich reduzieren.
1. Marktplatz - Ausweitung der Lieferkettenfiktion
Die wohl größte Auswirkung auf die umsatzsteuerlichen Meldepflichten wird die geplante Neuregelung der Lieferkettenfiktion haben. Die bisherige Regelung in Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL (umgesetzt in § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG) fingiert ein Reihengeschäft, wenn:
- ein im Drittland ansässiger Unternehmer
- Ware innerhalb des Gemeinschaftsgebiets
- über eine elektronische Schnittstelle
- an Privatabnehmer liefert.
Diese Regelung soll künftig unabhängig von der Ansässigkeit des Händlers und dem Status des Abnehmers gelten. Das bedeutet: Die Lieferkettenfiktion greift immer dann, wenn
- Ware innerhalb des Gemeinschaftsgebiets
- über eine elektronische Schnittstelle
geliefert wird. Das bedeutet aber auch, dass Händler weiterhin Ausfuhrlieferungen deklarieren müssen.
Trotzdem wird die Übertragung der Steuerpflicht erheblich ausgeweitet. Diese Regelung dürfte speziell kleinere Marktplätze vor Herausforderungen stellen. Denn die Vielzahl der steuerlichen Anforderungen, denen Händler bisher ausgesetzt waren, konzentriert sich nun bei den Marktplätzen und Plattformen. Deutlich vereinfacht wird dagegen die steuerliche Meldepflicht für Händler: Die Lieferung an die elektronische Schnittstelle stellt immer eine steuerfreie Lieferung dar.
Eine Ausnahme von der Lieferkettenfiktion sieht der geplante Art. 14 Abs. 4 MwStSystRL für Marktplätze, Plattformen etc. vor, die nur in einem Mitgliedstaat ansässig sind und nur in diesem Land Lieferungen über eine elektronische Schnittstelle unterstützen.
2. B2B - Umsetzung von Reverse Charge
Sofern keine elektronische Schnittstelle involviert ist, verbleibt die steuerliche Meldepflicht grundsätzlich beim Händler. Bei lokalen Lieferungen an unternehmerische Kunden soll die Steuerpflicht künftig auf den Abnehmer übergehen. Hierfür müssen 2 Voraussetzungen erfüllt sein:
- der leistende Unternehmer (Händler) ist nicht im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässig
- der B2B-Kunde ist bereits im Mitgliedstaat des Verbrauchs umsatzsteuerlich registriert
Eine nahezu identische Regelung ist aktuell optional in Art. 194 MwStSystRL vorgesehen, wurde aber nicht von allen Mitgliedstaaten umgesetzt. Künftig soll die Regelung verpflichtend umgesetzt werden.
Die ergänzende Regelung zur umsatzsteuerlichen Registrierung des Kunden im Mitgliedstaat ist sehr zu begrüßen, da es in der Praxis unterschiedliche Ausgestaltungen gibt. Die Überwachung der Besteuerung durch den Kunden soll durch eine neu eingeführte Meldepflicht in der Zusammenfassenden Meldung (ZM) sichergestellt werden.
Die Maßnahmen sollen ab dem 1.1.2025 gelten. Nach Abschaffung der ZM und Einführung des digitalen Meldesystems (siehe dazu auch weiter unten) soll die Meldung über dieses System erfolgen.
3. B2C – Erweiterung des OSS
Der OSS wird im B2C-Bereich deutlich erweitert. Ab 1.1.2025 sollen neben Fernverkäufen und Dienstleistungen an Nichtunternehmer u.a. folgende Umsätze im OSS gemeldet werden können:
- Lokale Lieferungen an B2C-Kunden;
- Lokale Lieferungen an B2C-Kunden, die über eine elektronische Schnittstelle ausgeführt werden;
- Umsätze, die der Differenzbesteuerung unterliegen (vor allem Second-Hand-Waren und Kunstgegenstände);
- Lieferungen, für die steuerliche Sondervorschriften hinsichtlich der Ortsvorschrift gelten, z. B. die Lieferung von Gas, Elektrizität und Wärme, Lieferungen an Bord von Schiffen, Flugzeugen oder Zügen sowie Lieferungen mit Montageleistungen.
Sind Registrierungen in Zukunft überflüssig?
Die Maßnahmen der Kommission würden in vielen Fällen dazu führen, dass Registrierungen nicht mehr erforderlich wären. Eine vollständige Befreiung von umsatzsteuerlichen Registrierungspflichten wird aber auch dieses Maßnahmenpaket nicht bewirken. Für den Onlinehandel könnten - abhängig von nationalen Sonderregelungen - in folgenden Fällen weiter Registrierungspflichten bestehen:
- Dropshipping
- Steuerfreie Ausfuhrlieferungen (außerhalb des Ansässigkeitsstaats)
- Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen, die nicht über eine elektronische Schnittstelle abgewickelt werden (außerhalb des Ansässigkeitsstaats)
Rote Linie ausländische Vorsteuer
Der Austausch zwischen Kommission und Mitgliedstaaten hat bereits vor Veröffentlichung des VIDA-Entwurfs eine rote Linie aufgezeigt: den Vorsteuerabzug im OSS-Verfahren. Diese rote Linie findet sich auch in den Vorschlägen der Kommission: Ein Vorsteuerabzug für ausländische Vorsteuer kann - soweit möglich - künftig nur im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Registrierung oder alternativ in den dafür vorgesehenen Verfahren (z. B. Vorsteuer-Vergütungsverfahren) erfolgen.